nicht gewachsen ist. Jahrhunderte lang verbreitete das Schwert der Kaiser den Christenglauben, wie es unter Muhamed den Islam verbreitet hat. Und nicht erst heute, sondern schon zu Gutenbergs Zeiten findet sich in der Presse die op- timistische Ueberzeugung, die deutsche Nation sei von Gott bevorzugt und von der Vorsehung auserwählt 1). Sie war aber nur von den Kardinälen auserwählt und vom Papste bevorzugt. Die deutschen Könige hatten sich ihre Stellung durch Bluttat und Gewalt ertrotzt. Ihre Kulturleistungen blieben weit hinter dem zurück, was gleichzeitig Arabien, Spanien und Italien in Kunst, Literatur und Wissenschaft leisteten.
Noch heute sehen unsere deutschen Schulräte, Ge- schichtschreiber und Pädagogen nicht ein, dass keine Veranlassung vorliegt, auf diese Tradition besonders stolz zu sein. Deutschland war keineswegs das "moralische Herz der Welt", wie Herr Scheler glauben machen will. Die Moralität war in Deutschland, von vereinzelten Mystikern und Troubadouren abgesehen, unausgebildet, abseitig und grob. Das Land war Rüstkammer und Arsenal für die weltlichen Ziele des Papsttums. In solchen Ländern ist wenig Raum für die Ausbildung verfeinerter Sitte. Profoss und Schrecken brachten den Päpsten die Barbarossas, Ottos und Fried- richs. Wen deshalb der Papst zum Kaiser salbte, dem legte er damit die Verpflichtung auf, dass solch "aposto- lische Majestät" -- noch heute trägt der Kaiser von Oester- reich den Titel -- den gewaltigen europäischen Kirchen- staat vergrössere oder verteidige, auf welche Art immer es geschehe.
Das "Heilige römische Reich deutscher Nation" wurde von Luther zerstört. Luthers robust gewaltige Persönlich- keit ist geschichtlich nur zu verstehen, wenn man den Kampf zwischen Kaiser und Papst sich vergegenwärtigt. Luther trennte Deutschland von Rom und schuf damit die Voraussetzung für die Unabhängigkeit des heutigen deut- schen Feudalismus. Er lieferte den deutschen Fürsten und
nicht gewachsen ist. Jahrhunderte lang verbreitete das Schwert der Kaiser den Christenglauben, wie es unter Muhamed den Islam verbreitet hat. Und nicht erst heute, sondern schon zu Gutenbergs Zeiten findet sich in der Presse die op- timistische Ueberzeugung, die deutsche Nation sei von Gott bevorzugt und von der Vorsehung auserwählt 1). Sie war aber nur von den Kardinälen auserwählt und vom Papste bevorzugt. Die deutschen Könige hatten sich ihre Stellung durch Bluttat und Gewalt ertrotzt. Ihre Kulturleistungen blieben weit hinter dem zurück, was gleichzeitig Arabien, Spanien und Italien in Kunst, Literatur und Wissenschaft leisteten.
Noch heute sehen unsere deutschen Schulräte, Ge- schichtschreiber und Pädagogen nicht ein, dass keine Veranlassung vorliegt, auf diese Tradition besonders stolz zu sein. Deutschland war keineswegs das „moralische Herz der Welt“, wie Herr Scheler glauben machen will. Die Moralität war in Deutschland, von vereinzelten Mystikern und Troubadouren abgesehen, unausgebildet, abseitig und grob. Das Land war Rüstkammer und Arsenal für die weltlichen Ziele des Papsttums. In solchen Ländern ist wenig Raum für die Ausbildung verfeinerter Sitte. Profoss und Schrecken brachten den Päpsten die Barbarossas, Ottos und Fried- richs. Wen deshalb der Papst zum Kaiser salbte, dem legte er damit die Verpflichtung auf, dass solch „aposto- lische Majestät“ — noch heute trägt der Kaiser von Oester- reich den Titel — den gewaltigen europäischen Kirchen- staat vergrössere oder verteidige, auf welche Art immer es geschehe.
Das „Heilige römische Reich deutscher Nation“ wurde von Luther zerstört. Luthers robust gewaltige Persönlich- keit ist geschichtlich nur zu verstehen, wenn man den Kampf zwischen Kaiser und Papst sich vergegenwärtigt. Luther trennte Deutschland von Rom und schuf damit die Voraussetzung für die Unabhängigkeit des heutigen deut- schen Feudalismus. Er lieferte den deutschen Fürsten und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0023"n="15"/>
nicht gewachsen ist. Jahrhunderte lang verbreitete das Schwert<lb/>
der Kaiser den Christenglauben, wie es unter Muhamed den<lb/>
Islam verbreitet hat. Und nicht erst heute, sondern schon<lb/>
zu Gutenbergs Zeiten findet sich in der Presse die op-<lb/>
timistische Ueberzeugung, die deutsche Nation sei von Gott<lb/>
bevorzugt und von der Vorsehung auserwählt <notexml:id="id1a"next="id1a1a"place="end"n="1)"/>. Sie war<lb/>
aber nur von den Kardinälen auserwählt und vom Papste<lb/>
bevorzugt. Die deutschen Könige hatten sich ihre Stellung<lb/>
durch Bluttat und Gewalt ertrotzt. Ihre Kulturleistungen blieben<lb/>
weit hinter dem zurück, was gleichzeitig Arabien, Spanien<lb/>
und Italien in Kunst, Literatur und Wissenschaft leisteten.</p><lb/><p>Noch heute sehen unsere deutschen Schulräte, Ge-<lb/>
schichtschreiber und Pädagogen nicht ein, dass keine<lb/>
Veranlassung vorliegt, auf diese Tradition besonders stolz<lb/>
zu sein. Deutschland war keineswegs das „moralische Herz<lb/>
der Welt“, wie Herr Scheler glauben machen will. Die<lb/>
Moralität war in Deutschland, von vereinzelten Mystikern und<lb/>
Troubadouren abgesehen, unausgebildet, abseitig und grob.<lb/>
Das Land war Rüstkammer und Arsenal für die weltlichen<lb/>
Ziele des Papsttums. In solchen Ländern ist wenig Raum<lb/>
für die Ausbildung verfeinerter Sitte. Profoss und Schrecken<lb/>
brachten den Päpsten die Barbarossas, Ottos und Fried-<lb/>
richs. Wen deshalb der Papst zum Kaiser salbte, dem<lb/>
legte er damit die Verpflichtung auf, dass solch „aposto-<lb/>
lische Majestät“— noch heute trägt der Kaiser von Oester-<lb/>
reich den Titel — den gewaltigen europäischen Kirchen-<lb/>
staat vergrössere oder verteidige, auf welche Art immer es<lb/>
geschehe.</p><lb/><p>Das „Heilige römische Reich deutscher Nation“ wurde<lb/>
von Luther zerstört. Luthers robust gewaltige Persönlich-<lb/>
keit ist geschichtlich nur zu verstehen, wenn man den<lb/>
Kampf zwischen Kaiser und Papst sich vergegenwärtigt.<lb/>
Luther trennte Deutschland von Rom und schuf damit<lb/>
die Voraussetzung für die Unabhängigkeit des heutigen deut-<lb/>
schen Feudalismus. Er lieferte den deutschen Fürsten und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[15/0023]
nicht gewachsen ist. Jahrhunderte lang verbreitete das Schwert
der Kaiser den Christenglauben, wie es unter Muhamed den
Islam verbreitet hat. Und nicht erst heute, sondern schon
zu Gutenbergs Zeiten findet sich in der Presse die op-
timistische Ueberzeugung, die deutsche Nation sei von Gott
bevorzugt und von der Vorsehung auserwählt
¹⁾
. Sie war
aber nur von den Kardinälen auserwählt und vom Papste
bevorzugt. Die deutschen Könige hatten sich ihre Stellung
durch Bluttat und Gewalt ertrotzt. Ihre Kulturleistungen blieben
weit hinter dem zurück, was gleichzeitig Arabien, Spanien
und Italien in Kunst, Literatur und Wissenschaft leisteten.
Noch heute sehen unsere deutschen Schulräte, Ge-
schichtschreiber und Pädagogen nicht ein, dass keine
Veranlassung vorliegt, auf diese Tradition besonders stolz
zu sein. Deutschland war keineswegs das „moralische Herz
der Welt“, wie Herr Scheler glauben machen will. Die
Moralität war in Deutschland, von vereinzelten Mystikern und
Troubadouren abgesehen, unausgebildet, abseitig und grob.
Das Land war Rüstkammer und Arsenal für die weltlichen
Ziele des Papsttums. In solchen Ländern ist wenig Raum
für die Ausbildung verfeinerter Sitte. Profoss und Schrecken
brachten den Päpsten die Barbarossas, Ottos und Fried-
richs. Wen deshalb der Papst zum Kaiser salbte, dem
legte er damit die Verpflichtung auf, dass solch „aposto-
lische Majestät“ — noch heute trägt der Kaiser von Oester-
reich den Titel — den gewaltigen europäischen Kirchen-
staat vergrössere oder verteidige, auf welche Art immer es
geschehe.
Das „Heilige römische Reich deutscher Nation“ wurde
von Luther zerstört. Luthers robust gewaltige Persönlich-
keit ist geschichtlich nur zu verstehen, wenn man den
Kampf zwischen Kaiser und Papst sich vergegenwärtigt.
Luther trennte Deutschland von Rom und schuf damit
die Voraussetzung für die Unabhängigkeit des heutigen deut-
schen Feudalismus. Er lieferte den deutschen Fürsten und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/23>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.