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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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sich seine Anarchie eigens für sich selbst einrichtete, und die
Streiche, die man haben sollte, sich von nun an mit eigenen
Händen erteilte." (Fichte, "Macchiavell", Kritische Ausgabe von
H. Schulz, Verlag Felix Meiner, Leipzig 1918, S. 7/8.) Was Fichte
hier beschreibt, ist das damalige Verhältnis Preussens zum "Reich".
Und was Kant vorschwebte, war wohl als Konzession an die
drohenden Franzosen eine Auflösung des Heiligen römischen
Reichs in Adelsrepubliken, niemals aber eine preussische oder
gar deutsche Republik im heutigen Sinne.
72) E. A. Ch. Wasiansky, "Immanuel Kant in seinen letzten
Lebensjahren", S. 224 von "Kants Leben in Darstellungen von
Zeitgenossen", Deutsche Bibliothek, Berlin.
73) "Der deutsche Mensch", S. 38.
74) Ebendort, S. 26.
75) Ebendort, S. 51.
76) Als Beispiel dafür, wie dieser Rousseau'sche Satz in
Deutschland Schule machte und wie er hier interpretiert wurde,
vergleiche man übrigens einen Ausspruch Schellings, der den Satz
von der "Freiheit, die des Zwanges Zweck" ist, für Kants Erfin-
dung hielt: "Der Herrscher, der den freiwilligen Tugenden (sic!)
keinen Raum, der Gesellschaft keine Entwicklung gestattet, dem,
in Kants Weise zu reden, die Freiheit nicht des Zwanges Zweck
ist, ein solcher ist ein Despot". Für den Einfluss Rousseaus auf
Kant spricht hinreichend die Tatsache, dass "ausser J. J. Rousseaus
Kupferstiche, der in seinem Wohnzimmer war, sich nichts von
dieser Art in seinem ganzen Hause befand" (nach Borowsky).
77) Moeller van den Bruck, "Wilhelm von Humboldt und die
preussische Freiheit", Feuilleton im roten "Tag", Berlin, Winter
1918. Moeller van den Bruck ist der Verfasser eines bei Bruns
in Minden erschienenen Prachtwerkes "Die Deutschen. Unsere
Menschengeschichte". Das Werk "zerfällt" in acht Bände. 1/2
"Verirrte und führende Deutsche", 3/4 "Verschwärmte und ent-
scheidende Deutsche", 5/6 "Gestaltende Deutsche. Goethe", 7/8
"Scheiternde und lachende Deutsche". Herr Moeller van den
Bruck wird voraussichtlich demnächst einen Nachtrag 9/10 "Fade
und bissige Deutsche" bringen, worin er von dieser Notiz Kennt-
nis gibt.
78) Ch. Seignobos, "1815-1915. Vom Wiener Kongress bis
zum Krieg von 1914", Payot & Co., Lausanne 1915, S. 5.
79) Georg Christoph Lichtenberg, Vermischte Schriften, Bd. I.
Politische Betrachtungen, S. 225, 243.
80) Ebendort, S. 240.
sich seine Anarchie eigens für sich selbst einrichtete, und die
Streiche, die man haben sollte, sich von nun an mit eigenen
Händen erteilte.“ (Fichte, „Macchiavell“, Kritische Ausgabe von
H. Schulz, Verlag Felix Meiner, Leipzig 1918, S. 7/8.) Was Fichte
hier beschreibt, ist das damalige Verhältnis Preussens zum „Reich“.
Und was Kant vorschwebte, war wohl als Konzession an die
drohenden Franzosen eine Auflösung des Heiligen römischen
Reichs in Adelsrepubliken, niemals aber eine preussische oder
gar deutsche Republik im heutigen Sinne.
72) E. A. Ch. Wasiansky, „Immanuel Kant in seinen letzten
Lebensjahren“, S. 224 von „Kants Leben in Darstellungen von
Zeitgenossen“, Deutsche Bibliothek, Berlin.
73) „Der deutsche Mensch“, S. 38.
74) Ebendort, S. 26.
75) Ebendort, S. 51.
76) Als Beispiel dafür, wie dieser Rousseau'sche Satz in
Deutschland Schule machte und wie er hier interpretiert wurde,
vergleiche man übrigens einen Ausspruch Schellings, der den Satz
von der „Freiheit, die des Zwanges Zweck“ ist, für Kants Erfin-
dung hielt: „Der Herrscher, der den freiwilligen Tugenden (sic!)
keinen Raum, der Gesellschaft keine Entwicklung gestattet, dem,
in Kants Weise zu reden, die Freiheit nicht des Zwanges Zweck
ist, ein solcher ist ein Despot“. Für den Einfluss Rousseaus auf
Kant spricht hinreichend die Tatsache, dass „ausser J. J. Rousseaus
Kupferstiche, der in seinem Wohnzimmer war, sich nichts von
dieser Art in seinem ganzen Hause befand“ (nach Borowsky).
77) Moeller van den Bruck, „Wilhelm von Humboldt und die
preussische Freiheit“, Feuilleton im roten „Tag“, Berlin, Winter
1918. Moeller van den Bruck ist der Verfasser eines bei Bruns
in Minden erschienenen Prachtwerkes „Die Deutschen. Unsere
Menschengeschichte“. Das Werk „zerfällt“ in acht Bände. 1/2
„Verirrte und führende Deutsche“, 3/4 „Verschwärmte und ent-
scheidende Deutsche“, 5/6 „Gestaltende Deutsche. Goethe“, 7/8
„Scheiternde und lachende Deutsche“. Herr Moeller van den
Bruck wird voraussichtlich demnächst einen Nachtrag 9/10 „Fade
und bissige Deutsche“ bringen, worin er von dieser Notiz Kennt-
nis gibt.
78) Ch. Seignobos, „1815-1915. Vom Wiener Kongress bis
zum Krieg von 1914“, Payot & Co., Lausanne 1915, S. 5.
79) Georg Christoph Lichtenberg, Vermischte Schriften, Bd. I.
Politische Betrachtungen, S. 225, 243.
80) Ebendort, S. 240.
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[256/0264] ⁷¹⁾ sich seine Anarchie eigens für sich selbst einrichtete, und die Streiche, die man haben sollte, sich von nun an mit eigenen Händen erteilte.“ (Fichte, „Macchiavell“, Kritische Ausgabe von H. Schulz, Verlag Felix Meiner, Leipzig 1918, S. 7/8.) Was Fichte hier beschreibt, ist das damalige Verhältnis Preussens zum „Reich“. Und was Kant vorschwebte, war wohl als Konzession an die drohenden Franzosen eine Auflösung des Heiligen römischen Reichs in Adelsrepubliken, niemals aber eine preussische oder gar deutsche Republik im heutigen Sinne. ⁷²⁾ E. A. Ch. Wasiansky, „Immanuel Kant in seinen letzten Lebensjahren“, S. 224 von „Kants Leben in Darstellungen von Zeitgenossen“, Deutsche Bibliothek, Berlin. ⁷³⁾ „Der deutsche Mensch“, S. 38. ⁷⁴⁾ Ebendort, S. 26. ⁷⁵⁾ Ebendort, S. 51. ⁷⁶⁾ Als Beispiel dafür, wie dieser Rousseau'sche Satz in Deutschland Schule machte und wie er hier interpretiert wurde, vergleiche man übrigens einen Ausspruch Schellings, der den Satz von der „Freiheit, die des Zwanges Zweck“ ist, für Kants Erfin- dung hielt: „Der Herrscher, der den freiwilligen Tugenden (sic!) keinen Raum, der Gesellschaft keine Entwicklung gestattet, dem, in Kants Weise zu reden, die Freiheit nicht des Zwanges Zweck ist, ein solcher ist ein Despot“. Für den Einfluss Rousseaus auf Kant spricht hinreichend die Tatsache, dass „ausser J. J. Rousseaus Kupferstiche, der in seinem Wohnzimmer war, sich nichts von dieser Art in seinem ganzen Hause befand“ (nach Borowsky). ⁷⁷⁾ Moeller van den Bruck, „Wilhelm von Humboldt und die preussische Freiheit“, Feuilleton im roten „Tag“, Berlin, Winter 1918. Moeller van den Bruck ist der Verfasser eines bei Bruns in Minden erschienenen Prachtwerkes „Die Deutschen. Unsere Menschengeschichte“. Das Werk „zerfällt“ in acht Bände. 1/2 „Verirrte und führende Deutsche“, 3/4 „Verschwärmte und ent- scheidende Deutsche“, 5/6 „Gestaltende Deutsche. Goethe“, 7/8 „Scheiternde und lachende Deutsche“. Herr Moeller van den Bruck wird voraussichtlich demnächst einen Nachtrag 9/10 „Fade und bissige Deutsche“ bringen, worin er von dieser Notiz Kennt- nis gibt. ⁷⁸⁾ Ch. Seignobos, „1815-1915. Vom Wiener Kongress bis zum Krieg von 1914“, Payot & Co., Lausanne 1915, S. 5. ⁷⁹⁾ Georg Christoph Lichtenberg, Vermischte Schriften, Bd. I. Politische Betrachtungen, S. 225, 243. ⁸⁰⁾ Ebendort, S. 240.

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/264>, abgerufen am 22.11.2024.