Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite
Meeting begrüssten die deutschen, englischen und französischen
Sozialisten der Weltstadt den ,mutigen und talentvollen Führer der
deutschen Kommunisten', wie ihn Owens Organ nannte". Das
war wohl 1845 oder 46, jedenfalls aber in der Zeit, bevor Marx nach
London kam. Damals traten in Paris auf den von der schwei-
zerischen Polizei veröffentlichten Kommunistenbericht hin drei-
hundert deutsche Handwerksburschen in Weitlings "Bund der
Gerechten" ein. Ein deutsches Fabrikproletariat existierte kaum.
78) "Franz von Baader als Begründer der Philosophie der
Zukunft", S. 102: "Die Schilderung des sozialen Elends in Eng-
land bei Godwin erregt sein ganzes Mitgefühl. Sein Tagebuch
enthält ausführliche Auszüge aus seinen Werken. Godwins mau-
rische Ideen begleiteten ihn".
79) Mehring, Bd. I, S. 35. Cabet seinerseits gelangte durch den
utopischen Thomas Moore und durch Owen zu kommunistischen
Anschauungen. Er formulierte die religiösen Grundlagen des
Kommunismus so begeistert, dass man ihn als Handlanger der
Heiligen Allianz denunzierte. Mehring bestätigt übrigens: "Cabet
traf in diesem Punkte das Empfinden des modernen Proletariats,
das in den Anfängen seines Emanzipationskampfes gerne den
Blick auf das Christentum zurücklenkt. Indem Dezamy den Kom-
munismus auf den Atheismus und Materialismus zu begründen
suchte, verfuhr er weit konsequenter als Cabet (?), erlangte aber
nicht entfernt einen gleichen Einfluss auf die Arbeiter
".
80) Michael Bakunin, "Federalisme, Socialisme et Antitheo-
logisme", P. V. Stock, Paris, 1895: "Les idees communistes ger-
merent dans l'imagination populaire. Elles trouverent depuis 1830
jusqu'a 1848 d'habiles interpretes dans Cabet et M. Louis Blanc,
qui etablirent definitivement le socialisme revolutionnaire". (p. 37.)
81) Ebendort, p. 36.
82) Ich lasse diese Stelle kursiv drucken, weil sie beweist,
dass der ursprüngliche Kollektivismus aus einer Reihe von prak-
tischen Vorschlägen bestand, die einer speziellen ökonomischen
Situation entsprachen. Er war ein Liquidationssystem, das die
Freiheitsideologie der Revolution mit den erschöpften Finanzen
in Einklang zu bringen suchte.
83) Es ist wichtig, festzustellen, dass also der Kollektivismus
anfänglich wesentlich verschieden war vom Kommunismus, der sich
erst später anschloss. Der Kollektivismus (Babeufs Erfindung) ist
politisch, positiv; der Kommunismus, dessen Tradition auf die
Evangelien und das Essäertum zurückweist, ist ursprünglich religiös-
idealistisch. Die Vermengung der verschiedenen kollektivistischen
Meeting begrüssten die deutschen, englischen und französischen
Sozialisten der Weltstadt den ‚mutigen und talentvollen Führer der
deutschen Kommunisten‘, wie ihn Owens Organ nannte“. Das
war wohl 1845 oder 46, jedenfalls aber in der Zeit, bevor Marx nach
London kam. Damals traten in Paris auf den von der schwei-
zerischen Polizei veröffentlichten Kommunistenbericht hin drei-
hundert deutsche Handwerksburschen in Weitlings „Bund der
Gerechten“ ein. Ein deutsches Fabrikproletariat existierte kaum.
78) „Franz von Baader als Begründer der Philosophie der
Zukunft“, S. 102: „Die Schilderung des sozialen Elends in Eng-
land bei Godwin erregt sein ganzes Mitgefühl. Sein Tagebuch
enthält ausführliche Auszüge aus seinen Werken. Godwins mau-
rische Ideen begleiteten ihn“.
79) Mehring, Bd. I, S. 35. Cabet seinerseits gelangte durch den
utopischen Thomas Moore und durch Owen zu kommunistischen
Anschauungen. Er formulierte die religiösen Grundlagen des
Kommunismus so begeistert, dass man ihn als Handlanger der
Heiligen Allianz denunzierte. Mehring bestätigt übrigens: „Cabet
traf in diesem Punkte das Empfinden des modernen Proletariats,
das in den Anfängen seines Emanzipationskampfes gerne den
Blick auf das Christentum zurücklenkt. Indem Dezamy den Kom-
munismus auf den Atheismus und Materialismus zu begründen
suchte, verfuhr er weit konsequenter als Cabet (?), erlangte aber
nicht entfernt einen gleichen Einfluss auf die Arbeiter
“.
80) Michael Bakunin, „Fédéralisme, Socialisme et Antithéo-
logisme“, P. V. Stock, Paris, 1895: „Les idées communistes ger-
mèrent dans l'imagination populaire. Elles trouvèrent depuis 1830
jusqu'à 1848 d'habiles interprêtes dans Cabet et M. Louis Blanc,
qui établirent définitivement le socialisme révolutionnaire“. (p. 37.)
81) Ebendort, p. 36.
82) Ich lasse diese Stelle kursiv drucken, weil sie beweist,
dass der ursprüngliche Kollektivismus aus einer Reihe von prak-
tischen Vorschlägen bestand, die einer speziellen ökonomischen
Situation entsprachen. Er war ein Liquidationssystem, das die
Freiheitsideologie der Revolution mit den erschöpften Finanzen
in Einklang zu bringen suchte.
83) Es ist wichtig, festzustellen, dass also der Kollektivismus
anfänglich wesentlich verschieden war vom Kommunismus, der sich
erst später anschloss. Der Kollektivismus (Babeufs Erfindung) ist
politisch, positiv; der Kommunismus, dessen Tradition auf die
Evangelien und das Essäertum zurückweist, ist ursprünglich religiös-
idealistisch. Die Vermengung der verschiedenen kollektivistischen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <note xml:id="id77b77c" prev="id77c" place="end" n="77)"><pb facs="#f0296" n="288"/>
Meeting begrüssten die deutschen, englischen und französischen<lb/>
Sozialisten der Weltstadt den &#x201A;mutigen und talentvollen Führer der<lb/>
deutschen Kommunisten&#x2018;, wie ihn Owens Organ nannte&#x201C;. Das<lb/>
war wohl 1845 oder 46, jedenfalls aber in der Zeit, bevor Marx nach<lb/>
London kam. Damals traten in Paris auf den von der schwei-<lb/>
zerischen Polizei veröffentlichten Kommunistenbericht hin drei-<lb/>
hundert deutsche Handwerksburschen in Weitlings &#x201E;Bund der<lb/>
Gerechten&#x201C; ein. Ein deutsches <hi rendition="#i">Fabrik</hi>proletariat existierte kaum.</note><lb/>
            <note xml:id="id78b78c" prev="id78c" place="end" n="78)"> &#x201E;Franz von Baader als Begründer der Philosophie der<lb/>
Zukunft&#x201C;, S. 102: &#x201E;Die Schilderung des sozialen Elends in Eng-<lb/>
land bei Godwin erregt sein ganzes Mitgefühl. Sein Tagebuch<lb/>
enthält ausführliche Auszüge aus seinen Werken. Godwins mau-<lb/>
rische Ideen begleiteten ihn&#x201C;.</note><lb/>
            <note xml:id="id79b79c" prev="id79c" place="end" n="79)"> Mehring, Bd. I, S. 35. Cabet seinerseits gelangte durch den<lb/><hi rendition="#i">utopischen</hi> Thomas Moore und durch Owen zu kommunistischen<lb/>
Anschauungen. Er formulierte die <hi rendition="#i">religiösen</hi> Grundlagen des<lb/>
Kommunismus so begeistert, dass man ihn als Handlanger der<lb/>
Heiligen Allianz denunzierte. Mehring bestätigt übrigens: &#x201E;Cabet<lb/>
traf in diesem Punkte das Empfinden des modernen Proletariats,<lb/>
das in den Anfängen seines Emanzipationskampfes gerne den<lb/>
Blick auf das Christentum zurücklenkt. Indem <hi rendition="#i">Dezamy</hi> den Kom-<lb/>
munismus auf den Atheismus und Materialismus zu begründen<lb/>
suchte, verfuhr er weit konsequenter als Cabet (?), <hi rendition="#i">erlangte aber<lb/>
nicht entfernt einen gleichen Einfluss auf die Arbeiter</hi>&#x201C;.</note><lb/>
            <note xml:id="id80b80c" prev="id80c" place="end" n="80)"> Michael Bakunin, &#x201E;Fédéralisme, Socialisme et Antithéo-<lb/>
logisme&#x201C;, P. V. Stock, Paris, 1895: &#x201E;Les idées communistes ger-<lb/>
mèrent dans l'imagination populaire. Elles trouvèrent depuis 1830<lb/>
jusqu'à 1848 d'habiles interprêtes dans <hi rendition="#i">Cabet</hi> et M. <hi rendition="#i">Louis Blanc,</hi><lb/>
qui établirent définitivement le socialisme révolutionnaire&#x201C;. (p. 37.)</note><lb/>
            <note xml:id="id81b81c" prev="id81c" place="end" n="81)"> Ebendort, p. 36.</note><lb/>
            <note xml:id="id82b82c" prev="id82c" place="end" n="82)"> Ich lasse diese Stelle kursiv drucken, weil sie beweist,<lb/>
dass der ursprüngliche Kollektivismus aus einer Reihe von prak-<lb/>
tischen Vorschlägen bestand, die einer speziellen ökonomischen<lb/>
Situation entsprachen. Er war ein <hi rendition="#i">Liquidationssystem,</hi> das die<lb/>
Freiheitsideologie der Revolution mit den erschöpften Finanzen<lb/>
in Einklang zu bringen suchte.</note><lb/>
            <note xml:id="id83b83c" prev="id83c" place="end" n="83)"> Es ist wichtig, festzustellen, dass also der Kollektivismus<lb/>
anfänglich wesentlich verschieden war vom Kommunismus, der sich<lb/>
erst später anschloss. Der Kollektivismus (Babeufs Erfindung) ist<lb/>
politisch, positiv; der Kommunismus, dessen Tradition auf die<lb/>
Evangelien und das Essäertum zurückweist, ist ursprünglich religiös-<lb/>
idealistisch. Die Vermengung der verschiedenen kollektivistischen<lb/></note>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0296] ⁷⁷⁾ Meeting begrüssten die deutschen, englischen und französischen Sozialisten der Weltstadt den ‚mutigen und talentvollen Führer der deutschen Kommunisten‘, wie ihn Owens Organ nannte“. Das war wohl 1845 oder 46, jedenfalls aber in der Zeit, bevor Marx nach London kam. Damals traten in Paris auf den von der schwei- zerischen Polizei veröffentlichten Kommunistenbericht hin drei- hundert deutsche Handwerksburschen in Weitlings „Bund der Gerechten“ ein. Ein deutsches Fabrikproletariat existierte kaum. ⁷⁸⁾ „Franz von Baader als Begründer der Philosophie der Zukunft“, S. 102: „Die Schilderung des sozialen Elends in Eng- land bei Godwin erregt sein ganzes Mitgefühl. Sein Tagebuch enthält ausführliche Auszüge aus seinen Werken. Godwins mau- rische Ideen begleiteten ihn“. ⁷⁹⁾ Mehring, Bd. I, S. 35. Cabet seinerseits gelangte durch den utopischen Thomas Moore und durch Owen zu kommunistischen Anschauungen. Er formulierte die religiösen Grundlagen des Kommunismus so begeistert, dass man ihn als Handlanger der Heiligen Allianz denunzierte. Mehring bestätigt übrigens: „Cabet traf in diesem Punkte das Empfinden des modernen Proletariats, das in den Anfängen seines Emanzipationskampfes gerne den Blick auf das Christentum zurücklenkt. Indem Dezamy den Kom- munismus auf den Atheismus und Materialismus zu begründen suchte, verfuhr er weit konsequenter als Cabet (?), erlangte aber nicht entfernt einen gleichen Einfluss auf die Arbeiter“. ⁸⁰⁾ Michael Bakunin, „Fédéralisme, Socialisme et Antithéo- logisme“, P. V. Stock, Paris, 1895: „Les idées communistes ger- mèrent dans l'imagination populaire. Elles trouvèrent depuis 1830 jusqu'à 1848 d'habiles interprêtes dans Cabet et M. Louis Blanc, qui établirent définitivement le socialisme révolutionnaire“. (p. 37.) ⁸¹⁾ Ebendort, p. 36. ⁸²⁾ Ich lasse diese Stelle kursiv drucken, weil sie beweist, dass der ursprüngliche Kollektivismus aus einer Reihe von prak- tischen Vorschlägen bestand, die einer speziellen ökonomischen Situation entsprachen. Er war ein Liquidationssystem, das die Freiheitsideologie der Revolution mit den erschöpften Finanzen in Einklang zu bringen suchte. ⁸³⁾ Es ist wichtig, festzustellen, dass also der Kollektivismus anfänglich wesentlich verschieden war vom Kommunismus, der sich erst später anschloss. Der Kollektivismus (Babeufs Erfindung) ist politisch, positiv; der Kommunismus, dessen Tradition auf die Evangelien und das Essäertum zurückweist, ist ursprünglich religiös- idealistisch. Die Vermengung der verschiedenen kollektivistischen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-17T09:20:45Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-17T09:20:45Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/296
Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/296>, abgerufen am 22.11.2024.