Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.88) Es ist typisch für Preussen, dass dort "Revolutionen" von Zeit zu Zeit gerade dann gestattet werden, wenn der Despotis mus neuer Kraftzufuhr bedarf. Die Revolution ist eine Art ver- einfachter Beamtenselektion und Karriere. Man sollte sich warnen lassen, heute, Dezember 1918, wo wieder, wie 1848, eine National- versammlung bevorsteht und in politicis eine Verwirrung herrscht, die sich von der um 1848 in keiner Weise unterscheidet, weder im Mangel an Energie auf Seiten der Rebellen, noch im Mangel an Dreistigkeit auf Seiten der Reaktion. Deutschland erscheint unfähig, Revolutionen, selbst wenn sie ihm aufgezwungen werden, zu erfassen und im volksfreundlichen Sinne durchzuführen. 89) "Lessinglegende", S. 421. 90) "Von grosser Frömmigkeit", beschreibt Fernau diesen verrücktesten preussischen Monarchen, "und doch scheinbar liberal, ganz vollgepfropft mit mittelalterlichen Vorstellungen und doch, wie er sich im Gegensatz zu seinem Vater selbst nannte, ein "moderner Mensch", versuchte er die Herrlichkeit eines romantischen teutschen Mittelalters und die Prächtigkeit einer römischen Herrscherkirche mit den Freiheitsideen (!) des Pro- testantismus und des 19. Jahrhunderts zu verbinden. Die "Schrei- berkaste" war ihm zuwider. Und darum hatte das Junkertum sein Wohlgefallen an diesem Herrscher. Es umgab ihn mit "Heiligen und Rittern", entfremdete ihn völlig seinem Volk und seiner Zeit und lullte ihn in Weihrauch und herrliche Redensarten von Gottesgnadentum ein". ("Das Königtum ist der Krieg", S. 45.) 91) Dmitri Mereschkowski, "Vom Krieg zur Revolution", R. Piper & Co., München, 1918, S. 96, Von der religiösen Lüge des Nationalismus. 92) Houston Stewart Chamberlain, "Deutsches Wesen", F. Bruckmann A. G., München, 1916, in dem Kapitel "Bismarck der Deutsche", S. 40. 93) Die Ablösung der Ideologie durch den praktischen Ge- schäftsgeist war es, was Bismarck so rasch zum Heroen erhob. Die abstrakte, volksfremde Ideologie (der deutsche Träumer) hatte die Nation so furchtbar verwildern lassen, dass der Ge- schäftsgeist, der jetzt zutage trat, an Immoralität den "Kapi- talismus" jeden anderen Landes überbot. Die alldeutschen Ver- bände (Junkertum und Schwerindustrie), Händler und Helden in innigem Verband, wuchsen in kurzem zu jener ungeheuren, die deutsche Politik und das Wirtschaftsleben fast unumschränkt beherrschenden Macht, die seit den 80er Jahren mit vollem Be- wusstsein auf einen neuen segensreichen Krieg, auf den Welt- 88) Es ist typisch für Preussen, dass dort „Revolutionen“ von Zeit zu Zeit gerade dann gestattet werden, wenn der Despotis mus neuer Kraftzufuhr bedarf. Die Revolution ist eine Art ver- einfachter Beamtenselektion und Karriere. Man sollte sich warnen lassen, heute, Dezember 1918, wo wieder, wie 1848, eine National- versammlung bevorsteht und in politicis eine Verwirrung herrscht, die sich von der um 1848 in keiner Weise unterscheidet, weder im Mangel an Energie auf Seiten der Rebellen, noch im Mangel an Dreistigkeit auf Seiten der Reaktion. Deutschland erscheint unfähig, Revolutionen, selbst wenn sie ihm aufgezwungen werden, zu erfassen und im volksfreundlichen Sinne durchzuführen. 89) „Lessinglegende“, S. 421. 90) „Von grosser Frömmigkeit“, beschreibt Fernau diesen verrücktesten preussischen Monarchen, „und doch scheinbar liberal, ganz vollgepfropft mit mittelalterlichen Vorstellungen und doch, wie er sich im Gegensatz zu seinem Vater selbst nannte, ein „moderner Mensch“, versuchte er die Herrlichkeit eines romantischen teutschen Mittelalters und die Prächtigkeit einer römischen Herrscherkirche mit den Freiheitsideen (!) des Pro- testantismus und des 19. Jahrhunderts zu verbinden. Die „Schrei- berkaste“ war ihm zuwider. Und darum hatte das Junkertum sein Wohlgefallen an diesem Herrscher. Es umgab ihn mit „Heiligen und Rittern“, entfremdete ihn völlig seinem Volk und seiner Zeit und lullte ihn in Weihrauch und herrliche Redensarten von Gottesgnadentum ein“. („Das Königtum ist der Krieg“, S. 45.) 91) Dmitri Mereschkowski, „Vom Krieg zur Revolution“, R. Piper & Co., München, 1918, S. 96, Von der religiösen Lüge des Nationalismus. 92) Houston Stewart Chamberlain, „Deutsches Wesen“, F. Bruckmann A. G., München, 1916, in dem Kapitel „Bismarck der Deutsche“, S. 40. 93) Die Ablösung der Ideologie durch den praktischen Ge- schäftsgeist war es, was Bismarck so rasch zum Heroen erhob. Die abstrakte, volksfremde Ideologie (der deutsche Träumer) hatte die Nation so furchtbar verwildern lassen, dass der Ge- schäftsgeist, der jetzt zutage trat, an Immoralität den „Kapi- talismus“ jeden anderen Landes überbot. Die alldeutschen Ver- bände (Junkertum und Schwerindustrie), Händler und Helden in innigem Verband, wuchsen in kurzem zu jener ungeheuren, die deutsche Politik und das Wirtschaftsleben fast unumschränkt beherrschenden Macht, die seit den 80er Jahren mit vollem Be- wusstsein auf einen neuen segensreichen Krieg, auf den Welt- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0322" n="314"/> <note xml:id="id88b88d" prev="id88d" place="end" n="88)"> Es ist typisch für Preussen, dass dort „Revolutionen“ von<lb/> Zeit zu Zeit gerade dann gestattet werden, wenn der Despotis<lb/> mus neuer Kraftzufuhr bedarf. Die Revolution ist eine Art ver-<lb/> einfachter Beamtenselektion und Karriere. 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⁸⁸⁾ Es ist typisch für Preussen, dass dort „Revolutionen“ von
Zeit zu Zeit gerade dann gestattet werden, wenn der Despotis
mus neuer Kraftzufuhr bedarf. Die Revolution ist eine Art ver-
einfachter Beamtenselektion und Karriere. Man sollte sich warnen
lassen, heute, Dezember 1918, wo wieder, wie 1848, eine National-
versammlung bevorsteht und in politicis eine Verwirrung herrscht,
die sich von der um 1848 in keiner Weise unterscheidet, weder
im Mangel an Energie auf Seiten der Rebellen, noch im Mangel
an Dreistigkeit auf Seiten der Reaktion. Deutschland erscheint
unfähig, Revolutionen, selbst wenn sie ihm aufgezwungen werden,
zu erfassen und im volksfreundlichen Sinne durchzuführen.
⁸⁹⁾ „Lessinglegende“, S. 421.
⁹⁰⁾ „Von grosser Frömmigkeit“, beschreibt Fernau diesen
verrücktesten preussischen Monarchen, „und doch scheinbar
liberal, ganz vollgepfropft mit mittelalterlichen Vorstellungen und
doch, wie er sich im Gegensatz zu seinem Vater selbst nannte,
ein „moderner Mensch“, versuchte er die Herrlichkeit eines
romantischen teutschen Mittelalters und die Prächtigkeit einer
römischen Herrscherkirche mit den Freiheitsideen (!) des Pro-
testantismus und des 19. Jahrhunderts zu verbinden. Die „Schrei-
berkaste“ war ihm zuwider. Und darum hatte das Junkertum
sein Wohlgefallen an diesem Herrscher. Es umgab ihn mit
„Heiligen und Rittern“, entfremdete ihn völlig seinem Volk und
seiner Zeit und lullte ihn in Weihrauch und herrliche Redensarten
von Gottesgnadentum ein“. („Das Königtum ist der Krieg“, S. 45.)
⁹¹⁾ Dmitri Mereschkowski, „Vom Krieg zur Revolution“,
R. Piper & Co., München, 1918, S. 96, Von der religiösen Lüge
des Nationalismus.
⁹²⁾ Houston Stewart Chamberlain, „Deutsches Wesen“,
F. Bruckmann A. G., München, 1916, in dem Kapitel „Bismarck
der Deutsche“, S. 40.
⁹³⁾ Die Ablösung der Ideologie durch den praktischen Ge-
schäftsgeist war es, was Bismarck so rasch zum Heroen erhob.
Die abstrakte, volksfremde Ideologie (der deutsche Träumer)
hatte die Nation so furchtbar verwildern lassen, dass der Ge-
schäftsgeist, der jetzt zutage trat, an Immoralität den „Kapi-
talismus“ jeden anderen Landes überbot. Die alldeutschen Ver-
bände (Junkertum und Schwerindustrie), Händler und Helden in
innigem Verband, wuchsen in kurzem zu jener ungeheuren, die
deutsche Politik und das Wirtschaftsleben fast unumschränkt
beherrschenden Macht, die seit den 80er Jahren mit vollem Be-
wusstsein auf einen neuen segensreichen Krieg, auf den Welt-
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