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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Den einfachen Mann überkamen die krausesten Probleme,
denen er nur mit Stirnrunzeln und Verbitterung sich unter-
zog. Und da Luther gleichzeitig die ganze theologische
Tradition der Klöster in den Alltag warf, wurde das ganze
Volk von unverdaulichem Wust überschwemmt, ein einzig
Volk von Gottesgelahrten. "Es wird gelehrt", "Es wird
gelehrt", beginnen die einzelnen von Melanchthon redigierten
Schmalkaldischen Artikel 26). Und es wurde gelehrt, das
ganze Volk, jeder Einzelne wurde gelehrt. "Der deutsche
Freiheitsbegriff, gleichsam eine Schöpfung der Gelehrsam-
keit", gesteht sogar Rathenau 27). Wann wird man endlich
Reinlichkeit einführen in kategoriellen Dingen? Der Pro-
testantismus ist eine Philologie, keine Religion. Luthers
Revolte sagte zum Papst: Wir glauben dir nicht mehr.
Wir wollen das Dokument einsehen. Wir glauben nur an
das Dokument 28). Liegt darin aber etwas schöpferisch
Neues, eine neue Religion? Dann wäre heute eine neue
Religion, vom Papst in Berlin die Dokumente zum Welt-
krieg zu fordern und auf der Uebersetzung der ausländischen
Dokumente zu bestehen, die sich damit beschäftigen. Gibt
es noch Protestanten? Wo bleibt die Gewissensfrage? Auch
die Bibel ist ein Fetzen Papier, wenn man will. Internationale
Verträge sind heute wichtiger geworden als die Bibel. Wenn
man solche Verträge zerreisst, kostet es mehr Blut, als
zwanzig Herrgötter vergeben können. An die Schuldfrage
sollt ihr euch halten. Um die Schriftmoral braucht euch
nicht bange zu sein. Ein neues Europa ist die Moral.

Um die Kulturbasis ging in Europa damals der Streit.
Dies wieder war eine pädagogische Frage. Arabische, grie-
chische und jüdische Bildungselemente kämpften um den
Vorrang. Die italienische und französische Renaissance
entschied sich für den Hellenismus und brachte dadurch
Europa eine Lichtflut von Aufhellung, Aufklärung. Luther
und die Deutschen entschieden sich für die Bibel und damit
für die jüdische Tradition. Dies bedeutete unendliches

Den einfachen Mann überkamen die krausesten Probleme,
denen er nur mit Stirnrunzeln und Verbitterung sich unter-
zog. Und da Luther gleichzeitig die ganze theologische
Tradition der Klöster in den Alltag warf, wurde das ganze
Volk von unverdaulichem Wust überschwemmt, ein einzig
Volk von Gottesgelahrten. „Es wird gelehrt“, „Es wird
gelehrt“, beginnen die einzelnen von Melanchthon redigierten
Schmalkaldischen Artikel 26). Und es wurde gelehrt, das
ganze Volk, jeder Einzelne wurde gelehrt. „Der deutsche
Freiheitsbegriff, gleichsam eine Schöpfung der Gelehrsam-
keit“, gesteht sogar Rathenau 27). Wann wird man endlich
Reinlichkeit einführen in kategoriellen Dingen? Der Pro-
testantismus ist eine Philologie, keine Religion. Luthers
Revolte sagte zum Papst: Wir glauben dir nicht mehr.
Wir wollen das Dokument einsehen. Wir glauben nur an
das Dokument 28). Liegt darin aber etwas schöpferisch
Neues, eine neue Religion? Dann wäre heute eine neue
Religion, vom Papst in Berlin die Dokumente zum Welt-
krieg zu fordern und auf der Uebersetzung der ausländischen
Dokumente zu bestehen, die sich damit beschäftigen. Gibt
es noch Protestanten? Wo bleibt die Gewissensfrage? Auch
die Bibel ist ein Fetzen Papier, wenn man will. Internationale
Verträge sind heute wichtiger geworden als die Bibel. Wenn
man solche Verträge zerreisst, kostet es mehr Blut, als
zwanzig Herrgötter vergeben können. An die Schuldfrage
sollt ihr euch halten. Um die Schriftmoral braucht euch
nicht bange zu sein. Ein neues Europa ist die Moral.

Um die Kulturbasis ging in Europa damals der Streit.
Dies wieder war eine pädagogische Frage. Arabische, grie-
chische und jüdische Bildungselemente kämpften um den
Vorrang. Die italienische und französische Renaissance
entschied sich für den Hellenismus und brachte dadurch
Europa eine Lichtflut von Aufhellung, Aufklärung. Luther
und die Deutschen entschieden sich für die Bibel und damit
für die jüdische Tradition. Dies bedeutete unendliches

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[31/0039] Den einfachen Mann überkamen die krausesten Probleme, denen er nur mit Stirnrunzeln und Verbitterung sich unter- zog. Und da Luther gleichzeitig die ganze theologische Tradition der Klöster in den Alltag warf, wurde das ganze Volk von unverdaulichem Wust überschwemmt, ein einzig Volk von Gottesgelahrten. „Es wird gelehrt“, „Es wird gelehrt“, beginnen die einzelnen von Melanchthon redigierten Schmalkaldischen Artikel ²⁶⁾ . Und es wurde gelehrt, das ganze Volk, jeder Einzelne wurde gelehrt. „Der deutsche Freiheitsbegriff, gleichsam eine Schöpfung der Gelehrsam- keit“, gesteht sogar Rathenau ²⁷⁾ . Wann wird man endlich Reinlichkeit einführen in kategoriellen Dingen? Der Pro- testantismus ist eine Philologie, keine Religion. Luthers Revolte sagte zum Papst: Wir glauben dir nicht mehr. Wir wollen das Dokument einsehen. Wir glauben nur an das Dokument ²⁸⁾ . Liegt darin aber etwas schöpferisch Neues, eine neue Religion? Dann wäre heute eine neue Religion, vom Papst in Berlin die Dokumente zum Welt- krieg zu fordern und auf der Uebersetzung der ausländischen Dokumente zu bestehen, die sich damit beschäftigen. Gibt es noch Protestanten? Wo bleibt die Gewissensfrage? Auch die Bibel ist ein Fetzen Papier, wenn man will. Internationale Verträge sind heute wichtiger geworden als die Bibel. Wenn man solche Verträge zerreisst, kostet es mehr Blut, als zwanzig Herrgötter vergeben können. An die Schuldfrage sollt ihr euch halten. Um die Schriftmoral braucht euch nicht bange zu sein. Ein neues Europa ist die Moral. Um die Kulturbasis ging in Europa damals der Streit. Dies wieder war eine pädagogische Frage. Arabische, grie- chische und jüdische Bildungselemente kämpften um den Vorrang. Die italienische und französische Renaissance entschied sich für den Hellenismus und brachte dadurch Europa eine Lichtflut von Aufhellung, Aufklärung. Luther und die Deutschen entschieden sich für die Bibel und damit für die jüdische Tradition. Dies bedeutete unendliches

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/39>, abgerufen am 21.11.2024.