social" den wohlbedachten revolutionären Satz: "Der Mensch ist frei geboren und ist doch überall in Banden". Schiller machte daraus nach Kants intelligiblem Muster: "Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei und würd' er in Ketten geboren". "Und diese Freiheit" (in Ketten geboren!), sagt nun Moeller van den Bruck, "war es, die Humboldt gegen den Staat sicher zu stellen suchte". Später erst, auf dem Wiener Kongress, "wo ihm nicht Hardenberg, nicht Metternich, nicht Talleyrand an Bildung, geschweige denn an Bedeutung gewachsen waren"; als Preussen "gezwungen war, das Schwergewicht von den Forderungen des Individuums und der Freiheit ganz auf die des Staates und des Zwanges zu verlegen" bekannte Humboldt vor der Wirklichkeit, dass "Sicherheit des Ganzen wichtiger ist als Freiheit des Einzelnen". Auf den Vorschlag Talleyrands, man möge den Kongress im Namen des öffentlichen Rechts eröffnen, antwortete Humboldt: "Was soll hier das öffentliche Recht"? 78) Da hat man die ganze Entwicklung: von Königsberg über Jena nach Wien.
Der einzige Lichtenberg scheint Frankreich besser verstanden zu haben. In seinen "Politischen Bemerkungen" finden sich Sätze, die noch heute gelten und seine volle Aufmerksamkeit und Sympathie für die Revolution, aber auch seine Besorgnis nicht verhehlen. "Die Lüftung der Nation kommt mir zur Aufklärung derselben unumgänglich nötig vor. Ich sehe darin nichts so sehr arges, dass man in Frankreich der christlichen Religion entsagt hat. Wie, wenn das Volk nun ohne allen äusseren Zwang in ihren Schoss zurückkehrt? Vielleicht war es nötig, sie einmal ganz aufzu- heben, um sie gereinigt wieder einzuführen" 79). Oder: "Das Traurigste, was die französische Revolution für uns bewirkt hat, ist unstreitig das, dass man jede vernünftige und von Gott und rechtswegen zu verlangende Forderung als einen Keim von Empörung ansehen wird" 80). Und 1796: "Wir wollen nun sehen, was aus der französischen Republik wird, wenn die Gesetze ausgeschlafen haben" 81). Das ist der ganze
social“ den wohlbedachten revolutionären Satz: „Der Mensch ist frei geboren und ist doch überall in Banden“. Schiller machte daraus nach Kants intelligiblem Muster: „Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei und würd' er in Ketten geboren“. „Und diese Freiheit“ (in Ketten geboren!), sagt nun Moeller van den Bruck, „war es, die Humboldt gegen den Staat sicher zu stellen suchte“. Später erst, auf dem Wiener Kongress, „wo ihm nicht Hardenberg, nicht Metternich, nicht Talleyrand an Bildung, geschweige denn an Bedeutung gewachsen waren“; als Preussen „gezwungen war, das Schwergewicht von den Forderungen des Individuums und der Freiheit ganz auf die des Staates und des Zwanges zu verlegen“ bekannte Humboldt vor der Wirklichkeit, dass „Sicherheit des Ganzen wichtiger ist als Freiheit des Einzelnen“. Auf den Vorschlag Talleyrands, man möge den Kongress im Namen des öffentlichen Rechts eröffnen, antwortete Humboldt: „Was soll hier das öffentliche Recht“? 78) Da hat man die ganze Entwicklung: von Königsberg über Jena nach Wien.
Der einzige Lichtenberg scheint Frankreich besser verstanden zu haben. In seinen „Politischen Bemerkungen“ finden sich Sätze, die noch heute gelten und seine volle Aufmerksamkeit und Sympathie für die Revolution, aber auch seine Besorgnis nicht verhehlen. „Die Lüftung der Nation kommt mir zur Aufklärung derselben unumgänglich nötig vor. Ich sehe darin nichts so sehr arges, dass man in Frankreich der christlichen Religion entsagt hat. Wie, wenn das Volk nun ohne allen äusseren Zwang in ihren Schoss zurückkehrt? Vielleicht war es nötig, sie einmal ganz aufzu- heben, um sie gereinigt wieder einzuführen“ 79). Oder: „Das Traurigste, was die französische Revolution für uns bewirkt hat, ist unstreitig das, dass man jede vernünftige und von Gott und rechtswegen zu verlangende Forderung als einen Keim von Empörung ansehen wird“ 80). Und 1796: „Wir wollen nun sehen, was aus der französischen Republik wird, wenn die Gesetze ausgeschlafen haben“ 81). Das ist der ganze
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0090"n="82"/>
social“ den wohlbedachten revolutionären Satz: „Der Mensch<lb/>
ist frei geboren und ist doch überall in Banden“. Schiller<lb/>
machte daraus nach Kants intelligiblem Muster: „Der Mensch<lb/>
ist frei geschaffen, <hirendition="#i">ist</hi> frei und würd' er in Ketten geboren“.<lb/>„Und diese Freiheit“ (in Ketten geboren!), sagt nun Moeller<lb/>
van den Bruck, „war es, die Humboldt gegen den Staat<lb/><hirendition="#i">sicher zu stellen</hi> suchte“. Später erst, auf dem Wiener Kongress,<lb/>„wo ihm nicht Hardenberg, nicht Metternich, nicht Talleyrand<lb/>
an Bildung, geschweige denn an Bedeutung gewachsen<lb/>
waren“; als Preussen „gezwungen war, das Schwergewicht<lb/>
von den Forderungen des Individuums und der Freiheit<lb/>
ganz auf die des Staates und des Zwanges zu verlegen“<lb/>
bekannte Humboldt vor der Wirklichkeit, dass „Sicherheit<lb/>
des Ganzen wichtiger ist als Freiheit des Einzelnen“. Auf<lb/>
den Vorschlag Talleyrands, man möge den Kongress im<lb/>
Namen des öffentlichen Rechts eröffnen, antwortete Humboldt:<lb/>„Was soll hier das öffentliche Recht“? <notexml:id="id78b"next="id78b78b"place="end"n="78)"/> Da hat man die<lb/>
ganze Entwicklung: von Königsberg über Jena nach Wien.</p><lb/><p>Der einzige Lichtenberg scheint Frankreich besser<lb/>
verstanden zu haben. In seinen „Politischen Bemerkungen“<lb/>
finden sich Sätze, die noch heute gelten und seine volle<lb/>
Aufmerksamkeit und Sympathie für die Revolution, aber<lb/>
auch seine Besorgnis nicht verhehlen. „Die Lüftung der<lb/>
Nation kommt mir zur Aufklärung derselben unumgänglich<lb/>
nötig vor. Ich sehe darin nichts so sehr arges, dass man<lb/>
in Frankreich der christlichen Religion entsagt hat. Wie, wenn<lb/>
das Volk nun ohne allen äusseren Zwang in ihren Schoss<lb/>
zurückkehrt? Vielleicht war es nötig, sie einmal ganz aufzu-<lb/>
heben, um sie gereinigt wieder einzuführen“<notexml:id="id79b"next="id79b79b"place="end"n="79)"/>. Oder: „Das<lb/>
Traurigste, was die französische Revolution für uns bewirkt hat,<lb/>
ist unstreitig das, dass man jede vernünftige und von Gott<lb/>
und rechtswegen zu verlangende Forderung als einen Keim<lb/>
von Empörung ansehen wird“<notexml:id="id80b"next="id80b80b"place="end"n="80)"/>. Und 1796: „Wir wollen<lb/>
nun sehen, was aus der französischen Republik wird, wenn<lb/>
die Gesetze ausgeschlafen haben“<notexml:id="id81b"next="id81b81b"place="end"n="81)"/>. Das ist der ganze<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[82/0090]
social“ den wohlbedachten revolutionären Satz: „Der Mensch
ist frei geboren und ist doch überall in Banden“. Schiller
machte daraus nach Kants intelligiblem Muster: „Der Mensch
ist frei geschaffen, ist frei und würd' er in Ketten geboren“.
„Und diese Freiheit“ (in Ketten geboren!), sagt nun Moeller
van den Bruck, „war es, die Humboldt gegen den Staat
sicher zu stellen suchte“. Später erst, auf dem Wiener Kongress,
„wo ihm nicht Hardenberg, nicht Metternich, nicht Talleyrand
an Bildung, geschweige denn an Bedeutung gewachsen
waren“; als Preussen „gezwungen war, das Schwergewicht
von den Forderungen des Individuums und der Freiheit
ganz auf die des Staates und des Zwanges zu verlegen“
bekannte Humboldt vor der Wirklichkeit, dass „Sicherheit
des Ganzen wichtiger ist als Freiheit des Einzelnen“. Auf
den Vorschlag Talleyrands, man möge den Kongress im
Namen des öffentlichen Rechts eröffnen, antwortete Humboldt:
„Was soll hier das öffentliche Recht“?
⁷⁸⁾
Da hat man die
ganze Entwicklung: von Königsberg über Jena nach Wien.
Der einzige Lichtenberg scheint Frankreich besser
verstanden zu haben. In seinen „Politischen Bemerkungen“
finden sich Sätze, die noch heute gelten und seine volle
Aufmerksamkeit und Sympathie für die Revolution, aber
auch seine Besorgnis nicht verhehlen. „Die Lüftung der
Nation kommt mir zur Aufklärung derselben unumgänglich
nötig vor. Ich sehe darin nichts so sehr arges, dass man
in Frankreich der christlichen Religion entsagt hat. Wie, wenn
das Volk nun ohne allen äusseren Zwang in ihren Schoss
zurückkehrt? Vielleicht war es nötig, sie einmal ganz aufzu-
heben, um sie gereinigt wieder einzuführen“
⁷⁹⁾
. Oder: „Das
Traurigste, was die französische Revolution für uns bewirkt hat,
ist unstreitig das, dass man jede vernünftige und von Gott
und rechtswegen zu verlangende Forderung als einen Keim
von Empörung ansehen wird“
⁸⁰⁾
. Und 1796: „Wir wollen
nun sehen, was aus der französischen Republik wird, wenn
die Gesetze ausgeschlafen haben“
⁸¹⁾
. Das ist der ganze
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/90>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.