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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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Innerhalb der in der Unterwelt Abgrund öffnenden Höhle,
und selbst in Riesenschlangengeröllen hinabragend, liegt der
greisgraue Ndengei*), halbblind, halbstumm, halbtaub um-
täubt, laut- und bewegungslos, nur die Kinnbacken regend,
um zu essen, zu essen, zu fressen, ohn' Unterlass, ohne
Ende; und Alles zieht er an sich, hinabtaumelnd in den
Schlund, Alles und Jedes auf der Erde, nicht die Seelen der
Menschen nur, sondern auch die der Thiere und Pflanzen,
ja jedes Werkzeug's und Hausgeräth's, wie sie die Fijier
auf den Wellen haben dahinfluthen sehen, zur Nimmer-
wiederkehr. Viconti erklärt Erikapäos (bei Orpheus) von
kaptein (auffressen) in Bezug auf Zeus (ton panton demas
eikhen ee eni gasteri koile), als Phanes-Erikapäos**) (bei
Suidas), kai o Erikapaions eteros katapion pantas tous
theous, os ton kronon (Gesner). Nach Eudemos (bei Damas-
cius) erkannte die orphische Theologie nichts Aelteres an,
als die Nacht (dem Po polynesischer Kosmogonie ent-
sprechend) und das unergründliche Dunkel, to agnoston
skotos, wurde in ägyptischer Kosmogonie (von Asklepiades
und Heraiskos in den alten Büchern der Priester aufgefunden)
als erstes oder Endprincip gesetzt (s. Zoega). In Tartarus,
aus Luft und Nacht gezeugt, bildete sich (wie Te Ao e
teretere noa ana bei den Maori) das Ei***), ein Ei, älter als

*) The chief Fijian god is believed to have no emotion nor appetite
but hunger, in dunkler Höhle "as a serpent merging into stone" (giving
no sign of life, but eating).
**) "Wie er (Zeus) damals erschnappend oder verschlingend die Macht
des erstgeborenen Erikapäos, die Substanz aller Dinge, in seinem hohlen
Bauch hatte" ein fressender Chronos.
***) In der Ründung des Ei drinnen bildet sich durch die Vorsehung
des göttlich in ihm eingeschlossenen Geistes ein mannweibliches Wesen,
Phanes bei Orpheus genannt, weil bei seinem Erscheinen das All davon
erglänzte (s. Zoega), wie vom Glanz Lailai's, bei ihrem Erscheinen in
hawaiischer Kosmogonie (unter Geschlechtswandlungen zum Weiblichen).
"Der Sitz des Phanes ist in den geheimsten Tiefen des Adytum der Nacht,
von ihr allein gesehen".

Innerhalb der in der Unterwelt Abgrund öffnenden Höhle,
und selbst in Riesenschlangengeröllen hinabragend, liegt der
greisgraue Ndengei*), halbblind, halbstumm, halbtaub um-
täubt, laut- und bewegungslos, nur die Kinnbacken regend,
um zu essen, zu essen, zu fressen, ohn’ Unterlass, ohne
Ende; und Alles zieht er an sich, hinabtaumelnd in den
Schlund, Alles und Jedes auf der Erde, nicht die Seelen der
Menschen nur, sondern auch die der Thiere und Pflanzen,
ja jedes Werkzeug’s und Hausgeräth’s, wie sie die Fijier
auf den Wellen haben dahinfluthen sehen, zur Nimmer-
wiederkehr. Viconti erklärt Erikapäos (bei Orpheus) von
κάπτειν (auffressen) in Bezug auf Zeus (τῶν πάντων δἔμας
εἷχεν ἑῆ ἐνί γαστέρι κοίλη), als Phanes-Erikapäos**) (bei
Suidas), καί ὁ Ἡρικαπαιο̃ς ἔτερος καταπιών πάντας τοὺς
ϑεούς, ὡς τόν κρόνον (Gesner). Nach Eudemos (bei Damas-
cius) erkannte die orphische Theologie nichts Aelteres an,
als die Nacht (dem Po polynesischer Kosmogonie ent-
sprechend) und das unergründliche Dunkel, τό ἄγνωστον
σκότος, wurde in ägyptischer Kosmogonie (von Asklepiades
und Heraiskos in den alten Büchern der Priester aufgefunden)
als erstes oder Endprincip gesetzt (s. Zoega). In Tartarus,
aus Luft und Nacht gezeugt, bildete sich (wie Te Ao e
teretere noa ana bei den Maori) das Ei***), ein Ei, älter als

*) The chief Fijian god is believed to have no emotion nor appetite
but hunger, in dunkler Höhle „as a serpent merging into stone“ (giving
no sign of life, but eating).
**) „Wie er (Zeus) damals erschnappend oder verschlingend die Macht
des erstgeborenen Erikapäos, die Substanz aller Dinge, in seinem hohlen
Bauch hatte“ ein fressender Chronos.
***) In der Ründung des Ei drinnen bildet sich durch die Vorsehung
des göttlich in ihm eingeschlossenen Geistes ein mannweibliches Wesen,
Phanes bei Orpheus genannt, weil bei seinem Erscheinen das All davon
erglänzte (s. Zoega), wie vom Glanz Lailai’s, bei ihrem Erscheinen in
hawaiischer Kosmogonie (unter Geschlechtswandlungen zum Weiblichen).
„Der Sitz des Phanes ist in den geheimsten Tiefen des Adytum der Nacht,
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[68/0102] Innerhalb der in der Unterwelt Abgrund öffnenden Höhle, und selbst in Riesenschlangengeröllen hinabragend, liegt der greisgraue Ndengei *), halbblind, halbstumm, halbtaub um- täubt, laut- und bewegungslos, nur die Kinnbacken regend, um zu essen, zu essen, zu fressen, ohn’ Unterlass, ohne Ende; und Alles zieht er an sich, hinabtaumelnd in den Schlund, Alles und Jedes auf der Erde, nicht die Seelen der Menschen nur, sondern auch die der Thiere und Pflanzen, ja jedes Werkzeug’s und Hausgeräth’s, wie sie die Fijier auf den Wellen haben dahinfluthen sehen, zur Nimmer- wiederkehr. Viconti erklärt Erikapäos (bei Orpheus) von κάπτειν (auffressen) in Bezug auf Zeus (τῶν πάντων δἔμας εἷχεν ἑῆ ἐνί γαστέρι κοίλη), als Phanes-Erikapäos **) (bei Suidas), καί ὁ Ἡρικαπαιο̃ς ἔτερος καταπιών πάντας τοὺς ϑεούς, ὡς τόν κρόνον (Gesner). Nach Eudemos (bei Damas- cius) erkannte die orphische Theologie nichts Aelteres an, als die Nacht (dem Po polynesischer Kosmogonie ent- sprechend) und das unergründliche Dunkel, τό ἄγνωστον σκότος, wurde in ägyptischer Kosmogonie (von Asklepiades und Heraiskos in den alten Büchern der Priester aufgefunden) als erstes oder Endprincip gesetzt (s. Zoega). In Tartarus, aus Luft und Nacht gezeugt, bildete sich (wie Te Ao e teretere noa ana bei den Maori) das Ei ***), ein Ei, älter als *) The chief Fijian god is believed to have no emotion nor appetite but hunger, in dunkler Höhle „as a serpent merging into stone“ (giving no sign of life, but eating). **) „Wie er (Zeus) damals erschnappend oder verschlingend die Macht des erstgeborenen Erikapäos, die Substanz aller Dinge, in seinem hohlen Bauch hatte“ ein fressender Chronos. ***) In der Ründung des Ei drinnen bildet sich durch die Vorsehung des göttlich in ihm eingeschlossenen Geistes ein mannweibliches Wesen, Phanes bei Orpheus genannt, weil bei seinem Erscheinen das All davon erglänzte (s. Zoega), wie vom Glanz Lailai’s, bei ihrem Erscheinen in hawaiischer Kosmogonie (unter Geschlechtswandlungen zum Weiblichen). „Der Sitz des Phanes ist in den geheimsten Tiefen des Adytum der Nacht, von ihr allein gesehen“.

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/102>, abgerufen am 22.11.2024.