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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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ist sie herangereift in jahrhundertjährigen Vorstadien, jetzt
aufgebrochen aus schwellenden Knospen, jetzt ist sie da,
steht sie vor uns mit ihren Fragen; uns liegt es ob, die
Antworten dafür zu finden.

Es könnte Wunder nehmen, jetzt erst von einer Wissen-
schaft des Menschen zu sprechen, von ihr, als einer neuen,
Wunder, dass der Mensch, der die ganze Natur durchforscht,
der sorgsam Steine, Pflanzen und Thiere studirt, sich selbst
vergessen haben sollte. Und doch, so ist's, meine Herren,
so ist es hier, wie mit dem Ei des Columbus: Es versteht
sich von selbst, sobald vom richtigen Ende angesehen. Ehe
ein Studium beginnen kann, muss ihm selbstverständlich sein
Gegenstand zur Hand sein, denn aus Nichts kommt Nichts,
und zum Bauen bedarf es des Materiales, da uns gegenwärtig
Luftschlösser aus Gedankenbildungen gewebt, für unsere
materialistischer gesättigten Ansprüche nicht mehr genügend
substanziell gelten. Die Menschenkunde unserer Tage ver-
langte also zunächst den Menschen, wie er leibt und lebt,
nicht zufrieden länger mit den Menschenschemen, wie in
Gedankenschildereien gemalt. So lange der beschränkte Orbis
terrarum den Gesichtskreis abschloss, sah man wohl Völker
vor sich, Theile des Menschen, aber der Ausblick in die
Menschenwelt konnte sich erst eröffnen, als die kühnen Ent-
decker das Meer des Nebels und des Dunkels durchbrachen,
als die Seefahrten den Globus abrundeten und uns nun von
allen Seiten desselben der Mensch entgegentrat in seiner
Gesammtheit. Damit war indess erst eine erste Möglichkeit
für Entstehung der Ethnologie gegeben, und bei dem vielen
Neuen, das gleichzeitig einstürzte, hatte noch geraume Zeit
zu vergehen, bis sich die Aufmerksamkeit unter den ver-
schiedenartigen Beobachtungsobjecten auf den Menschen als
solchen zu concentriren vermochte. Solch' thatsächlich reale
Auseröffnung eines Terrain für das Arbeitsfeld war immerhin
erste Vorbedingung, und daran anknüpfend lässt sich sagen,
dass es drei kritische Revolutionsstadien unserer Cultur-

ist sie herangereift in jahrhundertjährigen Vorstadien, jetzt
aufgebrochen aus schwellenden Knospen, jetzt ist sie da,
steht sie vor uns mit ihren Fragen; uns liegt es ob, die
Antworten dafür zu finden.

Es könnte Wunder nehmen, jetzt erst von einer Wissen-
schaft des Menschen zu sprechen, von ihr, als einer neuen,
Wunder, dass der Mensch, der die ganze Natur durchforscht,
der sorgsam Steine, Pflanzen und Thiere studirt, sich selbst
vergessen haben sollte. Und doch, so ist’s, meine Herren,
so ist es hier, wie mit dem Ei des Columbus: Es versteht
sich von selbst, sobald vom richtigen Ende angesehen. Ehe
ein Studium beginnen kann, muss ihm selbstverständlich sein
Gegenstand zur Hand sein, denn aus Nichts kommt Nichts,
und zum Bauen bedarf es des Materiales, da uns gegenwärtig
Luftschlösser aus Gedankenbildungen gewebt, für unsere
materialistischer gesättigten Ansprüche nicht mehr genügend
substanziell gelten. Die Menschenkunde unserer Tage ver-
langte also zunächst den Menschen, wie er leibt und lebt,
nicht zufrieden länger mit den Menschenschemen, wie in
Gedankenschildereien gemalt. So lange der beschränkte Orbis
terrarum den Gesichtskreis abschloss, sah man wohl Völker
vor sich, Theile des Menschen, aber der Ausblick in die
Menschenwelt konnte sich erst eröffnen, als die kühnen Ent-
decker das Meer des Nebels und des Dunkels durchbrachen,
als die Seefahrten den Globus abrundeten und uns nun von
allen Seiten desselben der Mensch entgegentrat in seiner
Gesammtheit. Damit war indess erst eine erste Möglichkeit
für Entstehung der Ethnologie gegeben, und bei dem vielen
Neuen, das gleichzeitig einstürzte, hatte noch geraume Zeit
zu vergehen, bis sich die Aufmerksamkeit unter den ver-
schiedenartigen Beobachtungsobjecten auf den Menschen als
solchen zu concentriren vermochte. Solch’ thatsächlich reale
Auseröffnung eines Terrain für das Arbeitsfeld war immerhin
erste Vorbedingung, und daran anknüpfend lässt sich sagen,
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[170/0204] ist sie herangereift in jahrhundertjährigen Vorstadien, jetzt aufgebrochen aus schwellenden Knospen, jetzt ist sie da, steht sie vor uns mit ihren Fragen; uns liegt es ob, die Antworten dafür zu finden. Es könnte Wunder nehmen, jetzt erst von einer Wissen- schaft des Menschen zu sprechen, von ihr, als einer neuen, Wunder, dass der Mensch, der die ganze Natur durchforscht, der sorgsam Steine, Pflanzen und Thiere studirt, sich selbst vergessen haben sollte. Und doch, so ist’s, meine Herren, so ist es hier, wie mit dem Ei des Columbus: Es versteht sich von selbst, sobald vom richtigen Ende angesehen. Ehe ein Studium beginnen kann, muss ihm selbstverständlich sein Gegenstand zur Hand sein, denn aus Nichts kommt Nichts, und zum Bauen bedarf es des Materiales, da uns gegenwärtig Luftschlösser aus Gedankenbildungen gewebt, für unsere materialistischer gesättigten Ansprüche nicht mehr genügend substanziell gelten. Die Menschenkunde unserer Tage ver- langte also zunächst den Menschen, wie er leibt und lebt, nicht zufrieden länger mit den Menschenschemen, wie in Gedankenschildereien gemalt. So lange der beschränkte Orbis terrarum den Gesichtskreis abschloss, sah man wohl Völker vor sich, Theile des Menschen, aber der Ausblick in die Menschenwelt konnte sich erst eröffnen, als die kühnen Ent- decker das Meer des Nebels und des Dunkels durchbrachen, als die Seefahrten den Globus abrundeten und uns nun von allen Seiten desselben der Mensch entgegentrat in seiner Gesammtheit. Damit war indess erst eine erste Möglichkeit für Entstehung der Ethnologie gegeben, und bei dem vielen Neuen, das gleichzeitig einstürzte, hatte noch geraume Zeit zu vergehen, bis sich die Aufmerksamkeit unter den ver- schiedenartigen Beobachtungsobjecten auf den Menschen als solchen zu concentriren vermochte. Solch’ thatsächlich reale Auseröffnung eines Terrain für das Arbeitsfeld war immerhin erste Vorbedingung, und daran anknüpfend lässt sich sagen, dass es drei kritische Revolutionsstadien unserer Cultur-

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/204>, abgerufen am 24.11.2024.