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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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Apelt u. A. m. Sie alle strebten in gleichem Sinne, sie fühlten
den Zug der Zeit, dass die Psychologie ebenfalls eine Natur-
wissenschaft werden müsste. Der Grund, dass sie gescheitert
sind, lag eben daran, dass ihnen das fehlte, was eine Induc-
tionswissenschaft als unumgänglicher Vorbedingung bedarf,
es fehlte Ihnen das Material. Beneke dachte dies in Selbst-
beobachtungen zu finden, obwohl schon Kant auf die darin
liegende Täuschung hingedeutet hatte; daneben könnte man
dann zurückgehen auf die Seele in der Psychiatrie, auf
pathologische Abweichungen, auf die Entwickelungsstufen der
Kindes-Seele, und auf die Thierseele auch mochten vorsich-
tige Seitenblicke geworfen werden, -- aber Alles das war
ein beschränktes Feld. Sobald nun dagegen einmal die Ueber-
zeugung zum Durchbruch gekommen war, dass es sich zu-
nächst überhaupt gar nicht um den Gedanken des
Einzelnen
handele, sondern um den Völkergedan-
ken
, um den Gedanken der Gesellschaft, da plötzlich lag
das Material massenhaft da, in Hülle und Fülle. Es strömte
sogar in solchen Fluthen zu, dass wir uns gewissermaassen
eines "embarras de richesse" zu erwehren hatten.

Für die Ethnologie ist der Mensch nicht mehr der in-
dividuelle Anthropos, sondern jenes Zoon politikon, das den
Gesellschaftszustand als nothwendige Vorbedingung seiner
Existenz fordert. Das Primäre ist also der Völker-
gedanke
, innerhalb welches sich der Einzelgedanke, als
integrirender Theil, seinen Verhältnisswerthen nach wird
fixiren lassen, und im Völkergedanken reflectirt sich die
ganze Welt geistiger Schöpfung, an den ethnischen Horizont
projicirt.

Diese ist dann allerdings, bei den Einzel-Individuen
wieder, für die Entwicklung zurückzuführen, in der Physio-
logie, auf den körperlichen Habitus, als dem (auch im
Psychischen gespiegelten) Abdruck des Milieu oder der
Monde ambiante, und damit auf die Anthropologie, die fest
gesicherte Stütze der Ethnologie, ohne welche dieselbe

Apelt u. A. m. Sie alle strebten in gleichem Sinne, sie fühlten
den Zug der Zeit, dass die Psychologie ebenfalls eine Natur-
wissenschaft werden müsste. Der Grund, dass sie gescheitert
sind, lag eben daran, dass ihnen das fehlte, was eine Induc-
tionswissenschaft als unumgänglicher Vorbedingung bedarf,
es fehlte Ihnen das Material. Beneke dachte dies in Selbst-
beobachtungen zu finden, obwohl schon Kant auf die darin
liegende Täuschung hingedeutet hatte; daneben könnte man
dann zurückgehen auf die Seele in der Psychiatrie, auf
pathologische Abweichungen, auf die Entwickelungsstufen der
Kindes-Seele, und auf die Thierseele auch mochten vorsich-
tige Seitenblicke geworfen werden, — aber Alles das war
ein beschränktes Feld. Sobald nun dagegen einmal die Ueber-
zeugung zum Durchbruch gekommen war, dass es sich zu-
nächst überhaupt gar nicht um den Gedanken des
Einzelnen
handele, sondern um den Völkergedan-
ken
, um den Gedanken der Gesellschaft, da plötzlich lag
das Material massenhaft da, in Hülle und Fülle. Es strömte
sogar in solchen Fluthen zu, dass wir uns gewissermaassen
eines „embarras de richesse“ zu erwehren hatten.

Für die Ethnologie ist der Mensch nicht mehr der in-
dividuelle Anthropos, sondern jenes Zoon politikon, das den
Gesellschaftszustand als nothwendige Vorbedingung seiner
Existenz fordert. Das Primäre ist also der Völker-
gedanke
, innerhalb welches sich der Einzelgedanke, als
integrirender Theil, seinen Verhältnisswerthen nach wird
fixiren lassen, und im Völkergedanken reflectirt sich die
ganze Welt geistiger Schöpfung, an den ethnischen Horizont
projicirt.

Diese ist dann allerdings, bei den Einzel-Individuen
wieder, für die Entwicklung zurückzuführen, in der Physio-
logie, auf den körperlichen Habitus, als dem (auch im
Psychischen gespiegelten) Abdruck des Milieu oder der
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[172/0206] Apelt u. A. m. Sie alle strebten in gleichem Sinne, sie fühlten den Zug der Zeit, dass die Psychologie ebenfalls eine Natur- wissenschaft werden müsste. Der Grund, dass sie gescheitert sind, lag eben daran, dass ihnen das fehlte, was eine Induc- tionswissenschaft als unumgänglicher Vorbedingung bedarf, es fehlte Ihnen das Material. Beneke dachte dies in Selbst- beobachtungen zu finden, obwohl schon Kant auf die darin liegende Täuschung hingedeutet hatte; daneben könnte man dann zurückgehen auf die Seele in der Psychiatrie, auf pathologische Abweichungen, auf die Entwickelungsstufen der Kindes-Seele, und auf die Thierseele auch mochten vorsich- tige Seitenblicke geworfen werden, — aber Alles das war ein beschränktes Feld. Sobald nun dagegen einmal die Ueber- zeugung zum Durchbruch gekommen war, dass es sich zu- nächst überhaupt gar nicht um den Gedanken des Einzelnen handele, sondern um den Völkergedan- ken, um den Gedanken der Gesellschaft, da plötzlich lag das Material massenhaft da, in Hülle und Fülle. Es strömte sogar in solchen Fluthen zu, dass wir uns gewissermaassen eines „embarras de richesse“ zu erwehren hatten. Für die Ethnologie ist der Mensch nicht mehr der in- dividuelle Anthropos, sondern jenes Zoon politikon, das den Gesellschaftszustand als nothwendige Vorbedingung seiner Existenz fordert. Das Primäre ist also der Völker- gedanke, innerhalb welches sich der Einzelgedanke, als integrirender Theil, seinen Verhältnisswerthen nach wird fixiren lassen, und im Völkergedanken reflectirt sich die ganze Welt geistiger Schöpfung, an den ethnischen Horizont projicirt. Diese ist dann allerdings, bei den Einzel-Individuen wieder, für die Entwicklung zurückzuführen, in der Physio- logie, auf den körperlichen Habitus, als dem (auch im Psychischen gespiegelten) Abdruck des Milieu oder der Monde ambiante, und damit auf die Anthropologie, die fest gesicherte Stütze der Ethnologie, ohne welche dieselbe

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/206>, abgerufen am 17.05.2024.