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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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Die Bindung durch die Religion verwickelt in den von
der Natur (zwischen Ascendenten und Descendenten) ge-
sponnenen Faden*), der in dem (bei Indianern und Indiern)
zuerst Gestorbenen die Nachgeborenen nach sich zieht (am
Leichentuche saugend, wie das Ueberlebsel im Vampyr),
hinunter in jene Unterwelt, aus der, wenn der Mundus patet,
die Miasma der Manen emporsteigen, und so die zur Stillung
des Hunger's (ceylonischer) Preta**) verpflichteten Hinter-
bliebenen mit all' jenen Befleckungen treffen, welche (fünf-
jährig, oder einjährig) die Lustrationen (piacula, piamenta,
cerimoniae) oder katharmoi (agnismoi, ilasmoi, teletai) nöthig
machen, und jene durch alle Continente verbreiteten Reinigungs-
feste, die mit Verjagung***) der Dämone, zur elementaren
Sühne, die Erlöschung des Feuers+ zu verbinden pflegen, um
kathairein ten polin, wie durch Epimenides nach dem Blutbad
(dem Amanut entstiegen, wie in den, schreckbare Erinnerungen
von Siam bis Ceylon bewahrenden, Epidemie Vesali's).

*) So oft ein Mensch stirbt, wirft ihm Nurunduri's Sohn ein Ende des
Stabseil's zu, an welchem er selbst, als bei der Wanderung nach Westen
zurückgelassen, von seinem Vater nach sich gezogen (bei den Narrinyeri).
Jama hat als Vorangegangener den Weg gezeigt.
**) Sie drängen so dicht, dass, wie der Fellah kein Wassergefäss aus-
giessen kann, ohne einen Efrit zu beleidigen, stets Gefahr ist, mit dem
Ellenbogen anzustossen, und heisshungrig sind sie, gleich Jenem unter den
"Spirits" der Dayak, welcher "follows the people to pick up fragments of
food, which have fallen through the open flooring of their houses, and is
heard at night munching away below" (St. John).
***) In dem Wald in Siam. Am Calabar suchen unter gegenseitigem
Zutreiben die Dörfer durch Verspätung einander zu betrügen, und wegen
solches Hin- und Hertreiben zwischen den Inseln gerathen dieselben in
Krieg (in der Gruppe der Nicobaren).
+ Die Erneuerung geschieht, wie im Ueberlebsel des Notfeuer, meist
aus reinem Holz, doch liess sich auf sonniger Hochfläche der Brennspiegel
der Inca benutzen, wie ähnlich bei vestalischem Feuer die Hohlgefässe.
Beim Fest Toxuihmalpilia fand die Erneuerung in Mexico auf dem Hügel
Huixachtla statt. Der Magier reinigte das gewöhnliche Feuer am Aderan-
Feuer und dieses am Behram-Feuer.

Die Bindung durch die Religion verwickelt in den von
der Natur (zwischen Ascendenten und Descendenten) ge-
sponnenen Faden*), der in dem (bei Indianern und Indiern)
zuerst Gestorbenen die Nachgeborenen nach sich zieht (am
Leichentuche saugend, wie das Ueberlebsel im Vampyr),
hinunter in jene Unterwelt, aus der, wenn der Mundus patet,
die Miasma der Manen emporsteigen, und so die zur Stillung
des Hunger’s (ceylonischer) Preta**) verpflichteten Hinter-
bliebenen mit all’ jenen Befleckungen treffen, welche (fünf-
jährig, oder einjährig) die Lustrationen (piacula, piamenta,
cerimoniae) oder καϑαρμοι (ἀγνισμοι, ίλασμοι, τελεταί) nöthig
machen, und jene durch alle Continente verbreiteten Reinigungs-
feste, die mit Verjagung***) der Dämone, zur elementaren
Sühne, die Erlöschung des Feuers zu verbinden pflegen, um
καϑαίρειν τὴν πόλιν, wie durch Epimenides nach dem Blutbad
(dem Amanut entstiegen, wie in den, schreckbare Erinnerungen
von Siam bis Ceylon bewahrenden, Epidemie Vesali’s).

*) So oft ein Mensch stirbt, wirft ihm Nurunduri’s Sohn ein Ende des
Stabseil’s zu, an welchem er selbst, als bei der Wanderung nach Westen
zurückgelassen, von seinem Vater nach sich gezogen (bei den Narrinyeri).
Jama hat als Vorangegangener den Weg gezeigt.
**) Sie drängen so dicht, dass, wie der Fellah kein Wassergefäss aus-
giessen kann, ohne einen Efrit zu beleidigen, stets Gefahr ist, mit dem
Ellenbogen anzustossen, und heisshungrig sind sie, gleich Jenem unter den
„Spirits“ der Dayak, welcher „follows the people to pick up fragments of
food, which have fallen through the open flooring of their houses, and is
heard at night munching away below“ (St. John).
***) In dem Wald in Siam. Am Calabar suchen unter gegenseitigem
Zutreiben die Dörfer durch Verspätung einander zu betrügen, und wegen
solches Hin- und Hertreiben zwischen den Inseln gerathen dieselben in
Krieg (in der Gruppe der Nicobaren).
Die Erneuerung geschieht, wie im Ueberlebsel des Notfeuer, meist
aus reinem Holz, doch liess sich auf sonniger Hochfläche der Brennspiegel
der Inca benutzen, wie ähnlich bei vestalischem Feuer die Hohlgefässe.
Beim Fest Toxuihmalpilia fand die Erneuerung in Mexico auf dem Hügel
Huixachtla statt. Der Magier reinigte das gewöhnliche Feuer am Aderan-
Feuer und dieses am Behram-Feuer.
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[62/0096] Die Bindung durch die Religion verwickelt in den von der Natur (zwischen Ascendenten und Descendenten) ge- sponnenen Faden *), der in dem (bei Indianern und Indiern) zuerst Gestorbenen die Nachgeborenen nach sich zieht (am Leichentuche saugend, wie das Ueberlebsel im Vampyr), hinunter in jene Unterwelt, aus der, wenn der Mundus patet, die Miasma der Manen emporsteigen, und so die zur Stillung des Hunger’s (ceylonischer) Preta **) verpflichteten Hinter- bliebenen mit all’ jenen Befleckungen treffen, welche (fünf- jährig, oder einjährig) die Lustrationen (piacula, piamenta, cerimoniae) oder καϑαρμοι (ἀγνισμοι, ίλασμοι, τελεταί) nöthig machen, und jene durch alle Continente verbreiteten Reinigungs- feste, die mit Verjagung ***) der Dämone, zur elementaren Sühne, die Erlöschung des Feuers † zu verbinden pflegen, um καϑαίρειν τὴν πόλιν, wie durch Epimenides nach dem Blutbad (dem Amanut entstiegen, wie in den, schreckbare Erinnerungen von Siam bis Ceylon bewahrenden, Epidemie Vesali’s). *) So oft ein Mensch stirbt, wirft ihm Nurunduri’s Sohn ein Ende des Stabseil’s zu, an welchem er selbst, als bei der Wanderung nach Westen zurückgelassen, von seinem Vater nach sich gezogen (bei den Narrinyeri). Jama hat als Vorangegangener den Weg gezeigt. **) Sie drängen so dicht, dass, wie der Fellah kein Wassergefäss aus- giessen kann, ohne einen Efrit zu beleidigen, stets Gefahr ist, mit dem Ellenbogen anzustossen, und heisshungrig sind sie, gleich Jenem unter den „Spirits“ der Dayak, welcher „follows the people to pick up fragments of food, which have fallen through the open flooring of their houses, and is heard at night munching away below“ (St. John). ***) In dem Wald in Siam. Am Calabar suchen unter gegenseitigem Zutreiben die Dörfer durch Verspätung einander zu betrügen, und wegen solches Hin- und Hertreiben zwischen den Inseln gerathen dieselben in Krieg (in der Gruppe der Nicobaren). † Die Erneuerung geschieht, wie im Ueberlebsel des Notfeuer, meist aus reinem Holz, doch liess sich auf sonniger Hochfläche der Brennspiegel der Inca benutzen, wie ähnlich bei vestalischem Feuer die Hohlgefässe. Beim Fest Toxuihmalpilia fand die Erneuerung in Mexico auf dem Hügel Huixachtla statt. Der Magier reinigte das gewöhnliche Feuer am Aderan- Feuer und dieses am Behram-Feuer.

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/96>, abgerufen am 17.05.2024.