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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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vermochte, sie ließen sich zwar von den Verehrern Shake¬
speare's sagen: daß in damaliger Zeit andere Sitten
geherrscht, -- Julia von den Eltern nicht geliebt worden
sei, also auch keine Hinneigung, Vertrauen von ihr ge¬
fordert werden durfte, -- unter dem glühenden Himmel
Italiens schlüge das Herz eines fünfzehnjährigen Mäd¬
chens feuriger, ihr Charakter entwickle sich schneller und
selbstständiger, als bei einer dreißig Jahre zählenden
Frau im kühlen Norddeutschland ... Ruhig, aber mit
eigensinnigem Beharren, entgegneten die guten, ehrlichen
Karlsruher: ein sittsames Mädchen dürfe doch nach dem
ersten Erblicken des Geliebten, und sei er so hold wie
Romeo, nicht denken -- viel weniger aussprechen:

" ... Ist er vermählt,
So ist ein Grab zum Brautbett mir erwählt!"
-- und Romeo, nicht Julia, hätte sagen sollen:
"Wenn Deine Liebe tugendsam gesinnt
Vermählung wünscht, so laß mich morgen wissen
Durch Jemand, den ich zu Dir senden will,
Wo Du die Trauung willst, und wann vollziehen;
Dann leg' ich Dir mein ganzes Glück zu Füßen,
Und folge durch die Welt Dir -- dem Gebieter ..."
-- -- Das schicke sich nicht!

Nichts natürlicher, als meine Spannung auf die
erste Aufführung von Romeo und Julie in Berlin.
Madame Stich's Erscheinen frappirte mich. Julia schritt
gleich einer Juno imposant daher -- selbstbewußt --
selbstständig ... Ihre Feueraugen senkten sich nicht ver¬
schüchtert vor den flammenden Blicken Romeo's. Das

vermochte, ſie ließen ſich zwar von den Verehrern Shake¬
ſpeare's ſagen: daß in damaliger Zeit andere Sitten
geherrſcht, — Julia von den Eltern nicht geliebt worden
ſei, alſo auch keine Hinneigung, Vertrauen von ihr ge¬
fordert werden durfte, — unter dem glühenden Himmel
Italiens ſchlüge das Herz eines fünfzehnjährigen Mäd¬
chens feuriger, ihr Charakter entwickle ſich ſchneller und
ſelbſtſtändiger, als bei einer dreißig Jahre zählenden
Frau im kühlen Norddeutſchland … Ruhig, aber mit
eigenſinnigem Beharren, entgegneten die guten, ehrlichen
Karlsruher: ein ſittſames Mädchen dürfe doch nach dem
erſten Erblicken des Geliebten, und ſei er ſo hold wie
Romeo, nicht denken — viel weniger ausſprechen:

» … Iſt er vermählt,
So iſt ein Grab zum Brautbett mir erwählt!«
— und Romeo, nicht Julia, hätte ſagen ſollen:
»Wenn Deine Liebe tugendſam geſinnt
Vermählung wünſcht, ſo laß mich morgen wiſſen
Durch Jemand, den ich zu Dir ſenden will,
Wo Du die Trauung willſt, und wann vollziehen;
Dann leg' ich Dir mein ganzes Glück zu Füßen,
Und folge durch die Welt Dir — dem Gebieter …«
— — Das ſchicke ſich nicht!

Nichts natürlicher, als meine Spannung auf die
erſte Aufführung von Romeo und Julie in Berlin.
Madame Stich's Erſcheinen frappirte mich. Julia ſchritt
gleich einer Juno impoſant daher — ſelbſtbewußt —
ſelbſtſtändig … Ihre Feueraugen ſenkten ſich nicht ver¬
ſchüchtert vor den flammenden Blicken Romeo's. Das

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[165/0193] vermochte, ſie ließen ſich zwar von den Verehrern Shake¬ ſpeare's ſagen: daß in damaliger Zeit andere Sitten geherrſcht, — Julia von den Eltern nicht geliebt worden ſei, alſo auch keine Hinneigung, Vertrauen von ihr ge¬ fordert werden durfte, — unter dem glühenden Himmel Italiens ſchlüge das Herz eines fünfzehnjährigen Mäd¬ chens feuriger, ihr Charakter entwickle ſich ſchneller und ſelbſtſtändiger, als bei einer dreißig Jahre zählenden Frau im kühlen Norddeutſchland … Ruhig, aber mit eigenſinnigem Beharren, entgegneten die guten, ehrlichen Karlsruher: ein ſittſames Mädchen dürfe doch nach dem erſten Erblicken des Geliebten, und ſei er ſo hold wie Romeo, nicht denken — viel weniger ausſprechen: » … Iſt er vermählt, So iſt ein Grab zum Brautbett mir erwählt!« — und Romeo, nicht Julia, hätte ſagen ſollen: »Wenn Deine Liebe tugendſam geſinnt Vermählung wünſcht, ſo laß mich morgen wiſſen Durch Jemand, den ich zu Dir ſenden will, Wo Du die Trauung willſt, und wann vollziehen; Dann leg' ich Dir mein ganzes Glück zu Füßen, Und folge durch die Welt Dir — dem Gebieter …« — — Das ſchicke ſich nicht! Nichts natürlicher, als meine Spannung auf die erſte Aufführung von Romeo und Julie in Berlin. Madame Stich's Erſcheinen frappirte mich. Julia ſchritt gleich einer Juno impoſant daher — ſelbſtbewußt — ſelbſtſtändig … Ihre Feueraugen ſenkten ſich nicht ver¬ ſchüchtert vor den flammenden Blicken Romeo's. Das

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/193>, abgerufen am 22.11.2024.