Die sonst so belebte Residenz schien wie in Schlummer versunken. Sämmtliche Theater waren auf kaiserlichen Befehl geschlossen worden; Konzerte und Bälle wurden verschoben, denn die Vornehmen und Reichen, sonst Kutscher und Pferde nicht eben schonend, fühlten doch jetzt ein menschliches Rühren und wollten bei der grim¬ migen Kälte die Equipagen nicht stundenlang ihrer im Freien harren lassen.
Unvermeidliche Ausfahrten der Militairs, Beamten, Geschäftsleute u. s. w. wurden in bedeckten, sorglich ge¬ schlossenen Schlitten eiligst abgemacht. Gar zu komisch nahmen sich die Fußgänger mit den enormen Cache-nez aus, und wagten ja Befreundete bei der feindlichen Tem¬ peratur uns zu besuchen, währte das Entpuppen aus den schützenden Hüllen stets einige Minuten. Erschienen dabei die Nasenspitzen verdächtig weiß, so wurde, unter Lachen, der erfrorene Theil mit Schnee eifrigst gerieben, um ihn wieder zu beleben.
Bruder Louis besuchte uns, trotz der Kälte, eines Sonntags Nachmittags. In gar gemüthlicher Stim¬ mung setzten wir uns zum Kaffee, denn es war gut sein im warmen, behaglichen Zimmer, von keiner Sorge be¬ lästigt in der für Viele so schweren Zeit. Wir sprachen von der Noth der ärmeren Klassen. "Zum Glück ist das Holz in Petersburg wohlfeil und die Menschen sind hülf¬ reich," sagte die Mutter, -- "hier wird Niemand ver¬ hungern noch erfrieren." Kaum war das letzte Wort gesprochen, als die Thürklingel heftig gezogen wurde, und
Die ſonſt ſo belebte Reſidenz ſchien wie in Schlummer verſunken. Sämmtliche Theater waren auf kaiſerlichen Befehl geſchloſſen worden; Konzerte und Bälle wurden verſchoben, denn die Vornehmen und Reichen, ſonſt Kutſcher und Pferde nicht eben ſchonend, fühlten doch jetzt ein menſchliches Rühren und wollten bei der grim¬ migen Kälte die Equipagen nicht ſtundenlang ihrer im Freien harren laſſen.
Unvermeidliche Ausfahrten der Militairs, Beamten, Geſchäftsleute u. ſ. w. wurden in bedeckten, ſorglich ge¬ ſchloſſenen Schlitten eiligſt abgemacht. Gar zu komiſch nahmen ſich die Fußgänger mit den enormen Cache-nez aus, und wagten ja Befreundete bei der feindlichen Tem¬ peratur uns zu beſuchen, währte das Entpuppen aus den ſchützenden Hüllen ſtets einige Minuten. Erſchienen dabei die Naſenſpitzen verdächtig weiß, ſo wurde, unter Lachen, der erfrorene Theil mit Schnee eifrigſt gerieben, um ihn wieder zu beleben.
Bruder Louis beſuchte uns, trotz der Kälte, eines Sonntags Nachmittags. In gar gemüthlicher Stim¬ mung ſetzten wir uns zum Kaffee, denn es war gut ſein im warmen, behaglichen Zimmer, von keiner Sorge be¬ läſtigt in der für Viele ſo ſchweren Zeit. Wir ſprachen von der Noth der ärmeren Klaſſen. »Zum Glück iſt das Holz in Petersburg wohlfeil und die Menſchen ſind hülf¬ reich,« ſagte die Mutter, — »hier wird Niemand ver¬ hungern noch erfrieren.« Kaum war das letzte Wort geſprochen, als die Thürklingel heftig gezogen wurde, und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0260"n="232"/>
Die ſonſt ſo belebte Reſidenz ſchien wie in Schlummer<lb/>
verſunken. Sämmtliche Theater waren auf kaiſerlichen<lb/>
Befehl geſchloſſen worden; Konzerte und Bälle wurden<lb/>
verſchoben, denn die Vornehmen und Reichen, ſonſt<lb/>
Kutſcher und Pferde nicht eben ſchonend, fühlten doch<lb/>
jetzt ein menſchliches Rühren und wollten bei der grim¬<lb/>
migen Kälte die Equipagen nicht ſtundenlang ihrer im<lb/>
Freien harren laſſen.</p><lb/><p>Unvermeidliche Ausfahrten der Militairs, Beamten,<lb/>
Geſchäftsleute u. ſ. w. wurden in bedeckten, ſorglich ge¬<lb/>ſchloſſenen Schlitten eiligſt abgemacht. Gar zu komiſch<lb/>
nahmen ſich die Fußgänger mit den enormen <hirendition="#aq">Cache-nez</hi><lb/>
aus, und wagten ja Befreundete bei der feindlichen Tem¬<lb/>
peratur uns zu beſuchen, währte das Entpuppen aus<lb/>
den ſchützenden Hüllen ſtets einige Minuten. Erſchienen<lb/>
dabei die Naſenſpitzen verdächtig weiß, ſo wurde, unter<lb/>
Lachen, der erfrorene Theil mit Schnee eifrigſt gerieben,<lb/>
um ihn wieder zu beleben.</p><lb/><p>Bruder Louis beſuchte uns, trotz der Kälte, eines<lb/>
Sonntags Nachmittags. In gar gemüthlicher Stim¬<lb/>
mung ſetzten wir uns zum Kaffee, denn es war gut ſein<lb/>
im warmen, behaglichen Zimmer, von keiner Sorge be¬<lb/>
läſtigt in der für Viele ſo ſchweren Zeit. Wir ſprachen<lb/>
von der Noth der ärmeren Klaſſen. »Zum Glück iſt das<lb/>
Holz in Petersburg wohlfeil und die Menſchen ſind hülf¬<lb/>
reich,« ſagte die Mutter, — »hier wird Niemand ver¬<lb/>
hungern noch erfrieren.« Kaum war das letzte Wort<lb/>
geſprochen, als die Thürklingel heftig gezogen wurde, und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[232/0260]
Die ſonſt ſo belebte Reſidenz ſchien wie in Schlummer
verſunken. Sämmtliche Theater waren auf kaiſerlichen
Befehl geſchloſſen worden; Konzerte und Bälle wurden
verſchoben, denn die Vornehmen und Reichen, ſonſt
Kutſcher und Pferde nicht eben ſchonend, fühlten doch
jetzt ein menſchliches Rühren und wollten bei der grim¬
migen Kälte die Equipagen nicht ſtundenlang ihrer im
Freien harren laſſen.
Unvermeidliche Ausfahrten der Militairs, Beamten,
Geſchäftsleute u. ſ. w. wurden in bedeckten, ſorglich ge¬
ſchloſſenen Schlitten eiligſt abgemacht. Gar zu komiſch
nahmen ſich die Fußgänger mit den enormen Cache-nez
aus, und wagten ja Befreundete bei der feindlichen Tem¬
peratur uns zu beſuchen, währte das Entpuppen aus
den ſchützenden Hüllen ſtets einige Minuten. Erſchienen
dabei die Naſenſpitzen verdächtig weiß, ſo wurde, unter
Lachen, der erfrorene Theil mit Schnee eifrigſt gerieben,
um ihn wieder zu beleben.
Bruder Louis beſuchte uns, trotz der Kälte, eines
Sonntags Nachmittags. In gar gemüthlicher Stim¬
mung ſetzten wir uns zum Kaffee, denn es war gut ſein
im warmen, behaglichen Zimmer, von keiner Sorge be¬
läſtigt in der für Viele ſo ſchweren Zeit. Wir ſprachen
von der Noth der ärmeren Klaſſen. »Zum Glück iſt das
Holz in Petersburg wohlfeil und die Menſchen ſind hülf¬
reich,« ſagte die Mutter, — »hier wird Niemand ver¬
hungern noch erfrieren.« Kaum war das letzte Wort
geſprochen, als die Thürklingel heftig gezogen wurde, und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/260>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.