ein, das Spiel einer Wandertruppe, die in Bruchsal einige Vorstellungen gegeben, nachahmen zu können, so auch den Tanz eines Seiltänzers, den ich als kleiner Knirps mit angesehen. Wenn Trübsinn im Hause herrschte, hieß es von den Brüdern gewöhnlich: "Ko¬ mödiantin, spiele uns etwas vor!" -- und die kleine Komödiantin gab sich alle Mühe, die Traurigen zu er¬ heitern. Wenn bei Kaffeevisiten die Unterhaltung stockte, hieß es: "Linchen, tanze!" und freudestrahlend that ich mein Bestes. Einen Stock als Balancirstange nach Art der Seiltänzer haltend, stellte ich mich auf eine Ritze des Fußbodens, und hin und her ging es auf dem Pseudo-Seil mit den zierlichsten Pas. Eine alte Dame, die einst diese Seiltänzersprünge sah, hielt mich für -- behext -- und schlug das Kreuz vor mir. Erst meine der Kammerjungfer abgelauschten Lieder: "In einem Thal bei armen Hirten", und "Willst Dich, Hektor, ewig von mir wenden", welche ich rein und wohlklingend gesungen haben soll, vermochten sie etwas zu beruhigen. -- Einst mußten viele Knaben Bruchsals in's Gefäng¬ niß wandern, so auch meine Brüder als Hauptschuldige -- als Anführer. Sie hatten ein Feuerwerk abbrennen wollen -- und verbrannten sich dabei nebst einigen Scheunen. Die Brüder saßen im Nord- und Südthurm. Da war es wenigstens hell und luftig. Eine ganze Woche lang wanderte ich nun nach dem Nord- und Südthurme. Hinein durfte ich nicht, aber von außen hinaufsprechen und Obst und Brod für sie abliefern. Da stand ich
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ein, das Spiel einer Wandertruppe, die in Bruchſal einige Vorſtellungen gegeben, nachahmen zu können, ſo auch den Tanz eines Seiltänzers, den ich als kleiner Knirps mit angeſehen. Wenn Trübſinn im Hauſe herrſchte, hieß es von den Brüdern gewöhnlich: »Ko¬ mödiantin, ſpiele uns etwas vor!« — und die kleine Komödiantin gab ſich alle Mühe, die Traurigen zu er¬ heitern. Wenn bei Kaffeeviſiten die Unterhaltung ſtockte, hieß es: »Linchen, tanze!« und freudeſtrahlend that ich mein Beſtes. Einen Stock als Balancirſtange nach Art der Seiltänzer haltend, ſtellte ich mich auf eine Ritze des Fußbodens, und hin und her ging es auf dem Pſeudo-Seil mit den zierlichſten Pas. Eine alte Dame, die einſt dieſe Seiltänzerſprünge ſah, hielt mich für — behext — und ſchlug das Kreuz vor mir. Erſt meine der Kammerjungfer abgelauſchten Lieder: »In einem Thal bei armen Hirten«, und »Willſt Dich, Hektor, ewig von mir wenden«, welche ich rein und wohlklingend geſungen haben ſoll, vermochten ſie etwas zu beruhigen. — Einſt mußten viele Knaben Bruchſals in's Gefäng¬ niß wandern, ſo auch meine Brüder als Hauptſchuldige — als Anführer. Sie hatten ein Feuerwerk abbrennen wollen — und verbrannten ſich dabei nebſt einigen Scheunen. Die Brüder ſaßen im Nord- und Südthurm. Da war es wenigſtens hell und luftig. Eine ganze Woche lang wanderte ich nun nach dem Nord- und Südthurme. Hinein durfte ich nicht, aber von außen hinaufſprechen und Obſt und Brod für ſie abliefern. Da ſtand ich
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ein, das Spiel einer Wandertruppe, die in Bruchſal
einige Vorſtellungen gegeben, nachahmen zu können, ſo
auch den Tanz eines Seiltänzers, den ich als kleiner
Knirps mit angeſehen. Wenn Trübſinn im Hauſe
herrſchte, hieß es von den Brüdern gewöhnlich: »Ko¬
mödiantin, ſpiele uns etwas vor!« — und die kleine
Komödiantin gab ſich alle Mühe, die Traurigen zu er¬
heitern. Wenn bei Kaffeeviſiten die Unterhaltung ſtockte,
hieß es: »Linchen, tanze!« und freudeſtrahlend that ich
mein Beſtes. Einen Stock als Balancirſtange nach Art
der Seiltänzer haltend, ſtellte ich mich auf eine Ritze
des Fußbodens, und hin und her ging es auf dem
Pſeudo-Seil mit den zierlichſten Pas. Eine alte Dame,
die einſt dieſe Seiltänzerſprünge ſah, hielt mich für —
behext — und ſchlug das Kreuz vor mir. Erſt meine
der Kammerjungfer abgelauſchten Lieder: »In einem
Thal bei armen Hirten«, und »Willſt Dich, Hektor,
ewig von mir wenden«, welche ich rein und wohlklingend
geſungen haben ſoll, vermochten ſie etwas zu beruhigen.
— Einſt mußten viele Knaben Bruchſals in's Gefäng¬
niß wandern, ſo auch meine Brüder als Hauptſchuldige
— als Anführer. Sie hatten ein Feuerwerk abbrennen
wollen — und verbrannten ſich dabei nebſt einigen
Scheunen. Die Brüder ſaßen im Nord- und Südthurm.
Da war es wenigſtens hell und luftig. Eine ganze Woche
lang wanderte ich nun nach dem Nord- und Südthurme.
Hinein durfte ich nicht, aber von außen hinaufſprechen
und Obſt und Brod für ſie abliefern. Da ſtand ich
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/31>, abgerufen am 21.11.2024.
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