kreise, in dem ich bald heimisch war. Wie lauschten wir Jungen auf jedes Wort! Mit innigster Verehrung blickte ich auf die Sprechenden mit dem niederwallenden Haar, den edlen Zügen und den ausdrucksvollen, klugen, mild verklärten Augen. Gütiges Lächeln umspielte die Lippen und ermuthigte zu bescheidenen Fragen. Welch' goldene Lehren prägten sich da uns ein in's junge Herz und Gedächtniß! Und wie harmlos heiter konnten diese liebens¬ würdigen Greise dann wieder sich und uns necken!
Nie werde ich vergessen, wie anmuthig scherzend Schreiber einst fragte: "Weshalb benahmen Sie denn Ludwig Tieck jede Hoffnung, Neues schaffen zu wollen, lieber Freund?" -- "Weil ich nicht gegen meine Ueber¬ zeugung sprechen durfte!" entgegnete Hebel. -- "Dürfen wir nichts davon erfahren?" riefen wir im Chor. -- Hebel nickte lächelnd und Schreiber fuhr fort: "Tieck hielt sich auf seiner Reise nach Baden einige Tage hier auf und wir sahen ihn öfters. Als ich ihm mit Freund Hebel Lebewohl sagte, kam das Gespräch auf die aleman¬ nischen Gedichte. Tieck erschöpfte sich in Lobeserhebungen und sagte: "Weshalb, Verehrtester, schreiben Sie nicht mehr solcher allerliebsten Sachen?" Treuherzig und mit größter Ruhe antwortete unser Kirchenrath: "Weil mer nix, mehr einfalle thut!"
"Tieck schien seinen Ohren nicht zu trauen, und wiederholte in seiner gewinnenden, bezaubernden Sprach¬ weise im feinsten Hochdeutsch: "O! Sie wollen die Welt mit herrlicheren Dingen überraschen!" Aber unser Hebel
kreiſe, in dem ich bald heimiſch war. Wie lauſchten wir Jungen auf jedes Wort! Mit innigſter Verehrung blickte ich auf die Sprechenden mit dem niederwallenden Haar, den edlen Zügen und den ausdrucksvollen, klugen, mild verklärten Augen. Gütiges Lächeln umſpielte die Lippen und ermuthigte zu beſcheidenen Fragen. Welch' goldene Lehren prägten ſich da uns ein in's junge Herz und Gedächtniß! Und wie harmlos heiter konnten dieſe liebens¬ würdigen Greiſe dann wieder ſich und uns necken!
Nie werde ich vergeſſen, wie anmuthig ſcherzend Schreiber einſt fragte: »Weshalb benahmen Sie denn Ludwig Tieck jede Hoffnung, Neues ſchaffen zu wollen, lieber Freund?« — »Weil ich nicht gegen meine Ueber¬ zeugung ſprechen durfte!« entgegnete Hebel. — »Dürfen wir nichts davon erfahren?« riefen wir im Chor. — Hebel nickte lächelnd und Schreiber fuhr fort: »Tieck hielt ſich auf ſeiner Reiſe nach Baden einige Tage hier auf und wir ſahen ihn öfters. Als ich ihm mit Freund Hebel Lebewohl ſagte, kam das Geſpräch auf die aleman¬ niſchen Gedichte. Tieck erſchöpfte ſich in Lobeserhebungen und ſagte: »Weshalb, Verehrteſter, ſchreiben Sie nicht mehr ſolcher allerliebſten Sachen?« Treuherzig und mit größter Ruhe antwortete unſer Kirchenrath: »Weil mer nix, mehr einfalle thut!«
»Tieck ſchien ſeinen Ohren nicht zu trauen, und wiederholte in ſeiner gewinnenden, bezaubernden Sprach¬ weiſe im feinſten Hochdeutſch: »O! Sie wollen die Welt mit herrlicheren Dingen überraſchen!« Aber unſer Hebel
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kreiſe, in dem ich bald heimiſch war. Wie lauſchten wir
Jungen auf jedes Wort! Mit innigſter Verehrung blickte
ich auf die Sprechenden mit dem niederwallenden Haar,
den edlen Zügen und den ausdrucksvollen, klugen, mild
verklärten Augen. Gütiges Lächeln umſpielte die Lippen
und ermuthigte zu beſcheidenen Fragen. Welch' goldene
Lehren prägten ſich da uns ein in's junge Herz und
Gedächtniß! Und wie harmlos heiter konnten dieſe liebens¬
würdigen Greiſe dann wieder ſich und uns necken!
Nie werde ich vergeſſen, wie anmuthig ſcherzend
Schreiber einſt fragte: »Weshalb benahmen Sie denn
Ludwig Tieck jede Hoffnung, Neues ſchaffen zu wollen,
lieber Freund?« — »Weil ich nicht gegen meine Ueber¬
zeugung ſprechen durfte!« entgegnete Hebel. — »Dürfen
wir nichts davon erfahren?« riefen wir im Chor. —
Hebel nickte lächelnd und Schreiber fuhr fort: »Tieck
hielt ſich auf ſeiner Reiſe nach Baden einige Tage hier
auf und wir ſahen ihn öfters. Als ich ihm mit Freund
Hebel Lebewohl ſagte, kam das Geſpräch auf die aleman¬
niſchen Gedichte. Tieck erſchöpfte ſich in Lobeserhebungen
und ſagte: »Weshalb, Verehrteſter, ſchreiben Sie nicht
mehr ſolcher allerliebſten Sachen?« Treuherzig und mit
größter Ruhe antwortete unſer Kirchenrath: »Weil mer
nix, mehr einfalle thut!«
»Tieck ſchien ſeinen Ohren nicht zu trauen, und
wiederholte in ſeiner gewinnenden, bezaubernden Sprach¬
weiſe im feinſten Hochdeutſch: »O! Sie wollen die Welt
mit herrlicheren Dingen überraſchen!« Aber unſer Hebel
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/36>, abgerufen am 21.11.2024.
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