seufzte stets so erbärmlich auf, wenn er mich sah -- wie über eine verlorene Seele.
Bei der Aufführung von Alexander und Darius erhielt ich statt der mir sonst sicher zu Theil gewordenen Glanzrolle der Tänzerin -- -- die entsetzliche Strafrolle "Vertraute der Statira", die nur die sieben Worte zu sagen hat: "Mein Geliebter todt? -- -- dann sterb' ich auch!" -- Sprach's und thut's! --"
So, in die heiterste Laune versetzt, traten Maltitz und ich unsere Wanderung zu Tiedge an -- er wie in Siebenmeilenstiefeln ausschreitend, die langen Arme in den bedenklichsten Pendelschwingungen ...
"Aber, Baron, bedenken Sie doch, daß wir Komö¬ diantinnen stets auf der Szene sind und vom lieben Publikum angestarrt und bekrittelt werden, -- wenn wir auch nur über die Dresdener Elbbrücke im Erynnien- Pas schreiten ..." sagte ich athemlos und schloß pa¬ rodirend:
"So schreiten nicht Theater-Damen -- Da heißt's: hübsch zierlich -- demi-pas! Was Dresden "klassisch" nennt in Dramen, "Emancipirt" heißt's auf der Straß ...
"Bitte! bitte! nur immer langsam voran -- ich er¬ rege wirklich bei den Vorübergehenden schon Aufsehen ..."
"Weil ein so auffallender, lächerlicher Kavalier neben Ihnen hertrabt" -- sagte Maltitz, ohne die geringste Bitterkeit auf seine kleine, verkümmerte, verwachsene Figur anspielend ... "Aber ich bin nun einmal so eine
23 *
ſeufzte ſtets ſo erbärmlich auf, wenn er mich ſah — wie über eine verlorene Seele.
Bei der Aufführung von Alexander und Darius erhielt ich ſtatt der mir ſonſt ſicher zu Theil gewordenen Glanzrolle der Tänzerin — — die entſetzliche Strafrolle »Vertraute der Statira«, die nur die ſieben Worte zu ſagen hat: »Mein Geliebter todt? — — dann ſterb' ich auch!« — Sprach's und thut's! —«
So, in die heiterſte Laune verſetzt, traten Maltitz und ich unſere Wanderung zu Tiedge an — er wie in Siebenmeilenſtiefeln ausſchreitend, die langen Arme in den bedenklichſten Pendelſchwingungen …
»Aber, Baron, bedenken Sie doch, daß wir Komö¬ diantinnen ſtets auf der Szene ſind und vom lieben Publikum angeſtarrt und bekrittelt werden, — wenn wir auch nur über die Dresdener Elbbrücke im Erynnien- Pas ſchreiten …« ſagte ich athemlos und ſchloß pa¬ rodirend:
»So ſchreiten nicht Theater-Damen — Da heißt's: hübſch zierlich — demi-pas! Was Dresden »klaſſiſch« nennt in Dramen, »Emancipirt« heißt's auf der Straß …
»Bitte! bitte! nur immer langſam voran — ich er¬ rege wirklich bei den Vorübergehenden ſchon Aufſehen …«
»Weil ein ſo auffallender, lächerlicher Kavalier neben Ihnen hertrabt« — ſagte Maltitz, ohne die geringſte Bitterkeit auf ſeine kleine, verkümmerte, verwachſene Figur anſpielend … »Aber ich bin nun einmal ſo eine
23 *
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0383"n="355"/>ſeufzte ſtets ſo erbärmlich auf, wenn er mich ſah — wie<lb/>
über eine verlorene Seele.</p><lb/><p>Bei der Aufführung von Alexander und Darius<lb/>
erhielt ich ſtatt der mir ſonſt ſicher zu Theil gewordenen<lb/>
Glanzrolle der Tänzerin —— die entſetzliche Strafrolle<lb/>
»Vertraute der Statira«, die nur die ſieben Worte zu<lb/>ſagen hat: »Mein Geliebter todt? —— dann ſterb' ich<lb/>
auch!« — Sprach's und thut's! —«</p><lb/><p>So, in die heiterſte Laune verſetzt, traten Maltitz<lb/>
und ich unſere Wanderung zu Tiedge an — er wie in<lb/>
Siebenmeilenſtiefeln ausſchreitend, die langen Arme in<lb/>
den bedenklichſten Pendelſchwingungen …</p><lb/><p>»Aber, Baron, bedenken Sie doch, daß wir Komö¬<lb/>
diantinnen ſtets auf der Szene ſind und vom lieben<lb/>
Publikum angeſtarrt und bekrittelt werden, — wenn<lb/>
wir auch nur über die Dresdener Elbbrücke im Erynnien-<lb/>
Pas ſchreiten …« ſagte ich athemlos und ſchloß pa¬<lb/>
rodirend:</p><lb/><lgtype="poem"><l>»So ſchreiten nicht Theater-Damen —</l><lb/><l>Da heißt's: hübſch zierlich —<hirendition="#aq">demi-pas</hi>!</l><lb/><l>Was Dresden »klaſſiſch« nennt in Dramen,</l><lb/><l>»Emancipirt« heißt's auf der Straß …</l><lb/></lg><p>»Bitte! bitte! nur immer langſam voran — ich er¬<lb/>
rege wirklich bei den Vorübergehenden ſchon Aufſehen …«</p><lb/><p>»Weil ein ſo auffallender, lächerlicher Kavalier neben<lb/>
Ihnen hertrabt« —ſagte Maltitz, ohne die geringſte<lb/>
Bitterkeit auf ſeine kleine, verkümmerte, verwachſene<lb/>
Figur anſpielend … »Aber ich bin nun einmal ſo eine<lb/><fwplace="bottom"type="sig">23 *<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[355/0383]
ſeufzte ſtets ſo erbärmlich auf, wenn er mich ſah — wie
über eine verlorene Seele.
Bei der Aufführung von Alexander und Darius
erhielt ich ſtatt der mir ſonſt ſicher zu Theil gewordenen
Glanzrolle der Tänzerin — — die entſetzliche Strafrolle
»Vertraute der Statira«, die nur die ſieben Worte zu
ſagen hat: »Mein Geliebter todt? — — dann ſterb' ich
auch!« — Sprach's und thut's! —«
So, in die heiterſte Laune verſetzt, traten Maltitz
und ich unſere Wanderung zu Tiedge an — er wie in
Siebenmeilenſtiefeln ausſchreitend, die langen Arme in
den bedenklichſten Pendelſchwingungen …
»Aber, Baron, bedenken Sie doch, daß wir Komö¬
diantinnen ſtets auf der Szene ſind und vom lieben
Publikum angeſtarrt und bekrittelt werden, — wenn
wir auch nur über die Dresdener Elbbrücke im Erynnien-
Pas ſchreiten …« ſagte ich athemlos und ſchloß pa¬
rodirend:
»So ſchreiten nicht Theater-Damen —
Da heißt's: hübſch zierlich — demi-pas!
Was Dresden »klaſſiſch« nennt in Dramen,
»Emancipirt« heißt's auf der Straß …
»Bitte! bitte! nur immer langſam voran — ich er¬
rege wirklich bei den Vorübergehenden ſchon Aufſehen …«
»Weil ein ſo auffallender, lächerlicher Kavalier neben
Ihnen hertrabt« — ſagte Maltitz, ohne die geringſte
Bitterkeit auf ſeine kleine, verkümmerte, verwachſene
Figur anſpielend … »Aber ich bin nun einmal ſo eine
23 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/383>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.