Es war, als wäre die ganze Gesellschaft vom Todes¬ engel hier unten vergessen worden ...
Erst als ich auf Tiedge's Wunsch aus meinem Bühnenleben, von meinen Engagements in Berlin und Petersburg, meinen Gastspielen in den größeren Städten Deutschlands erzählte, die der Dichter ja einst als Reise¬ begleiter seiner Elisa besucht hatte, und als ich so nach und nach meine alte sprudelnde Lebhaftigkeit wiederfand und allerlei lustige Erlebnisse und Theateranekdoten aus¬ kramte -- da kam sogar etwas Leben in die Schatten¬ gesellschaft, wenn die alten Herren auch jetzt noch nur schattenhaft lächelten und ihr Flüstern wie ein Todes¬ hauch klang und Alle zusammenschraken, wenn mein Kaffeelöffel gegen die kleine zierliche Meißner Tasse ein wenig klirrte. Selbst der alte, weißköpfige Diener, der den Kaffee präsentirte, ging wie auf Sammetsohlen. Das waren sie Alle noch so gewohnt aus den Tagen der seligen Elisa, die meist an nervösem Kopfweh litt.
Tiedge war noch der Lebhafteste und interessirte sich besonders für meinen dreijährigen Aufenthalt in Peters¬ burg, wo ja seine Elisa einst auch hochgeehrt am Hofe Katharina's gelebt hatte. Eine geborene Kurländerin, Gräfin Elisabeth von Medem und Stiefschwester der be¬ rühmten Herzogin Dorothea von Kurland, hatte sie mit 17 Jahren 1771 den Freiherrn von der Recke geheirathet. Diese unglückliche Ehe, die nach sieben Jahren wieder getrennt wurde, der Tod ihrer geliebten Tochter und ihres Bruders, Friedrich von Medem, der sie mit rüh¬
Es war, als wäre die ganze Geſellſchaft vom Todes¬ engel hier unten vergeſſen worden …
Erſt als ich auf Tiedge's Wunſch aus meinem Bühnenleben, von meinen Engagements in Berlin und Petersburg, meinen Gaſtſpielen in den größeren Städten Deutſchlands erzählte, die der Dichter ja einſt als Reiſe¬ begleiter ſeiner Eliſa beſucht hatte, und als ich ſo nach und nach meine alte ſprudelnde Lebhaftigkeit wiederfand und allerlei luſtige Erlebniſſe und Theateranekdoten aus¬ kramte — da kam ſogar etwas Leben in die Schatten¬ geſellſchaft, wenn die alten Herren auch jetzt noch nur ſchattenhaft lächelten und ihr Flüſtern wie ein Todes¬ hauch klang und Alle zuſammenſchraken, wenn mein Kaffeelöffel gegen die kleine zierliche Meißner Taſſe ein wenig klirrte. Selbſt der alte, weißköpfige Diener, der den Kaffee präſentirte, ging wie auf Sammetſohlen. Das waren ſie Alle noch ſo gewohnt aus den Tagen der ſeligen Eliſa, die meiſt an nervöſem Kopfweh litt.
Tiedge war noch der Lebhafteſte und intereſſirte ſich beſonders für meinen dreijährigen Aufenthalt in Peters¬ burg, wo ja ſeine Eliſa einſt auch hochgeehrt am Hofe Katharina's gelebt hatte. Eine geborene Kurländerin, Gräfin Eliſabeth von Medem und Stiefſchweſter der be¬ rühmten Herzogin Dorothea von Kurland, hatte ſie mit 17 Jahren 1771 den Freiherrn von der Recke geheirathet. Dieſe unglückliche Ehe, die nach ſieben Jahren wieder getrennt wurde, der Tod ihrer geliebten Tochter und ihres Bruders, Friedrich von Medem, der ſie mit rüh¬
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Es war, als wäre die ganze Geſellſchaft vom Todes¬
engel hier unten vergeſſen worden …
Erſt als ich auf Tiedge's Wunſch aus meinem
Bühnenleben, von meinen Engagements in Berlin und
Petersburg, meinen Gaſtſpielen in den größeren Städten
Deutſchlands erzählte, die der Dichter ja einſt als Reiſe¬
begleiter ſeiner Eliſa beſucht hatte, und als ich ſo nach
und nach meine alte ſprudelnde Lebhaftigkeit wiederfand
und allerlei luſtige Erlebniſſe und Theateranekdoten aus¬
kramte — da kam ſogar etwas Leben in die Schatten¬
geſellſchaft, wenn die alten Herren auch jetzt noch nur
ſchattenhaft lächelten und ihr Flüſtern wie ein Todes¬
hauch klang und Alle zuſammenſchraken, wenn mein
Kaffeelöffel gegen die kleine zierliche Meißner Taſſe ein
wenig klirrte. Selbſt der alte, weißköpfige Diener, der
den Kaffee präſentirte, ging wie auf Sammetſohlen.
Das waren ſie Alle noch ſo gewohnt aus den Tagen
der ſeligen Eliſa, die meiſt an nervöſem Kopfweh litt.
Tiedge war noch der Lebhafteſte und intereſſirte ſich
beſonders für meinen dreijährigen Aufenthalt in Peters¬
burg, wo ja ſeine Eliſa einſt auch hochgeehrt am Hofe
Katharina's gelebt hatte. Eine geborene Kurländerin,
Gräfin Eliſabeth von Medem und Stiefſchweſter der be¬
rühmten Herzogin Dorothea von Kurland, hatte ſie mit
17 Jahren 1771 den Freiherrn von der Recke geheirathet.
Dieſe unglückliche Ehe, die nach ſieben Jahren wieder
getrennt wurde, der Tod ihrer geliebten Tochter und
ihres Bruders, Friedrich von Medem, der ſie mit rüh¬
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/386>, abgerufen am 22.11.2024.
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