läßt -- jugendlich anmuthig: frisch wie ein sonniger Frühlingstag und fröhlich wie ein Waldvögelein ... Und wie erschüttert bei diesem holden, liebenswürdigen Ge¬ schöpf gerade die Blindheit! Das seelenvolle "Ich war¬ tete" unserer deutschen Gabriele klingt mir eben so ge¬ waltig im Herzen nach, wie das berühmte: "J'attendais" der Französin. Nur am Schluß, wenn die Mars ihr "J'existe!" zum Himmel aufjubelt, entzückt und ent¬ zückend, daß es den Hörer elektrisch durchzuckt -- -- dann muß das "Ich lebe!" von Sophie Müller erbleichen ..."
Tieck hörte mir mit sichtlichem Interesse zu. Er bat mich sogar, beide Szenen gleichsam als Kopien der Mars und der Müller dramatisch wiederzugeben, und lobte die feinen Nüancen meiner Nachahmung.
Wir waren sehr lebhaft geworden, und ich mußte dann noch zur großen Belustigung von Tieck und Stern¬ berg erzählen, wie auf dem Theatre francais Kotzebue's "Menschenhaß und Reue" gegeben wurde.
"Der herrliche Armand erscheint als Meinau wie ein Vermummter: langer, weiter, grauer Ueberrock, aus dem nur die Spitzen seiner Stiefel und viertelellenlange Sporen vorgucken -- sein edles Haupt verbirgt eine rie¬ sige Zopfperrücke und fußhohe Halsbinde. -- Unwillkürlich rief ich beim ersten Erblicken dieser Vogelscheuche aus: "Oh, comme Armand est laid dans ce costume!" -- und nicht wenig belustigte es mich, als meine fran¬ zösische Nachbarin mich, die deutsche Schauspielerin, mit strafendem Blick belehrte: "Mais, c'est ainsi, que l'on
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läßt — jugendlich anmuthig: friſch wie ein ſonniger Frühlingstag und fröhlich wie ein Waldvögelein … Und wie erſchüttert bei dieſem holden, liebenswürdigen Ge¬ ſchöpf gerade die Blindheit! Das ſeelenvolle »Ich war¬ tete« unſerer deutſchen Gabriele klingt mir eben ſo ge¬ waltig im Herzen nach, wie das berühmte: »J'attendais« der Franzöſin. Nur am Schluß, wenn die Mars ihr »J'existe!« zum Himmel aufjubelt, entzückt und ent¬ zückend, daß es den Hörer elektriſch durchzuckt — — dann muß das »Ich lebe!« von Sophie Müller erbleichen …«
Tieck hörte mir mit ſichtlichem Intereſſe zu. Er bat mich ſogar, beide Szenen gleichſam als Kopien der Mars und der Müller dramatiſch wiederzugeben, und lobte die feinen Nüancen meiner Nachahmung.
Wir waren ſehr lebhaft geworden, und ich mußte dann noch zur großen Beluſtigung von Tieck und Stern¬ berg erzählen, wie auf dem Théàtre français Kotzebue's »Menſchenhaß und Reue« gegeben wurde.
»Der herrliche Armand erſcheint als Meinau wie ein Vermummter: langer, weiter, grauer Ueberrock, aus dem nur die Spitzen ſeiner Stiefel und viertelellenlange Sporen vorgucken — ſein edles Haupt verbirgt eine rie¬ ſige Zopfperrücke und fußhohe Halsbinde. — Unwillkürlich rief ich beim erſten Erblicken dieſer Vogelſcheuche aus: »Oh, comme Armand est laid dans ce costume!« — und nicht wenig beluſtigte es mich, als meine fran¬ zöſiſche Nachbarin mich, die deutſche Schauſpielerin, mit ſtrafendem Blick belehrte: »Mais, c'est ainsi, que l'on
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läßt — jugendlich anmuthig: friſch wie ein ſonniger
Frühlingstag und fröhlich wie ein Waldvögelein … Und
wie erſchüttert bei dieſem holden, liebenswürdigen Ge¬
ſchöpf gerade die Blindheit! Das ſeelenvolle »Ich war¬
tete« unſerer deutſchen Gabriele klingt mir eben ſo ge¬
waltig im Herzen nach, wie das berühmte: »J'attendais«
der Franzöſin. Nur am Schluß, wenn die Mars ihr
»J'existe!« zum Himmel aufjubelt, entzückt und ent¬
zückend, daß es den Hörer elektriſch durchzuckt — — dann
muß das »Ich lebe!« von Sophie Müller erbleichen …«
Tieck hörte mir mit ſichtlichem Intereſſe zu. Er
bat mich ſogar, beide Szenen gleichſam als Kopien der
Mars und der Müller dramatiſch wiederzugeben, und
lobte die feinen Nüancen meiner Nachahmung.
Wir waren ſehr lebhaft geworden, und ich mußte
dann noch zur großen Beluſtigung von Tieck und Stern¬
berg erzählen, wie auf dem Théàtre français Kotzebue's
»Menſchenhaß und Reue« gegeben wurde.
»Der herrliche Armand erſcheint als Meinau wie
ein Vermummter: langer, weiter, grauer Ueberrock, aus
dem nur die Spitzen ſeiner Stiefel und viertelellenlange
Sporen vorgucken — ſein edles Haupt verbirgt eine rie¬
ſige Zopfperrücke und fußhohe Halsbinde. — Unwillkürlich
rief ich beim erſten Erblicken dieſer Vogelſcheuche aus:
»Oh, comme Armand est laid dans ce costume!«
— und nicht wenig beluſtigte es mich, als meine fran¬
zöſiſche Nachbarin mich, die deutſche Schauſpielerin, mit
ſtrafendem Blick belehrte: »Mais, c'est ainsi, que l'on
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/399>, abgerufen am 22.11.2024.
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