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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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für den "Helden" ein, denn ich liebte ihn -- trotz des
Todesgrauens, das er zeigt, als er an seinem offenen
Grabe steht. In offener Schlacht würde Prinz Hom¬
burg keine Todesfurcht gekannt haben ... Und wie dem
armen Kleist wohl zu Muth war, als er sein Leben fort¬
warf? War das Heldenmuth oder Feigheit? -- So oft
wir im Theaterwagen nach Potsdam zur Vorstellung
fuhren und an den Gräbern von Heinrich v. Kleist und
Henriette Vogel vorüberkamen, wurde von der unseligen
That in Wehmuth gesprochen. Wir liebten ja Alle den
Dichter von Käthchen von Heilbronn und Prinz von
Homburg. Und Kleist hatte es nicht erlebt, daß ganz
Deutschland von seinem Käthchen hingerissen wurde!
Iffland wies das Stück als "unspielbar" von der könig¬
lichen Bühne zurück. Als ich Rahel Varnhagen fragte:
"Warum hat der arme Kleist sich nur erschossen? -- aus
Liebe?" Da sagte sie mit Thränen in den schönen Augen:
"Nein, Kind, der Mann, der den Wetter von Strahl
und den Homburg geschaffen, erschießt sich nicht um einer
Weiberlaune willen. Er wurde von seinem Vaterlande
nicht verstanden -- nicht anerkannt. Er hatte mit Noth
und Sorgen zu kämpfen. Und als ihn die Kraft zum
Leben verließ, da wählte er den Tod ..."

An dies Alles mußte ich denken, da Ludwig Tieck
an jenem Abende den Homburg las. Und wie las er
ihn -- wie ich nie wieder vorlesen hörte!

Zuerst nannte er die Personen -- dann nur bei
einer neuen Szene. Aber bei Tieck's wunderbarer Lese¬

für den »Helden« ein, denn ich liebte ihn — trotz des
Todesgrauens, das er zeigt, als er an ſeinem offenen
Grabe ſteht. In offener Schlacht würde Prinz Hom¬
burg keine Todesfurcht gekannt haben … Und wie dem
armen Kleiſt wohl zu Muth war, als er ſein Leben fort¬
warf? War das Heldenmuth oder Feigheit? — So oft
wir im Theaterwagen nach Potsdam zur Vorſtellung
fuhren und an den Gräbern von Heinrich v. Kleiſt und
Henriette Vogel vorüberkamen, wurde von der unſeligen
That in Wehmuth geſprochen. Wir liebten ja Alle den
Dichter von Käthchen von Heilbronn und Prinz von
Homburg. Und Kleiſt hatte es nicht erlebt, daß ganz
Deutſchland von ſeinem Käthchen hingeriſſen wurde!
Iffland wies das Stück als »unſpielbar« von der könig¬
lichen Bühne zurück. Als ich Rahel Varnhagen fragte:
»Warum hat der arme Kleiſt ſich nur erſchoſſen? — aus
Liebe?« Da ſagte ſie mit Thränen in den ſchönen Augen:
»Nein, Kind, der Mann, der den Wetter von Strahl
und den Homburg geſchaffen, erſchießt ſich nicht um einer
Weiberlaune willen. Er wurde von ſeinem Vaterlande
nicht verſtanden — nicht anerkannt. Er hatte mit Noth
und Sorgen zu kämpfen. Und als ihn die Kraft zum
Leben verließ, da wählte er den Tod …«

An dies Alles mußte ich denken, da Ludwig Tieck
an jenem Abende den Homburg las. Und wie las er
ihn — wie ich nie wieder vorleſen hörte!

Zuerſt nannte er die Perſonen — dann nur bei
einer neuen Szene. Aber bei Tieck's wunderbarer Leſe¬

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[378/0406] für den »Helden« ein, denn ich liebte ihn — trotz des Todesgrauens, das er zeigt, als er an ſeinem offenen Grabe ſteht. In offener Schlacht würde Prinz Hom¬ burg keine Todesfurcht gekannt haben … Und wie dem armen Kleiſt wohl zu Muth war, als er ſein Leben fort¬ warf? War das Heldenmuth oder Feigheit? — So oft wir im Theaterwagen nach Potsdam zur Vorſtellung fuhren und an den Gräbern von Heinrich v. Kleiſt und Henriette Vogel vorüberkamen, wurde von der unſeligen That in Wehmuth geſprochen. Wir liebten ja Alle den Dichter von Käthchen von Heilbronn und Prinz von Homburg. Und Kleiſt hatte es nicht erlebt, daß ganz Deutſchland von ſeinem Käthchen hingeriſſen wurde! Iffland wies das Stück als »unſpielbar« von der könig¬ lichen Bühne zurück. Als ich Rahel Varnhagen fragte: »Warum hat der arme Kleiſt ſich nur erſchoſſen? — aus Liebe?« Da ſagte ſie mit Thränen in den ſchönen Augen: »Nein, Kind, der Mann, der den Wetter von Strahl und den Homburg geſchaffen, erſchießt ſich nicht um einer Weiberlaune willen. Er wurde von ſeinem Vaterlande nicht verſtanden — nicht anerkannt. Er hatte mit Noth und Sorgen zu kämpfen. Und als ihn die Kraft zum Leben verließ, da wählte er den Tod …« An dies Alles mußte ich denken, da Ludwig Tieck an jenem Abende den Homburg las. Und wie las er ihn — wie ich nie wieder vorleſen hörte! Zuerſt nannte er die Perſonen — dann nur bei einer neuen Szene. Aber bei Tieck's wunderbarer Leſe¬

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/406>, abgerufen am 22.11.2024.