"Ah! wie freundlich zergliedert da der Herr Drama¬ turg selber die Kunst der Birch-Pfeifferin, fesselnde und spannende Rollen zu schreiben!" lachte ich übermüthig. -- Da trat der Intendant ein, Herr von Lüttichau. Ich wollte gehen, aber er bat mich, zu bleiben. Er komme wegen der Aufführung des "Glöckners von Notre-Dame" und ob ich auf seinen Wunsch die Rolle der Esmeralda gelesen habe und die Partie übernehmen wolle?
"Und der Herr Hofrath ist mit der Aufführung dieser neuen -- Birch-Pfeifferiade einverstanden?" paro¬ dirte ich ein wenig.
"O ja", -- sagte Tieck kleinlaut -- "ich finde den Glöckner hoch über Guttenberg und den Günstlingen stehend und das Sujet großartig, interessant. Viktor Hugo's Genie durchstrahlt, erhebt, durchgeistigt die Theatermache von Madame l'Artiste. Die Feder der Birch-Pfeifferin hat den großen Romantiker an der Seine wirklich nicht ganz umzubringen vermocht -- und das genügt."
"Aber wird das große melodramatische Stück nicht in dem kleinen Rahmen unserer Bühne eher lächerlich, als erschütternd wirken, da der grausige Roman zu be¬ kannt ist? Denken Sie nur an das Davonlaufen mit dem Geldsack -- auf unserer winzigen Bühne! Und dann, wie kann ich noch als fünfzehnjähriger Backfisch über die Bretter hüpfen? Ganz Dresden weiß, daß mein Vater in der Schlacht von Aspern fiel, und kann mir so be¬ quem meine Jahre an den Fingern nachzählen!"
»Ah! wie freundlich zergliedert da der Herr Drama¬ turg ſelber die Kunſt der Birch-Pfeifferin, feſſelnde und ſpannende Rollen zu ſchreiben!« lachte ich übermüthig. — Da trat der Intendant ein, Herr von Lüttichau. Ich wollte gehen, aber er bat mich, zu bleiben. Er komme wegen der Aufführung des »Glöckners von Notre-Dame« und ob ich auf ſeinen Wunſch die Rolle der Esmeralda geleſen habe und die Partie übernehmen wolle?
»Und der Herr Hofrath iſt mit der Aufführung dieſer neuen — Birch-Pfeifferiade einverſtanden?« paro¬ dirte ich ein wenig.
»O ja«, — ſagte Tieck kleinlaut — »ich finde den Glöckner hoch über Guttenberg und den Günſtlingen ſtehend und das Sujet großartig, intereſſant. Viktor Hugo's Genie durchſtrahlt, erhebt, durchgeiſtigt die Theatermache von Madame l'Artiſte. Die Feder der Birch-Pfeifferin hat den großen Romantiker an der Seine wirklich nicht ganz umzubringen vermocht — und das genügt.«
»Aber wird das große melodramatiſche Stück nicht in dem kleinen Rahmen unſerer Bühne eher lächerlich, als erſchütternd wirken, da der grauſige Roman zu be¬ kannt iſt? Denken Sie nur an das Davonlaufen mit dem Geldſack — auf unſerer winzigen Bühne! Und dann, wie kann ich noch als fünfzehnjähriger Backfiſch über die Bretter hüpfen? Ganz Dresden weiß, daß mein Vater in der Schlacht von Aspern fiel, und kann mir ſo be¬ quem meine Jahre an den Fingern nachzählen!«
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»Ah! wie freundlich zergliedert da der Herr Drama¬
turg ſelber die Kunſt der Birch-Pfeifferin, feſſelnde und
ſpannende Rollen zu ſchreiben!« lachte ich übermüthig. —
Da trat der Intendant ein, Herr von Lüttichau. Ich
wollte gehen, aber er bat mich, zu bleiben. Er komme
wegen der Aufführung des »Glöckners von Notre-Dame«
und ob ich auf ſeinen Wunſch die Rolle der Esmeralda
geleſen habe und die Partie übernehmen wolle?
»Und der Herr Hofrath iſt mit der Aufführung
dieſer neuen — Birch-Pfeifferiade einverſtanden?« paro¬
dirte ich ein wenig.
»O ja«, — ſagte Tieck kleinlaut — »ich finde den
Glöckner hoch über Guttenberg und den Günſtlingen
ſtehend und das Sujet großartig, intereſſant. Viktor
Hugo's Genie durchſtrahlt, erhebt, durchgeiſtigt die
Theatermache von Madame l'Artiſte. Die Feder der
Birch-Pfeifferin hat den großen Romantiker an der
Seine wirklich nicht ganz umzubringen vermocht — und
das genügt.«
»Aber wird das große melodramatiſche Stück nicht
in dem kleinen Rahmen unſerer Bühne eher lächerlich,
als erſchütternd wirken, da der grauſige Roman zu be¬
kannt iſt? Denken Sie nur an das Davonlaufen mit
dem Geldſack — auf unſerer winzigen Bühne! Und dann,
wie kann ich noch als fünfzehnjähriger Backfiſch über die
Bretter hüpfen? Ganz Dresden weiß, daß mein Vater
in der Schlacht von Aspern fiel, und kann mir ſo be¬
quem meine Jahre an den Fingern nachzählen!«
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/444>, abgerufen am 22.11.2024.
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