sprach -- da sah Tieck wohl blässer, ernster als sonst aus, aber er antwortete mir mit größter Ruhe: "Ihr Uebel war nicht zu heilen. Sie hat viel gelitten und ist gern gestorben. Das beruhigt mich!"
Aber dies selbstsüchtige Herz sollte bald noch schmerz¬ licher auf die Probe gestellt werden. Im Frühjahr 1841 starb plötzlich nach kurzem Krankenlager am Nervenfieber seine älteste Tochter Dorothea, die ihm zugleich die treueste Freundin im Leben, die berufenste Gehülfin in seinen Arbeiten gewesen war. Mit ihr sank ein tiefinnerliches, reiches Leben in's Grab. Sie hatte nur für den Vater und seine Kunstschöpfungen gelebt. Mit seinem Ver¬ ständniß und treuem Fleiß lieferte sie dem Vater für seine Herausgabe des alt-englischen Theaters und für den Tieck-Schlegel'schen Shakespeare viele treffliche Ueber¬ setzungen. Zugleich war sie eine tief religiöse, wahre, offene Natur. Sie litt still unter dem Weihrauchnebel, in den die Gräfin Finkenstein und andere blinde Verehrer den großen Romantiker fortwährend hüllten und in den der eitle Mann sich nur zu gern hüllen ließ, bis es ihm selber oft nebelhaft vor den sonst so klaren Augen wurde. Sie durfte es wagen, mit kühler Hand diesen Nebel zu zertheilen und dem geliebten Vater die Welt und ihre Gestalten und viele seiner eigenen Schwächen im klaren Tageslichte zu zeigen. Dorothea hat den Vater vor mancher Thorheit und Ungerechtigkeit bewahrt. Und doch hatte sie nur zu oft den Schmerz, den Nebelgeist Gräfin Finkenstein die Uebermacht gewinnen zu sehen.
ſprach — da ſah Tieck wohl bläſſer, ernſter als ſonſt aus, aber er antwortete mir mit größter Ruhe: »Ihr Uebel war nicht zu heilen. Sie hat viel gelitten und iſt gern geſtorben. Das beruhigt mich!«
Aber dies ſelbſtſüchtige Herz ſollte bald noch ſchmerz¬ licher auf die Probe geſtellt werden. Im Frühjahr 1841 ſtarb plötzlich nach kurzem Krankenlager am Nervenfieber ſeine älteſte Tochter Dorothea, die ihm zugleich die treueſte Freundin im Leben, die berufenſte Gehülfin in ſeinen Arbeiten geweſen war. Mit ihr ſank ein tiefinnerliches, reiches Leben in's Grab. Sie hatte nur für den Vater und ſeine Kunſtſchöpfungen gelebt. Mit ſeinem Ver¬ ſtändniß und treuem Fleiß lieferte ſie dem Vater für ſeine Herausgabe des alt-engliſchen Theaters und für den Tieck-Schlegel'ſchen Shakeſpeare viele treffliche Ueber¬ ſetzungen. Zugleich war ſie eine tief religiöſe, wahre, offene Natur. Sie litt ſtill unter dem Weihrauchnebel, in den die Gräfin Finkenſtein und andere blinde Verehrer den großen Romantiker fortwährend hüllten und in den der eitle Mann ſich nur zu gern hüllen ließ, bis es ihm ſelber oft nebelhaft vor den ſonſt ſo klaren Augen wurde. Sie durfte es wagen, mit kühler Hand dieſen Nebel zu zertheilen und dem geliebten Vater die Welt und ihre Geſtalten und viele ſeiner eigenen Schwächen im klaren Tageslichte zu zeigen. Dorothea hat den Vater vor mancher Thorheit und Ungerechtigkeit bewahrt. Und doch hatte ſie nur zu oft den Schmerz, den Nebelgeiſt Gräfin Finkenſtein die Uebermacht gewinnen zu ſehen.
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ſprach — da ſah Tieck wohl bläſſer, ernſter als ſonſt
aus, aber er antwortete mir mit größter Ruhe: »Ihr
Uebel war nicht zu heilen. Sie hat viel gelitten und iſt
gern geſtorben. Das beruhigt mich!«
Aber dies ſelbſtſüchtige Herz ſollte bald noch ſchmerz¬
licher auf die Probe geſtellt werden. Im Frühjahr 1841
ſtarb plötzlich nach kurzem Krankenlager am Nervenfieber
ſeine älteſte Tochter Dorothea, die ihm zugleich die treueſte
Freundin im Leben, die berufenſte Gehülfin in ſeinen
Arbeiten geweſen war. Mit ihr ſank ein tiefinnerliches,
reiches Leben in's Grab. Sie hatte nur für den Vater
und ſeine Kunſtſchöpfungen gelebt. Mit ſeinem Ver¬
ſtändniß und treuem Fleiß lieferte ſie dem Vater für
ſeine Herausgabe des alt-engliſchen Theaters und für
den Tieck-Schlegel'ſchen Shakeſpeare viele treffliche Ueber¬
ſetzungen. Zugleich war ſie eine tief religiöſe, wahre,
offene Natur. Sie litt ſtill unter dem Weihrauchnebel,
in den die Gräfin Finkenſtein und andere blinde Verehrer
den großen Romantiker fortwährend hüllten und in den
der eitle Mann ſich nur zu gern hüllen ließ, bis es ihm
ſelber oft nebelhaft vor den ſonſt ſo klaren Augen wurde.
Sie durfte es wagen, mit kühler Hand dieſen Nebel zu
zertheilen und dem geliebten Vater die Welt und ihre
Geſtalten und viele ſeiner eigenen Schwächen im klaren
Tageslichte zu zeigen. Dorothea hat den Vater vor
mancher Thorheit und Ungerechtigkeit bewahrt. Und
doch hatte ſie nur zu oft den Schmerz, den Nebelgeiſt
Gräfin Finkenſtein die Uebermacht gewinnen zu ſehen.
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/455>, abgerufen am 22.11.2024.
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