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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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wie wohl in der überwiegenden Hälfte aller Epigramme, oder an und pba_117.002
für sich gleichgültig und erst durch den damit verbundenen Aufschluß pba_117.003
interessierend, wie bei dem größten Teile der übrigen? Wo bleibt der pba_117.004
"schmeichelhafte Eindruck des schönen sinnlichen Gegenstandes" und pba_117.005
wo "jenes dritte angenehme Gefühl", das aus jenem und der pba_117.006
befriedigten Wißbegierde zusammenschmelzen soll? Man sieht, es bleibt pba_117.007
eben nur das letzte, die befriedigte Wißbegierde, übrig. Zwar vergißt pba_117.008
Lessing es nicht, dem entsprechend nun wieder eine Einschränkung hinzuzufügen, pba_117.009
wenn er abschließt: "das Epigramm muß über irgend einen pba_117.010
einzeln ungewöhnlichen Gegenstand, den es zu einer soviel als pba_117.011
möglich sinnlichen Klarheit zu erheben sucht, in Erwartung setzen und pba_117.012
durch einen unvorhergesehenen Aufschluß diese Erwartung mit Eins befriedigen"; pba_117.013
aber damit erscheint ja nun auch zuletzt jene Erwartung nur pba_117.014
als ein vorbereitendes Mittel um die einzige Wirkung des Epigramms, pba_117.015
die Befriedigung der Wißbegierde hervorzubringen, und es wird lediglich pba_117.016
das dem Epigramm eigentümliche Verfahren für die Erreichung pba_117.017
dieses Zweckes angegeben. Wo bleibt aber die Bestimmung seines Wesens? pba_117.018
wo der Nachweis seiner Zugehörigkeit zur Poesie als schöner Kunst? wo pba_117.019
endlich die Herleitung jenes Verfahrens als einer notwendigen Konsequenz pba_117.020
seiner Bestimmung?

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Es kann kein Zweifel sein, daß sowohl das Vergnügen an dem die pba_117.022
Erwartung erregenden Gegenstande als das der befriedigten Wißbegier pba_117.023
an dem Aufschlusse sowie die Mischung aus beiden nur sekundäre pba_117.024
Wirkungen sind, die aus der Natur der aufgewendeten Mittel sich ergeben, pba_117.025
daß aber über allen diesen Annehmlichkeiten des Epigramms pba_117.026
diejenige durch dasselbe hervorgebrachte Freude steht, durch die es seinen pba_117.027
Rang in der schönen Kunst behauptet.

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Auch Lessing weist diejenigen Dichter "aus dem Register der Epigrammatisten," pba_117.029
welche "bloße allgemeine Sittensprüche," "erbauliche pba_117.030
Disticha" geschrieben haben, und "noch weniger," fährt er fort, "werden pba_117.031
diejenigen darin aufzunehmen sein, welche andere scientifische Wahrheiten pba_117.032
in die engen Schranken des Epigramms zu bringen versucht pba_117.033
haben. Jhre Verse mögen gute Hülfsmittel des Gedächtnisses abgeben, pba_117.034
aber Sinngedichte sind sie gewiß nicht." Die Erklärung des Batteux, pba_117.035
"nach welcher das Epigramm ein interessanter Gedanke sein soll, der pba_117.036
glücklich und in wenig Worten vorgetragen worden," genügt ihm durchaus pba_117.037
nicht. "Denn sind z. E. die medizinischen Vorschriften der Schule pba_117.038
von Salerno nicht eines sehr interessanten Jnhalts? Und könnten sie pba_117.039
nicht gar wohl mit ebenso vieler Präcision und Zierlichkeit vorgetragen pba_117.040
sein, als sie es mit weniger sind? Und dennoch, wenn sie auch Lucrez

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wie wohl in der überwiegenden Hälfte aller Epigramme, oder an und pba_117.002
für sich gleichgültig und erst durch den damit verbundenen Aufschluß pba_117.003
interessierend, wie bei dem größten Teile der übrigen? Wo bleibt der pba_117.004
schmeichelhafte Eindruck des schönen sinnlichen Gegenstandes“ und pba_117.005
wo „jenes dritte angenehme Gefühl“, das aus jenem und der pba_117.006
befriedigten Wißbegierde zusammenschmelzen soll? Man sieht, es bleibt pba_117.007
eben nur das letzte, die befriedigte Wißbegierde, übrig. Zwar vergißt pba_117.008
Lessing es nicht, dem entsprechend nun wieder eine Einschränkung hinzuzufügen, pba_117.009
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einzeln ungewöhnlichen Gegenstand, den es zu einer soviel als pba_117.011
möglich sinnlichen Klarheit zu erheben sucht, in Erwartung setzen und pba_117.012
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dieses Zweckes angegeben. Wo bleibt aber die Bestimmung seines Wesens? pba_117.018
wo der Nachweis seiner Zugehörigkeit zur Poesie als schöner Kunst? wo pba_117.019
endlich die Herleitung jenes Verfahrens als einer notwendigen Konsequenz pba_117.020
seiner Bestimmung?

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Es kann kein Zweifel sein, daß sowohl das Vergnügen an dem die pba_117.022
Erwartung erregenden Gegenstande als das der befriedigten Wißbegier pba_117.023
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daß aber über allen diesen Annehmlichkeiten des Epigramms pba_117.026
diejenige durch dasselbe hervorgebrachte Freude steht, durch die es seinen pba_117.027
Rang in der schönen Kunst behauptet.

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Auch Lessing weist diejenigen Dichter „aus dem Register der Epigrammatisten,“ pba_117.029
welche „bloße allgemeine Sittensprüche,“ „erbauliche pba_117.030
Disticha“ geschrieben haben, und „noch weniger,“ fährt er fort, „werden pba_117.031
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[117/0135] pba_117.001 wie wohl in der überwiegenden Hälfte aller Epigramme, oder an und pba_117.002 für sich gleichgültig und erst durch den damit verbundenen Aufschluß pba_117.003 interessierend, wie bei dem größten Teile der übrigen? Wo bleibt der pba_117.004 „schmeichelhafte Eindruck des schönen sinnlichen Gegenstandes“ und pba_117.005 wo „jenes dritte angenehme Gefühl“, das aus jenem und der pba_117.006 befriedigten Wißbegierde zusammenschmelzen soll? Man sieht, es bleibt pba_117.007 eben nur das letzte, die befriedigte Wißbegierde, übrig. Zwar vergißt pba_117.008 Lessing es nicht, dem entsprechend nun wieder eine Einschränkung hinzuzufügen, pba_117.009 wenn er abschließt: „das Epigramm muß über irgend einen pba_117.010 einzeln ungewöhnlichen Gegenstand, den es zu einer soviel als pba_117.011 möglich sinnlichen Klarheit zu erheben sucht, in Erwartung setzen und pba_117.012 durch einen unvorhergesehenen Aufschluß diese Erwartung mit Eins befriedigen“; pba_117.013 aber damit erscheint ja nun auch zuletzt jene Erwartung nur pba_117.014 als ein vorbereitendes Mittel um die einzige Wirkung des Epigramms, pba_117.015 die Befriedigung der Wißbegierde hervorzubringen, und es wird lediglich pba_117.016 das dem Epigramm eigentümliche Verfahren für die Erreichung pba_117.017 dieses Zweckes angegeben. Wo bleibt aber die Bestimmung seines Wesens? pba_117.018 wo der Nachweis seiner Zugehörigkeit zur Poesie als schöner Kunst? wo pba_117.019 endlich die Herleitung jenes Verfahrens als einer notwendigen Konsequenz pba_117.020 seiner Bestimmung? pba_117.021 Es kann kein Zweifel sein, daß sowohl das Vergnügen an dem die pba_117.022 Erwartung erregenden Gegenstande als das der befriedigten Wißbegier pba_117.023 an dem Aufschlusse sowie die Mischung aus beiden nur sekundäre pba_117.024 Wirkungen sind, die aus der Natur der aufgewendeten Mittel sich ergeben, pba_117.025 daß aber über allen diesen Annehmlichkeiten des Epigramms pba_117.026 diejenige durch dasselbe hervorgebrachte Freude steht, durch die es seinen pba_117.027 Rang in der schönen Kunst behauptet. pba_117.028 Auch Lessing weist diejenigen Dichter „aus dem Register der Epigrammatisten,“ pba_117.029 welche „bloße allgemeine Sittensprüche,“ „erbauliche pba_117.030 Disticha“ geschrieben haben, und „noch weniger,“ fährt er fort, „werden pba_117.031 diejenigen darin aufzunehmen sein, welche andere scientifische Wahrheiten pba_117.032 in die engen Schranken des Epigramms zu bringen versucht pba_117.033 haben. Jhre Verse mögen gute Hülfsmittel des Gedächtnisses abgeben, pba_117.034 aber Sinngedichte sind sie gewiß nicht.“ Die Erklärung des Batteux, pba_117.035 „nach welcher das Epigramm ein interessanter Gedanke sein soll, der pba_117.036 glücklich und in wenig Worten vorgetragen worden,“ genügt ihm durchaus pba_117.037 nicht. „Denn sind z. E. die medizinischen Vorschriften der Schule pba_117.038 von Salerno nicht eines sehr interessanten Jnhalts? Und könnten sie pba_117.039 nicht gar wohl mit ebenso vieler Präcision und Zierlichkeit vorgetragen pba_117.040 sein, als sie es mit weniger sind? Und dennoch, wenn sie auch Lucrez

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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/135>, abgerufen am 24.11.2024.