Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_131.001 Obskuranten fliegen umher. Mit gebreiteten Flügeln pba_131.004 pba_131.011Schweben bei Nacht sie hin, wo nur ein Lichtchen erscheint; pba_131.005 Gräßlich ist ihr Schatten; die Trichternasen, sie saugen pba_131.006 Schlafenden Menschen das Blut, Blut und die Seele mit aus. pba_131.007 Gar feinfühlend sind diese Gespenster; beraubet der Augen pba_131.008 Siehet das Nachtgeschöpf wie mit dem siebenten Sinn. pba_131.009 Jaget mit Stecken sie fort, laßt auf sie Katzen -- o nein doch! pba_131.010 Lasset die Sonn' aufgehn, und sie sind alle verscheucht. Auch hier ist es indessen strenges Erfordernis, daß die Allegorie alles pba_131.012 O du Heiliger, bleibt dir immer dein trauriges Schicksal, pba_131.029 pba_131.034Zwischen Schächern gehängt, sterbend am Kreuze zu sein? pba_131.030 Und zu deinen Füßen erscheint das Wort des Propheten pba_131.031 Von der Ochsen und Farrn feisten geselligen Schar. pba_131.032 Heiliger, blick auf mich und sprich auch mir in die Seele: pba_131.033 "Vater, vergib! denn die wissen ja nie, was sie thun." Das Gedicht ist völlig unverständlich, und auch als Rätsel betrachtet pba_131.035 pba_131.001 Obskuranten fliegen umher. Mit gebreiteten Flügeln pba_131.004 pba_131.011Schweben bei Nacht sie hin, wo nur ein Lichtchen erscheint; pba_131.005 Gräßlich ist ihr Schatten; die Trichternasen, sie saugen pba_131.006 Schlafenden Menschen das Blut, Blut und die Seele mit aus. pba_131.007 Gar feinfühlend sind diese Gespenster; beraubet der Augen pba_131.008 Siehet das Nachtgeschöpf wie mit dem siebenten Sinn. pba_131.009 Jaget mit Stecken sie fort, laßt auf sie Katzen — o nein doch! pba_131.010 Lasset die Sonn' aufgehn, und sie sind alle verscheucht. Auch hier ist es indessen strenges Erfordernis, daß die Allegorie alles pba_131.012 O du Heiliger, bleibt dir immer dein trauriges Schicksal, pba_131.029 pba_131.034Zwischen Schächern gehängt, sterbend am Kreuze zu sein? pba_131.030 Und zu deinen Füßen erscheint das Wort des Propheten pba_131.031 Von der Ochsen und Farrn feisten geselligen Schar. pba_131.032 Heiliger, blick auf mich und sprich auch mir in die Seele: pba_131.033 „Vater, vergib! denn die wissen ja nie, was sie thun.“ Das Gedicht ist völlig unverständlich, und auch als Rätsel betrachtet pba_131.035 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0149" n="131"/> <p><lb n="pba_131.001"/> oder Herder in dem Epigramm: „<hi rendition="#g">Die Trichternasen</hi>“ (der Name <lb n="pba_131.002"/> einer Art von Vampyren):</p> <lb n="pba_131.003"/> <lg> <l>Obskuranten fliegen umher. 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Wo dagegen die Ueberschrift einen unentbehrlichen Teil <lb n="pba_131.022"/> des Gedichtes selbst ausmacht, da ist ein wesentliches Gesetz dieser <lb n="pba_131.023"/> Dichtungsart verletzt, und man wird sich schwerlich täuschen, wenn man <lb n="pba_131.024"/> in solchen Fällen von vornherein annimmt, daß es da auch zugleich mit <lb n="pba_131.025"/> noch wichtigeren Erfordernissen, mit dem gewählten Bilde und mit dem <lb n="pba_131.026"/> Gedanken selbst, nicht seine Richtigkeit hat. Man betrachte z. B. das <lb n="pba_131.027"/> folgende Herdersche Epigramm:</p> <lb n="pba_131.028"/> <lg> <l>O du Heiliger, bleibt dir immer dein trauriges Schicksal,</l> <lb n="pba_131.029"/> <l> Zwischen Schächern gehängt, sterbend am Kreuze zu sein?</l> <lb n="pba_131.030"/> <l>Und zu deinen Füßen erscheint das Wort des Propheten</l> <lb n="pba_131.031"/> <l> Von der Ochsen und Farrn feisten geselligen Schar.</l> <lb n="pba_131.032"/> <l>Heiliger, blick auf mich und sprich auch mir in die Seele:</l> <lb n="pba_131.033"/> <l> „Vater, vergib! denn <hi rendition="#g">die</hi> wissen ja <hi rendition="#g">nie,</hi> was sie thun.“</l> </lg> <lb n="pba_131.034"/> <p>Das Gedicht ist völlig unverständlich, und auch als Rätsel betrachtet <lb n="pba_131.035"/> könnte es schwerlich jemals irgend einen Menschen auf die Meinung des <lb n="pba_131.036"/> Verfassers bringen. Liest man nun die Ueberschrift: „<hi rendition="#g">An das Crucifix <lb n="pba_131.037"/> im Konsistorium,</hi>“ so ist freilich der satirische Sinn vollauf deutlich, <lb n="pba_131.038"/> aber ebenso, daß es weder einen allgemein giltigen Gedanken enthält, <lb n="pba_131.039"/> noch, was weit schlimmer ist, eine allgemein mitteilbare Stimmung <lb n="pba_131.040"/> oder Empfindung. Was dem Epigramme zu Grunde liegt, sind indi- </p> </div> </body> </text> </TEI> [131/0149]
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oder Herder in dem Epigramm: „Die Trichternasen“ (der Name pba_131.002
einer Art von Vampyren):
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Obskuranten fliegen umher. Mit gebreiteten Flügeln pba_131.004
Schweben bei Nacht sie hin, wo nur ein Lichtchen erscheint; pba_131.005
Gräßlich ist ihr Schatten; die Trichternasen, sie saugen pba_131.006
Schlafenden Menschen das Blut, Blut und die Seele mit aus. pba_131.007
Gar feinfühlend sind diese Gespenster; beraubet der Augen pba_131.008
Siehet das Nachtgeschöpf wie mit dem siebenten Sinn. pba_131.009
Jaget mit Stecken sie fort, laßt auf sie Katzen — o nein doch! pba_131.010
Lasset die Sonn' aufgehn, und sie sind alle verscheucht.
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Auch hier ist es indessen strenges Erfordernis, daß die Allegorie alles pba_131.012
enthalte, um sowohl den dargestellten Gegenstand oder Vorgang als die pba_131.013
ihm entsprechende Bedeutung vollständig und klar erkennen zu lassen, pba_131.014
und nicht etwa um Geltung zu haben oder um überhaupt verstanden pba_131.015
zu werden, erst des in der Ueberschrift gegebenen Hinweises bedürfe. pba_131.016
Etwas Anderes ist es, wenn die Ueberschrift nur dazu dient, den an sich pba_131.017
in dem Gedichte vollständig gegebenen Jnhalt und die deutlich erkennbare pba_131.018
allgemeine Anwendung durch speziellen Hinweis auf einen einzelnen pba_131.019
bestimmten Fall zu individualisieren, wie in dem eben citierten Epigramm pba_131.020
auf Kant und in der Mehrzahl der Goethe-Schiller'schen „Xenien“ pba_131.021
geschehen ist. Wo dagegen die Ueberschrift einen unentbehrlichen Teil pba_131.022
des Gedichtes selbst ausmacht, da ist ein wesentliches Gesetz dieser pba_131.023
Dichtungsart verletzt, und man wird sich schwerlich täuschen, wenn man pba_131.024
in solchen Fällen von vornherein annimmt, daß es da auch zugleich mit pba_131.025
noch wichtigeren Erfordernissen, mit dem gewählten Bilde und mit dem pba_131.026
Gedanken selbst, nicht seine Richtigkeit hat. Man betrachte z. B. das pba_131.027
folgende Herdersche Epigramm:
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O du Heiliger, bleibt dir immer dein trauriges Schicksal, pba_131.029
Zwischen Schächern gehängt, sterbend am Kreuze zu sein? pba_131.030
Und zu deinen Füßen erscheint das Wort des Propheten pba_131.031
Von der Ochsen und Farrn feisten geselligen Schar. pba_131.032
Heiliger, blick auf mich und sprich auch mir in die Seele: pba_131.033
„Vater, vergib! denn die wissen ja nie, was sie thun.“
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Das Gedicht ist völlig unverständlich, und auch als Rätsel betrachtet pba_131.035
könnte es schwerlich jemals irgend einen Menschen auf die Meinung des pba_131.036
Verfassers bringen. Liest man nun die Ueberschrift: „An das Crucifix pba_131.037
im Konsistorium,“ so ist freilich der satirische Sinn vollauf deutlich, pba_131.038
aber ebenso, daß es weder einen allgemein giltigen Gedanken enthält, pba_131.039
noch, was weit schlimmer ist, eine allgemein mitteilbare Stimmung pba_131.040
oder Empfindung. Was dem Epigramme zu Grunde liegt, sind indi-
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