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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Lyrik sehr wohl bedienen kann; sobald die Epik sich ihrer bemächtigt, pba_192.002
also eine durchweg allegorische Handlung zum Gegenstande der pba_192.003
Nachahmung gemacht wird, so entsteht eine Parabel.

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Wie schon gesagt, es hindert nichts, daß sowohl die Allegorie als pba_192.005
die Parabel nicht im vollen Sinne poetisch gestaltet werden könnten: pba_192.006
das wird natürlich am meisten der Fall sein, wo das Bild, die Handlung, pba_192.007
der Jnhalt der Darstellung zuerst in der Phantasie des Dichters pba_192.008
vorhanden war und zu diesem sich ihm durch die vorhandene innere pba_192.009
Ähnlichkeit der entsprechende Sinn einstellte; in geringerem Maße da, pba_192.010
wo zu dem Sinn der Dichter das Bild, die ähnliche Handlung erst pba_192.011
suchen mußte. Allein auch hier kann der Dichter, der die Gesetze seiner pba_192.012
Kunst kennt und sie zu befolgen weiß, die Erinnerung an den Ursprung pba_192.013
seiner Erdichtung aus der Reflexion tilgen und rein poetisch wirken. pba_192.014
Von der ersten Art ist Goethes "Mahomeds Gesang," von der zweiten pba_192.015
Schillers "Teilung der Erde". Ein Unterschied bleibt freilich immer, pba_192.016
und Goethe hat ihn in einem seiner Sprüche scharf gekennzeichnet, und pba_192.017
zwar indem er dabei das Verhältnis seiner eigenen Dichtungsweise zu pba_192.018
der seines großen Freundes speziell im Auge hatte:1 "Es ist ein großer pba_192.019
Unterschied, ob der Dichter zum Allgemeinen das Besondere sucht, oder pba_192.020
im Besondern das Allgemeine schaut. Aus jener Art entsteht Allegorie, pba_192.021
wo das Besondere nur als Beispiel, als Exempel des Allgemeinen gilt; pba_192.022
die letztere aber ist eigentlich die Natur der Poesie; sie spricht ein Besonderes pba_192.023
aus, ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. pba_192.024
Wer nun dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das Allgemeine pba_192.025
mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst spät." Nur ist nicht zu übersehen, pba_192.026
daß hier von Goethe in der letzteren Kategorie zwei verschiedene pba_192.027
Fälle zusammengefaßt sind: "sie spricht ein Besonderes aus, pba_192.028
ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen": der pba_192.029
erste Fall ist allerdings der aller echten Poesie, sie stellt das Besondere pba_192.030
als typisch für das darin liegende Allgemeine dar; der zweite, wobei pba_192.031
wohl an ein Allgemeines "gedacht wird," welches nicht in dem Besondern pba_192.032
selbst liegt, sondern dem dieses Besondere ähnlich ist, ohne daß pba_192.033
durch den Hinweis darauf die Selbständigkeit der Darstellung die pba_192.034
geringste Beeinträchtigung erfährt, ist der Fall der vollendet poetischen pba_192.035
Allegorie.
Sicherlich hat Goethe bei seinem Gedicht "Seefahrt" pba_192.036
zunächst an sich selbst "gedacht", an seinen Eintritt in die Weimarer pba_192.037
Verhältnisse und an die Bedrängnisse und Gefahren jener sturm- und pba_192.038
drangerfüllten Jahre, unter denen er mit festem Zielbewußtsein seine

1 pba_192.039
Sprüche: Ethisches: IV, Nr. 363. S. Hempel XIX, S. 83.

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Lyrik sehr wohl bedienen kann; sobald die Epik sich ihrer bemächtigt, pba_192.002
also eine durchweg allegorische Handlung zum Gegenstande der pba_192.003
Nachahmung gemacht wird, so entsteht eine Parabel.

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Wie schon gesagt, es hindert nichts, daß sowohl die Allegorie als pba_192.005
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das wird natürlich am meisten der Fall sein, wo das Bild, die Handlung, pba_192.007
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im Besondern das Allgemeine schaut. Aus jener Art entsteht Allegorie, pba_192.021
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aus, ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. pba_192.024
Wer nun dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das Allgemeine pba_192.025
mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst spät.“ Nur ist nicht zu übersehen, pba_192.026
daß hier von Goethe in der letzteren Kategorie zwei verschiedene pba_192.027
Fälle zusammengefaßt sind: „sie spricht ein Besonderes aus, pba_192.028
ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen“: der pba_192.029
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wohl an ein Allgemeines „gedacht wird,“ welches nicht in dem Besondern pba_192.032
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/210>, abgerufen am 23.11.2024.