Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_474.001 pba_474.011 pba_474.018 theois gar en outo philon, pba_474.024 pba_474.033takh' an ti meniousin eis genos palai. pba_474.025 epei kath' auton g' ouk \an exeurois emoi pba_474.026 omartias oneidos ouden, anth' otou pba_474.027 tad' eis emauton tous emous th' emartanon pba_474.028 epei didaxon, ei ti thesphaton patri pba_474.029 khresmoisin ikneith', oste pros paidon thanein, pba_474.030 pos \an dikaios tout' oneidizois emoi; pba_474.031 os oute blastas po genethlious patros, pba_474.032 ou metros eikhon, all' agennetos tot' en. "So gefiel's den Göttern ja, pba_474.034
Die längst vielleicht Groll hegten wider mein Geschlecht. pba_474.035 Bei mir ja selber fändest du doch nimmermehr pba_474.036 Ein schimpfliches Vergehen aus,1 mit dem ich so pba_474.037 An mir und meinem Stamme mich versündigte. 1 pba_474.038
Donner übersetzt amartias oneidos mit "den Flecken eines Frevels" pba_474.039 doppelt verfehlt: amartia = "Jrrtum, Verfehlung" wird Ödipus nicht abweisen, pba_474.040 wohl aber oneidos = "Schmach, Schimpf, Schande". Er hat "geirrt", wie pba_474.041 jeder Mensch, aber "nicht schimpflich geirrt". pba_474.001 pba_474.011 pba_474.018 θεοῖς γὰρ ἦν οὕτω φίλον, pba_474.024 pba_474.033τάχ' ἄν τι μηνίουσιν εἰς γένος πάλαι. pba_474.025 ἐπεὶ καθ' αὑτόν γ' οὐκ \̓αν ἐξεύροις ἐμοὶ pba_474.026 ὁμαρτίας ὄνειδος οὐδὲν, ἀνθ' ὅτου pba_474.027 τάδ' εἰς ἐμαυτὸν τοὺς ἐμούς θ' ἡμάρτανον pba_474.028 ἐπεὶ δίδαξον, εἴ τι θέσφατον πατρὶ pba_474.029 χρησμοῖσιν ἱκνεῖθ', ὥστε πρὸς παίδων θανεῖν, pba_474.030 πῶς \̓αν δικαίως τοῦτ' ὀνειδίζοις ἐμοί; pba_474.031 ὅς οὔτε βλάστας πω γενεθλίους πατρὸς, pba_474.032 οὐ μητρὸς εἶχον, ἀλλ' ἀγέννητος τότ' ἦν. „So gefiel's den Göttern ja, pba_474.034
Die längst vielleicht Groll hegten wider mein Geschlecht. pba_474.035 Bei mir ja selber fändest du doch nimmermehr pba_474.036 Ein schimpfliches Vergehen aus,1 mit dem ich so pba_474.037 An mir und meinem Stamme mich versündigte. 1 pba_474.038
Donner übersetzt ἁμαρτίας ὄνειδος mit „den Flecken eines Frevels“ pba_474.039 doppelt verfehlt: ἁμαρτία = „Jrrtum, Verfehlung“ wird Ödipus nicht abweisen, pba_474.040 wohl aber ὄνειδος = „Schmach, Schimpf, Schande“. Er hat „geirrt“, wie pba_474.041 jeder Mensch, aber „nicht schimpflich geirrt“. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0492" n="474"/><lb n="pba_474.001"/> Selbst für die Zeiten, in denen der Glaube an sie längst geschwunden, <lb n="pba_474.002"/> behalten sie noch diese durch nichts zu ersetzende Kraft, eben weil sie <lb n="pba_474.003"/> <hi rendition="#g">Symbole</hi> sind, d. h. <hi rendition="#g">Kennzeichen für Jdeen, die der realen Erscheinungswelt <lb n="pba_474.004"/> entnommen sind.</hi> Eben <hi rendition="#g">weil</hi> solche Symbole aber <lb n="pba_474.005"/> <hi rendition="#g">nicht</hi> das Wesen der Dinge selbst enthalten, sondern nur die <hi rendition="#g">Ähnlichkeit <lb n="pba_474.006"/> im großen</hi> mit denselben festhalten, vertragen sie nicht die <lb n="pba_474.007"/> volle Beleuchtung der dramatischen Pragmatik, sondern verlangen ein <lb n="pba_474.008"/> gewisses Dunkel der Behandlung. So ist Sophokles hier verfahren, und <lb n="pba_474.009"/> so hat jeder <hi rendition="#g">große</hi> Dichter nach ihm sich Dingen derart gegenüber verhalten.</p> <lb n="pba_474.010"/> <p><lb n="pba_474.011"/> Daher gelingt es auch den Modernen, mögen sie selbst von griechischer <lb n="pba_474.012"/> Religion nicht die geringste gelehrte Kenntnis haben, sich völlig mit <lb n="pba_474.013"/> der Gesinnung zu durchdringen, die der Dichter das ganze Stück hindurch <lb n="pba_474.014"/> vom Chor und allen beteiligten Personen feierlichst bestätigen läßt, daß <lb n="pba_474.015"/> hier ein Geschick sich entrollt, das trotz seiner grausigen Abnormität <lb n="pba_474.016"/> göttlich gewollt, gesetzlich geordnet und daher gläubig hinzunehmen und <lb n="pba_474.017"/> zu verehren ist.</p> <p><lb n="pba_474.018"/> Erst im „<hi rendition="#g">Öedipus auf Kolonos</hi>“, in welchem die rückwärts <lb n="pba_474.019"/> gewandte Betrachtung eine so überwiegende Rolle spielt, läßt der Dichter <lb n="pba_474.020"/> Wendungen einfließen, die eine <hi rendition="#g">pragmatische</hi> Beurteilung der Voraussetzungen <lb n="pba_474.021"/> des Ganzen anbahnen. So, wenn Ödipus auf die Vorwürfe <lb n="pba_474.022"/> des Kreon erwidert (v. 964 ff.):</p> <lb n="pba_474.023"/> <lg> <l> <hi rendition="#aq"><foreign xml:lang="grc"><hi rendition="#g">θεοῖς γὰρ ἦν οὕτω φίλον</hi></foreign>,</hi> </l> <lb n="pba_474.024"/> <l> <hi rendition="#aq"><foreign xml:lang="grc"><hi rendition="#g">τάχ' ἄν τι μηνίουσιν εἰς γένος πάλαι</hi></foreign>.</hi> </l> <lb n="pba_474.025"/> <l> <hi rendition="#aq"> <foreign xml:lang="grc">ἐπεὶ καθ' αὑτόν γ' οὐκ \̓αν ἐξεύροις ἐμοὶ</foreign> </hi> </l> <lb n="pba_474.026"/> <l> <hi rendition="#aq"> <foreign xml:lang="grc">ὁμαρτίας ὄνειδος οὐδὲν, ἀνθ' ὅτου</foreign> </hi> </l> <lb n="pba_474.027"/> <l> <hi rendition="#aq"> <foreign xml:lang="grc">τάδ' εἰς ἐμαυτὸν τοὺς ἐμούς θ' ἡμάρτανον</foreign> </hi> </l> <lb n="pba_474.028"/> <l> <hi rendition="#aq"> <foreign xml:lang="grc">ἐπεὶ δίδαξον, εἴ τι θέσφατον πατρὶ</foreign> </hi> </l> <lb n="pba_474.029"/> <l> <hi rendition="#aq"><foreign xml:lang="grc">χρησμοῖσιν ἱκνεῖθ', ὥστε πρὸς παίδων θανεῖν</foreign>,</hi> </l> <lb n="pba_474.030"/> <l> <hi rendition="#aq"> <foreign xml:lang="grc">πῶς \̓αν δικαίως τοῦτ' ὀνειδίζοις ἐμοί</foreign> <hi rendition="#i">;</hi> </hi> </l> <lb n="pba_474.031"/> <l> <hi rendition="#aq"><foreign xml:lang="grc">ὅς οὔτε βλάστας πω γενεθλίους πατρὸς</foreign>,</hi> </l> <lb n="pba_474.032"/> <l><hi rendition="#aq"><foreign xml:lang="grc">οὐ μητρὸς εἶχον, ἀλλ' ἀγέννητος τότ' ἦν</foreign></hi>.</l> </lg> <lb n="pba_474.033"/> <lg> <l> „<hi rendition="#g">So gefiel's den Göttern ja,</hi></l> <lb n="pba_474.034"/> <l> <hi rendition="#g">Die längst vielleicht Groll hegten wider mein Geschlecht.</hi> </l> <lb n="pba_474.035"/> <l>Bei mir ja selber fändest du doch nimmermehr</l> <lb n="pba_474.036"/> <l>Ein schimpfliches Vergehen aus,</l> <note xml:id="pba_474_1" place="foot" n="1"><lb n="pba_474.038"/><hi rendition="#g">Donner</hi> übersetzt <foreign xml:lang="grc">ἁμαρτίας ὄνειδος</foreign> mit „<hi rendition="#g">den Flecken eines Frevels</hi>“ <lb n="pba_474.039"/> doppelt verfehlt: <foreign xml:lang="grc">ἁμαρτία</foreign> = „<hi rendition="#g">Jrrtum, Verfehlung</hi>“ wird Ödipus nicht abweisen, <lb n="pba_474.040"/> wohl aber <foreign xml:lang="grc">ὄνειδος</foreign> = „<hi rendition="#g">Schmach, Schimpf, Schande</hi>“. Er hat „<hi rendition="#g">geirrt</hi>“, wie <lb n="pba_474.041"/> jeder Mensch, aber „<hi rendition="#g">nicht schimpflich geirrt</hi>“.</note> <l> mit dem ich so</l> <lb n="pba_474.037"/> <l>An mir und meinem Stamme mich versündigte.</l> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [474/0492]
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Selbst für die Zeiten, in denen der Glaube an sie längst geschwunden, pba_474.002
behalten sie noch diese durch nichts zu ersetzende Kraft, eben weil sie pba_474.003
Symbole sind, d. h. Kennzeichen für Jdeen, die der realen Erscheinungswelt pba_474.004
entnommen sind. Eben weil solche Symbole aber pba_474.005
nicht das Wesen der Dinge selbst enthalten, sondern nur die Ähnlichkeit pba_474.006
im großen mit denselben festhalten, vertragen sie nicht die pba_474.007
volle Beleuchtung der dramatischen Pragmatik, sondern verlangen ein pba_474.008
gewisses Dunkel der Behandlung. So ist Sophokles hier verfahren, und pba_474.009
so hat jeder große Dichter nach ihm sich Dingen derart gegenüber verhalten.
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Daher gelingt es auch den Modernen, mögen sie selbst von griechischer pba_474.012
Religion nicht die geringste gelehrte Kenntnis haben, sich völlig mit pba_474.013
der Gesinnung zu durchdringen, die der Dichter das ganze Stück hindurch pba_474.014
vom Chor und allen beteiligten Personen feierlichst bestätigen läßt, daß pba_474.015
hier ein Geschick sich entrollt, das trotz seiner grausigen Abnormität pba_474.016
göttlich gewollt, gesetzlich geordnet und daher gläubig hinzunehmen und pba_474.017
zu verehren ist.
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Erst im „Öedipus auf Kolonos“, in welchem die rückwärts pba_474.019
gewandte Betrachtung eine so überwiegende Rolle spielt, läßt der Dichter pba_474.020
Wendungen einfließen, die eine pragmatische Beurteilung der Voraussetzungen pba_474.021
des Ganzen anbahnen. So, wenn Ödipus auf die Vorwürfe pba_474.022
des Kreon erwidert (v. 964 ff.):
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θεοῖς γὰρ ἦν οὕτω φίλον, pba_474.024
τάχ' ἄν τι μηνίουσιν εἰς γένος πάλαι. pba_474.025
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τάδ' εἰς ἐμαυτὸν τοὺς ἐμούς θ' ἡμάρτανον pba_474.028
ἐπεὶ δίδαξον, εἴ τι θέσφατον πατρὶ pba_474.029
χρησμοῖσιν ἱκνεῖθ', ὥστε πρὸς παίδων θανεῖν, pba_474.030
πῶς \̓αν δικαίως τοῦτ' ὀνειδίζοις ἐμοί; pba_474.031
ὅς οὔτε βλάστας πω γενεθλίους πατρὸς, pba_474.032
οὐ μητρὸς εἶχον, ἀλλ' ἀγέννητος τότ' ἦν.
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„So gefiel's den Göttern ja, pba_474.034
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Bei mir ja selber fändest du doch nimmermehr pba_474.036
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1 pba_474.038
Donner übersetzt ἁμαρτίας ὄνειδος mit „den Flecken eines Frevels“ pba_474.039
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wohl aber ὄνειδος = „Schmach, Schimpf, Schande“. Er hat „geirrt“, wie pba_474.041
jeder Mensch, aber „nicht schimpflich geirrt“.
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