Unter Kunstgewerbslehre (Gewerkslehre, Technolo- gie) versteht man die systematische Darstellung der Grundsätze und Regeln, wonach die der Natur abgewonnenen Rohstoffe durch Ver- edelung und Verarbeitung so zugerichtet werden, daß sie für die Zwecke der Menschen brauchbarer sind, als im Urzustande. Es gehört also in ihr Bereich nicht blos die eigentliche Verarbeitung roher Stoffe zur Bildung neuer Producte, sondern auch die Aus- besserung und Wiederherstellung derselben. Es ist nicht blos ihre Aufgabe, die verschiedenen Verfahrungsweisen zu erzählen, sondern vielmehr auch alle die einzelnen Gewerkszweige durch Zurückführung auf mathematische und naturwissenschaftliche Prinzipien zu begrün- den. In dieser lezteren Art und mit diesem lezteren Zwecke ist sie erst in der zweiten Hälfte des 18ten Jahrhunderts hervorgetreten, und namentlich hat sich Joh. Beckmann um sie damals sehr große Verdienste erworben. Dagegen bestand sie vor dieser Zeit mehr nur in den einzelnen kunst- und gewerbsmäßig betriebenen technischen Zweigen ohne eigentlichen inneren wissenschaftlichen Zu- sammenhang und selbst im Einzelnen ohne wissenschaftlich tiefe Begründung1). Ihr Gegenstand ist von solcher Ausdehnung und Manchfaltigkeit, daß selbst nur eine strenge Uebersicht desselben eine bis jetzt unerreichbare Aufgabe war, und er wird sich auch noch immerfort erweitern, je mehr sich die Hilfslehren der Technologie, -- nämlich die Mathematik, Mechanik, Physik, Chemie und Naturgeschichte, -- und der Gewerbseifer mit dem Wohl- stande der Völker ausdehnen. Es gehört ihr Alles an, was zwi- schen der kunstlosesten Verarbeitungsthätigkeit und der höchsten bildenden Kunst seinen Platz findet. Als wissenschaftlicher Erkennt- nißzweig schließt sie jedoch die Gewerke, zu deren Kenntniß keine wissenschaftliche Kenntniß nöthig ist und blos Uebung gehört, aus und beschäftigt sich dagegen nur mit den anderen. Obschon ihre Literatur, als umfassende Technologie, keineswegs übermäßig groß ist2), so sind die Schriften und Belehrungen über die einzelnen Gewerksthätigkeiten und Gewerkszweige von ganz ungeheurer Aus- dehnung, so daß viele Erfindungen ganz unzugänglich wären, wenn es nicht technologische Zeitschriften3) gäbe, welche als die
Zweite Abtheilung. Kunſtgewerbslehre.
Einleitung.
§. 268.
Unter Kunſtgewerbslehre (Gewerkslehre, Technolo- gie) verſteht man die ſyſtematiſche Darſtellung der Grundſätze und Regeln, wonach die der Natur abgewonnenen Rohſtoffe durch Ver- edelung und Verarbeitung ſo zugerichtet werden, daß ſie für die Zwecke der Menſchen brauchbarer ſind, als im Urzuſtande. Es gehört alſo in ihr Bereich nicht blos die eigentliche Verarbeitung roher Stoffe zur Bildung neuer Producte, ſondern auch die Aus- beſſerung und Wiederherſtellung derſelben. Es iſt nicht blos ihre Aufgabe, die verſchiedenen Verfahrungsweiſen zu erzählen, ſondern vielmehr auch alle die einzelnen Gewerkszweige durch Zurückführung auf mathematiſche und naturwiſſenſchaftliche Prinzipien zu begrün- den. In dieſer lezteren Art und mit dieſem lezteren Zwecke iſt ſie erſt in der zweiten Hälfte des 18ten Jahrhunderts hervorgetreten, und namentlich hat ſich Joh. Beckmann um ſie damals ſehr große Verdienſte erworben. Dagegen beſtand ſie vor dieſer Zeit mehr nur in den einzelnen kunſt- und gewerbsmäßig betriebenen techniſchen Zweigen ohne eigentlichen inneren wiſſenſchaftlichen Zu- ſammenhang und ſelbſt im Einzelnen ohne wiſſenſchaftlich tiefe Begründung1). Ihr Gegenſtand iſt von ſolcher Ausdehnung und Manchfaltigkeit, daß ſelbſt nur eine ſtrenge Ueberſicht deſſelben eine bis jetzt unerreichbare Aufgabe war, und er wird ſich auch noch immerfort erweitern, je mehr ſich die Hilfslehren der Technologie, — nämlich die Mathematik, Mechanik, Phyſik, Chemie und Naturgeſchichte, — und der Gewerbseifer mit dem Wohl- ſtande der Völker ausdehnen. Es gehört ihr Alles an, was zwi- ſchen der kunſtloſeſten Verarbeitungsthätigkeit und der höchſten bildenden Kunſt ſeinen Platz findet. Als wiſſenſchaftlicher Erkennt- nißzweig ſchließt ſie jedoch die Gewerke, zu deren Kenntniß keine wiſſenſchaftliche Kenntniß nöthig iſt und blos Uebung gehört, aus und beſchäftigt ſich dagegen nur mit den anderen. Obſchon ihre Literatur, als umfaſſende Technologie, keineswegs übermäßig groß iſt2), ſo ſind die Schriften und Belehrungen über die einzelnen Gewerksthätigkeiten und Gewerkszweige von ganz ungeheurer Aus- dehnung, ſo daß viele Erfindungen ganz unzugänglich wären, wenn es nicht technologiſche Zeitſchriften3) gäbe, welche als die
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Zweite Abtheilung.
Kunſtgewerbslehre.
Einleitung.
§. 268.
Unter Kunſtgewerbslehre (Gewerkslehre, Technolo-
gie) verſteht man die ſyſtematiſche Darſtellung der Grundſätze und
Regeln, wonach die der Natur abgewonnenen Rohſtoffe durch Ver-
edelung und Verarbeitung ſo zugerichtet werden, daß ſie für die
Zwecke der Menſchen brauchbarer ſind, als im Urzuſtande. Es
gehört alſo in ihr Bereich nicht blos die eigentliche Verarbeitung
roher Stoffe zur Bildung neuer Producte, ſondern auch die Aus-
beſſerung und Wiederherſtellung derſelben. Es iſt nicht blos ihre
Aufgabe, die verſchiedenen Verfahrungsweiſen zu erzählen, ſondern
vielmehr auch alle die einzelnen Gewerkszweige durch Zurückführung
auf mathematiſche und naturwiſſenſchaftliche Prinzipien zu begrün-
den. In dieſer lezteren Art und mit dieſem lezteren Zwecke iſt ſie
erſt in der zweiten Hälfte des 18ten Jahrhunderts hervorgetreten,
und namentlich hat ſich Joh. Beckmann um ſie damals ſehr
große Verdienſte erworben. Dagegen beſtand ſie vor dieſer Zeit
mehr nur in den einzelnen kunſt- und gewerbsmäßig betriebenen
techniſchen Zweigen ohne eigentlichen inneren wiſſenſchaftlichen Zu-
ſammenhang und ſelbſt im Einzelnen ohne wiſſenſchaftlich tiefe
Begründung1). Ihr Gegenſtand iſt von ſolcher Ausdehnung und
Manchfaltigkeit, daß ſelbſt nur eine ſtrenge Ueberſicht deſſelben eine
bis jetzt unerreichbare Aufgabe war, und er wird ſich auch noch
immerfort erweitern, je mehr ſich die Hilfslehren der Technologie,
— nämlich die Mathematik, Mechanik, Phyſik, Chemie
und Naturgeſchichte, — und der Gewerbseifer mit dem Wohl-
ſtande der Völker ausdehnen. Es gehört ihr Alles an, was zwi-
ſchen der kunſtloſeſten Verarbeitungsthätigkeit und der höchſten
bildenden Kunſt ſeinen Platz findet. Als wiſſenſchaftlicher Erkennt-
nißzweig ſchließt ſie jedoch die Gewerke, zu deren Kenntniß keine
wiſſenſchaftliche Kenntniß nöthig iſt und blos Uebung gehört, aus
und beſchäftigt ſich dagegen nur mit den anderen. Obſchon ihre
Literatur, als umfaſſende Technologie, keineswegs übermäßig groß
iſt2), ſo ſind die Schriften und Belehrungen über die einzelnen
Gewerksthätigkeiten und Gewerkszweige von ganz ungeheurer Aus-
dehnung, ſo daß viele Erfindungen ganz unzugänglich wären, wenn
es nicht technologiſche Zeitſchriften3) gäbe, welche als die
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Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/352>, abgerufen am 22.11.2024.
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