Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Begattung, sobald jener erwacht und sobald die Aussicht vorhan-
den, daß sie und die Erzeugten mit ihrem Erwerbe an Existenz-
mitteln leben können. Fülle an kräftigen Lebensmitteln vermehrt
die Geschlechtslust und die Zeugungskraft; aber wenn auch alle
Männer und Weiber von einem bestimmten bis zu einem bestimmten
Alter vermögend und fruchtbar wären, so würde doch jedes Weib
in jenem Zeitraume jährlich nur ein Kind gebären können. Die
Lasterhaftigkeit, leichtsinnige Verheirathung, Unfruchtbarkeit,
Zwillings- und Drillingsgeburten sind gegen diese Gesetze nur Aus-
nahmen. Die Menschen vermehren und vermindern sich daher
natur- und verkehrsgesetzlich nach der Zu- und Abnahme der
Lebensmittel. Oder jede Nation steht mit ihrer Bevölkerung in
geradem Verhältnisse zur wirthschaftlichen Production, d. h. zu der
Größe und Vertheilung des jährlichen Volkseinkommens. Alles,
was diese befördert und hindert, erhöht und erniedrigt die Be-
völkerung. Darum ist die Bevölkerung seit den ältesten Zeiten
trotz vieler periodischer ungünstiger Ereignisse bis jetzt gestiegen,
und ist in jenen Ländern am größten, wo eine reichliche Natur die
Production begünstigt, wo Sicherheit des Eigenthums und der
Person, die geistige Entwickelung, Geschicklichkeit, Arbeitstheilung
und Arbeitsverbindung die productive Wirkung der Arbeit am mei-
sten erhöhen, wo das meiste Capital am zweckmäßigsten verwendet
ist, wo der Güterumlauf durch Geld und Kredit am besten beför-
dert wird, wo die Preise der Lebensmittel am niedrigsten, und
wo die Einkommensarten, nämlich Grundrente, Arbeitslohn, Ca-
pitalzins und Gewerbsgewinn am besten und freiesten vertheilt sind.
Wo die entgegengesetzten Verhältnisse obwalten, da wird sie auch
am kleinsten sein1). Die Bevölkerung richtet sich daher beständig
nach dem Consumtionsvorrathe, und dieser wächst mit immer
neuer Capital- und Arbeitsanwendung auf die Natur. Dieses
Gleichgewicht bleibt aber nicht ohne Unterbrechung, es gibt viel-
mehr vorübergehende Ereignisse, welche den Consumtionsvorrath
im Verhältnisse zur bestehenden Bevölkerung, und welche die Letztere
im Verhältnisse zu jenem übermäßig verringern, z. B. landwirth-
schaftliche Mißjahre, und verheerende Krankheiten. So erschütternd
und traurig sie auch sind, so hat die Erfahrung doch gezeigt, daß
nach ihnen die Bevölkerung wieder rascher zunimmt.

1) Thatsachen hier mitzutheilen, würde zu weit führen. Gute Statistiken und
folgende Schriften über die Theorie der Bevölkerung enthalten dazu die Beweise.
A. smith Inquiry. I. 121. 255. say Cours. IV. 305-414, Uebers. von v. Th.
IV. 234-314. storch Cours, Uebers. von Rau. II. 392. III. 454. Beccaria
Elementi. I. 47. Ortes Dell' Econom. nazionale. II. 147.
Desselben Rifles-
sioni sulla Popolazione delle Nazioni = Economisti. P. Mod. XXIV. p. 5. 23 sqq.

Begattung, ſobald jener erwacht und ſobald die Ausſicht vorhan-
den, daß ſie und die Erzeugten mit ihrem Erwerbe an Exiſtenz-
mitteln leben können. Fülle an kräftigen Lebensmitteln vermehrt
die Geſchlechtsluſt und die Zeugungskraft; aber wenn auch alle
Männer und Weiber von einem beſtimmten bis zu einem beſtimmten
Alter vermögend und fruchtbar wären, ſo würde doch jedes Weib
in jenem Zeitraume jährlich nur ein Kind gebären können. Die
Laſterhaftigkeit, leichtſinnige Verheirathung, Unfruchtbarkeit,
Zwillings- und Drillingsgeburten ſind gegen dieſe Geſetze nur Aus-
nahmen. Die Menſchen vermehren und vermindern ſich daher
natur- und verkehrsgeſetzlich nach der Zu- und Abnahme der
Lebensmittel. Oder jede Nation ſteht mit ihrer Bevölkerung in
geradem Verhältniſſe zur wirthſchaftlichen Production, d. h. zu der
Größe und Vertheilung des jährlichen Volkseinkommens. Alles,
was dieſe befördert und hindert, erhöht und erniedrigt die Be-
völkerung. Darum iſt die Bevölkerung ſeit den älteſten Zeiten
trotz vieler periodiſcher ungünſtiger Ereigniſſe bis jetzt geſtiegen,
und iſt in jenen Ländern am größten, wo eine reichliche Natur die
Production begünſtigt, wo Sicherheit des Eigenthums und der
Perſon, die geiſtige Entwickelung, Geſchicklichkeit, Arbeitstheilung
und Arbeitsverbindung die productive Wirkung der Arbeit am mei-
ſten erhöhen, wo das meiſte Capital am zweckmäßigſten verwendet
iſt, wo der Güterumlauf durch Geld und Kredit am beſten beför-
dert wird, wo die Preiſe der Lebensmittel am niedrigſten, und
wo die Einkommensarten, nämlich Grundrente, Arbeitslohn, Ca-
pitalzins und Gewerbsgewinn am beſten und freieſten vertheilt ſind.
Wo die entgegengeſetzten Verhältniſſe obwalten, da wird ſie auch
am kleinſten ſein1). Die Bevölkerung richtet ſich daher beſtändig
nach dem Conſumtionsvorrathe, und dieſer wächst mit immer
neuer Capital- und Arbeitsanwendung auf die Natur. Dieſes
Gleichgewicht bleibt aber nicht ohne Unterbrechung, es gibt viel-
mehr vorübergehende Ereigniſſe, welche den Conſumtionsvorrath
im Verhältniſſe zur beſtehenden Bevölkerung, und welche die Letztere
im Verhältniſſe zu jenem übermäßig verringern, z. B. landwirth-
ſchaftliche Mißjahre, und verheerende Krankheiten. So erſchütternd
und traurig ſie auch ſind, ſo hat die Erfahrung doch gezeigt, daß
nach ihnen die Bevölkerung wieder raſcher zunimmt.

1) Thatſachen hier mitzutheilen, würde zu weit führen. Gute Statiſtiken und
folgende Schriften über die Theorie der Bevölkerung enthalten dazu die Beweiſe.
A. smith Inquiry. I. 121. 255. say Cours. IV. 305–414, Ueberſ. von v. Th.
IV. 234–314. storch Cours, Ueberſ. von Rau. II. 392. III. 454. Beccaria
Elementi. I. 47. Ortes Dell' Econom. nazionale. II. 147.
Deſſelben Rifles-
sioni sulla Popolazione delle Nazioni = Economisti. P. Mod. XXIV. p. 5. 23 sqq.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0629" n="607"/>
Begattung, &#x017F;obald jener erwacht und &#x017F;obald die Aus&#x017F;icht vorhan-<lb/>
den, daß &#x017F;ie und die Erzeugten mit ihrem Erwerbe an Exi&#x017F;tenz-<lb/>
mitteln leben können. Fülle an kräftigen Lebensmitteln vermehrt<lb/>
die Ge&#x017F;chlechtslu&#x017F;t und die Zeugungskraft; aber wenn auch alle<lb/>
Männer und Weiber von einem be&#x017F;timmten bis zu einem be&#x017F;timmten<lb/>
Alter vermögend und fruchtbar wären, &#x017F;o würde doch jedes Weib<lb/>
in jenem Zeitraume jährlich nur ein Kind gebären können. Die<lb/>
La&#x017F;terhaftigkeit, leicht&#x017F;innige Verheirathung, Unfruchtbarkeit,<lb/>
Zwillings- und Drillingsgeburten &#x017F;ind gegen die&#x017F;e Ge&#x017F;etze nur Aus-<lb/>
nahmen. Die Men&#x017F;chen vermehren und vermindern &#x017F;ich daher<lb/>
natur- und verkehrsge&#x017F;etzlich nach der Zu- und Abnahme der<lb/>
Lebensmittel. Oder jede Nation &#x017F;teht mit ihrer Bevölkerung in<lb/>
geradem Verhältni&#x017F;&#x017F;e zur wirth&#x017F;chaftlichen Production, d. h. zu der<lb/>
Größe und Vertheilung des jährlichen Volkseinkommens. Alles,<lb/>
was die&#x017F;e befördert und hindert, erhöht und erniedrigt die Be-<lb/>
völkerung. Darum i&#x017F;t die Bevölkerung &#x017F;eit den älte&#x017F;ten Zeiten<lb/>
trotz vieler periodi&#x017F;cher ungün&#x017F;tiger Ereigni&#x017F;&#x017F;e bis jetzt ge&#x017F;tiegen,<lb/>
und i&#x017F;t in jenen Ländern am größten, wo eine reichliche Natur die<lb/>
Production begün&#x017F;tigt, wo Sicherheit des Eigenthums und der<lb/>
Per&#x017F;on, die gei&#x017F;tige Entwickelung, Ge&#x017F;chicklichkeit, Arbeitstheilung<lb/>
und Arbeitsverbindung die productive Wirkung der Arbeit am mei-<lb/>
&#x017F;ten erhöhen, wo das mei&#x017F;te Capital am zweckmäßig&#x017F;ten verwendet<lb/>
i&#x017F;t, wo der Güterumlauf durch Geld und Kredit am be&#x017F;ten beför-<lb/>
dert wird, wo die Prei&#x017F;e der Lebensmittel am niedrig&#x017F;ten, und<lb/>
wo die Einkommensarten, nämlich Grundrente, Arbeitslohn, Ca-<lb/>
pitalzins und Gewerbsgewinn am be&#x017F;ten und freie&#x017F;ten vertheilt &#x017F;ind.<lb/>
Wo die entgegenge&#x017F;etzten Verhältni&#x017F;&#x017F;e obwalten, da wird &#x017F;ie auch<lb/>
am klein&#x017F;ten &#x017F;ein<hi rendition="#sup">1</hi>). Die Bevölkerung richtet &#x017F;ich daher be&#x017F;tändig<lb/>
nach dem Con&#x017F;umtionsvorrathe, und die&#x017F;er wächst mit immer<lb/>
neuer Capital- und Arbeitsanwendung auf die Natur. Die&#x017F;es<lb/>
Gleichgewicht bleibt aber nicht ohne Unterbrechung, es gibt viel-<lb/>
mehr vorübergehende Ereigni&#x017F;&#x017F;e, welche den Con&#x017F;umtionsvorrath<lb/>
im Verhältni&#x017F;&#x017F;e zur be&#x017F;tehenden Bevölkerung, und welche die Letztere<lb/>
im Verhältni&#x017F;&#x017F;e zu jenem übermäßig verringern, z. B. landwirth-<lb/>
&#x017F;chaftliche Mißjahre, und verheerende Krankheiten. So er&#x017F;chütternd<lb/>
und traurig &#x017F;ie auch &#x017F;ind, &#x017F;o hat die Erfahrung doch gezeigt, daß<lb/>
nach ihnen die Bevölkerung wieder ra&#x017F;cher zunimmt.</p><lb/>
                      <note place="end" n="1)">That&#x017F;achen hier mitzutheilen, würde zu weit führen. Gute Stati&#x017F;tiken und<lb/>
folgende Schriften über die Theorie der Bevölkerung enthalten dazu die Bewei&#x017F;e.<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">A. smith</hi> Inquiry. I. 121. 255. <hi rendition="#i">say</hi> Cours. IV. 305&#x2013;414,</hi> Ueber&#x017F;. von v. Th.<lb/>
IV. 234&#x2013;314. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">storch</hi> Cours,</hi> Ueber&#x017F;. von <hi rendition="#g">Rau</hi>. II. 392. III. 454. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Beccaria</hi><lb/>
Elementi. I. 47. <hi rendition="#i">Ortes</hi> Dell' Econom. nazionale. II. 147.</hi> <hi rendition="#g">De&#x017F;&#x017F;elben</hi> <hi rendition="#aq">Rifles-<lb/>
sioni sulla Popolazione delle Nazioni = Economisti. P. Mod. XXIV. p. 5. 23 sqq.<lb/></hi></note>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[607/0629] Begattung, ſobald jener erwacht und ſobald die Ausſicht vorhan- den, daß ſie und die Erzeugten mit ihrem Erwerbe an Exiſtenz- mitteln leben können. Fülle an kräftigen Lebensmitteln vermehrt die Geſchlechtsluſt und die Zeugungskraft; aber wenn auch alle Männer und Weiber von einem beſtimmten bis zu einem beſtimmten Alter vermögend und fruchtbar wären, ſo würde doch jedes Weib in jenem Zeitraume jährlich nur ein Kind gebären können. Die Laſterhaftigkeit, leichtſinnige Verheirathung, Unfruchtbarkeit, Zwillings- und Drillingsgeburten ſind gegen dieſe Geſetze nur Aus- nahmen. Die Menſchen vermehren und vermindern ſich daher natur- und verkehrsgeſetzlich nach der Zu- und Abnahme der Lebensmittel. Oder jede Nation ſteht mit ihrer Bevölkerung in geradem Verhältniſſe zur wirthſchaftlichen Production, d. h. zu der Größe und Vertheilung des jährlichen Volkseinkommens. Alles, was dieſe befördert und hindert, erhöht und erniedrigt die Be- völkerung. Darum iſt die Bevölkerung ſeit den älteſten Zeiten trotz vieler periodiſcher ungünſtiger Ereigniſſe bis jetzt geſtiegen, und iſt in jenen Ländern am größten, wo eine reichliche Natur die Production begünſtigt, wo Sicherheit des Eigenthums und der Perſon, die geiſtige Entwickelung, Geſchicklichkeit, Arbeitstheilung und Arbeitsverbindung die productive Wirkung der Arbeit am mei- ſten erhöhen, wo das meiſte Capital am zweckmäßigſten verwendet iſt, wo der Güterumlauf durch Geld und Kredit am beſten beför- dert wird, wo die Preiſe der Lebensmittel am niedrigſten, und wo die Einkommensarten, nämlich Grundrente, Arbeitslohn, Ca- pitalzins und Gewerbsgewinn am beſten und freieſten vertheilt ſind. Wo die entgegengeſetzten Verhältniſſe obwalten, da wird ſie auch am kleinſten ſein1). Die Bevölkerung richtet ſich daher beſtändig nach dem Conſumtionsvorrathe, und dieſer wächst mit immer neuer Capital- und Arbeitsanwendung auf die Natur. Dieſes Gleichgewicht bleibt aber nicht ohne Unterbrechung, es gibt viel- mehr vorübergehende Ereigniſſe, welche den Conſumtionsvorrath im Verhältniſſe zur beſtehenden Bevölkerung, und welche die Letztere im Verhältniſſe zu jenem übermäßig verringern, z. B. landwirth- ſchaftliche Mißjahre, und verheerende Krankheiten. So erſchütternd und traurig ſie auch ſind, ſo hat die Erfahrung doch gezeigt, daß nach ihnen die Bevölkerung wieder raſcher zunimmt. ¹⁾ Thatſachen hier mitzutheilen, würde zu weit führen. Gute Statiſtiken und folgende Schriften über die Theorie der Bevölkerung enthalten dazu die Beweiſe. A. smith Inquiry. I. 121. 255. say Cours. IV. 305–414, Ueberſ. von v. Th. IV. 234–314. storch Cours, Ueberſ. von Rau. II. 392. III. 454. Beccaria Elementi. I. 47. Ortes Dell' Econom. nazionale. II. 147. Deſſelben Rifles- sioni sulla Popolazione delle Nazioni = Economisti. P. Mod. XXIV. p. 5. 23 sqq.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/629
Zitationshilfe: Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835, S. 607. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/629>, abgerufen am 21.11.2024.