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Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835.

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wichtig, die Bevölkerung durch Beförderung des Einwanderns
zu gründen; allein selten wird sich so eine kernhafte Bevölkerung
bilden lassen, da nicht die Guten und Besseren des Auslandes ihr
Vaterland gewöhnlich verlassen und die Aclimatisirung und Gewöh-
nung an fremde Sitten schwer ist1). Daß man aber ehedem das
Auswandern verhütete, das hängt mit den Leibeigenschaftsver-
hältnissen zusammen und verträgt sich mit den Grundsätzen freier
Staaten nicht2). Allein zur Sicherheit dient das Verlangen einer
Caution aus dem Vermögen der Auswanderer für den Fall der
Rückkehr auf so lange, bis die Ansiedelung als hinlänglich begrün-
det und eine Zurückkunft nicht mehr als wahrscheinlich erscheint;
das Verbot und die Bestrafung des Werbens, wegen des möglichen
Betrugs; Belehrung über den Zustand der Ausgewanderten, um
gegen irrige Vorstellungen zu sichern. Da aber das Auswandern,
wenn es bedeutend ist, nicht ohne reelle Gründe Statt zu finden
pflegt, so arbeitet man am besten den Ursachen desselben entgegen3).

1) Mittel: Ertheilung von Grundeigenthum, Steuerfreiheit, Capitalvorschüsse u. s. w.
2) In England war sogar das Auswandern von Gewerksarbeitern verboten bis
a. 1824. S. Babbage Maschinenwesen. §. 398. Es muß sogar im Interesse der
Regirungen sein, den Consuln in den fremden Einwanderungsländern Instructionen
über die Behandlung der Auswanderer zu geben.
3) Die Erleichterung des Heirathens als Bevölkerungsmittel ist nicht
leicht im gehörigen Maaße und Ziele zu halten, es geschieht bald zu viel, so daß
das leichtsinnige Heirathen und in dessen Gefolge Armuth und Belastung der Ge-
meindekassen u. dgl. erleichtert wird, -- bald zu wenig, so daß arbeitsame tüchtige
Leute aus Mangel am erforderlichen Vermögen daran verhindert werden. Es ver-
dienen daher Kassen und Stiftungen für Aussteuerung braver Mädchen
u. dgl. alle Ermunterung. S. Bergius Polizei- und Cameralmagazin. Art.
Brautcasse. v. Berg, Handb. des Polizeirechts. II. 32.
Zweiter Absatz.
Einwirkung auf die Verwendung selbst.
§. 458.
1) Verschwendungs- und Luxusgesetze.

Der Genuß ist der Zweck der Wirthschaft. Es gibt aber auch
einen unvernünftigen und sittenlosen Genuß des Vermögens und
Einkommens. Gerade wegen dieses Gegensatzes ist es nun für
eine Regirung äußerst schwer, in der Ergreifung von Maaßregeln
gegen unproductive Verzehrung das richtige Maaß zu treffen. Man-
gel an Aufmerksamkeit würde zwar den gesunden Sinn der Mehr-
heit des Volkes nicht verderben, aber doch manche Einzelnen und
Familien ins wirthschaftliche, von da in das sittliche Verderben
führen, dem Staate oder den Gemeinden zur Unterhaltung über-

wichtig, die Bevölkerung durch Beförderung des Einwanderns
zu gründen; allein ſelten wird ſich ſo eine kernhafte Bevölkerung
bilden laſſen, da nicht die Guten und Beſſeren des Auslandes ihr
Vaterland gewöhnlich verlaſſen und die Aclimatiſirung und Gewöh-
nung an fremde Sitten ſchwer iſt1). Daß man aber ehedem das
Auswandern verhütete, das hängt mit den Leibeigenſchaftsver-
hältniſſen zuſammen und verträgt ſich mit den Grundſätzen freier
Staaten nicht2). Allein zur Sicherheit dient das Verlangen einer
Caution aus dem Vermögen der Auswanderer für den Fall der
Rückkehr auf ſo lange, bis die Anſiedelung als hinlänglich begrün-
det und eine Zurückkunft nicht mehr als wahrſcheinlich erſcheint;
das Verbot und die Beſtrafung des Werbens, wegen des möglichen
Betrugs; Belehrung über den Zuſtand der Ausgewanderten, um
gegen irrige Vorſtellungen zu ſichern. Da aber das Auswandern,
wenn es bedeutend iſt, nicht ohne reelle Gründe Statt zu finden
pflegt, ſo arbeitet man am beſten den Urſachen deſſelben entgegen3).

1) Mittel: Ertheilung von Grundeigenthum, Steuerfreiheit, Capitalvorſchüſſe u. ſ. w.
2) In England war ſogar das Auswandern von Gewerksarbeitern verboten bis
a. 1824. S. Babbage Maſchinenweſen. §. 398. Es muß ſogar im Intereſſe der
Regirungen ſein, den Conſuln in den fremden Einwanderungsländern Inſtructionen
über die Behandlung der Auswanderer zu geben.
3) Die Erleichterung des Heirathens als Bevölkerungsmittel iſt nicht
leicht im gehörigen Maaße und Ziele zu halten, es geſchieht bald zu viel, ſo daß
das leichtſinnige Heirathen und in deſſen Gefolge Armuth und Belaſtung der Ge-
meindekaſſen u. dgl. erleichtert wird, — bald zu wenig, ſo daß arbeitſame tüchtige
Leute aus Mangel am erforderlichen Vermögen daran verhindert werden. Es ver-
dienen daher Kaſſen und Stiftungen für Ausſteuerung braver Mädchen
u. dgl. alle Ermunterung. S. Bergius Polizei- und Cameralmagazin. Art.
Brautcaſſe. v. Berg, Handb. des Polizeirechts. II. 32.
Zweiter Abſatz.
Einwirkung auf die Verwendung ſelbſt.
§. 458.
1) Verſchwendungs- und Luxusgeſetze.

Der Genuß iſt der Zweck der Wirthſchaft. Es gibt aber auch
einen unvernünftigen und ſittenloſen Genuß des Vermögens und
Einkommens. Gerade wegen dieſes Gegenſatzes iſt es nun für
eine Regirung äußerſt ſchwer, in der Ergreifung von Maaßregeln
gegen unproductive Verzehrung das richtige Maaß zu treffen. Man-
gel an Aufmerkſamkeit würde zwar den geſunden Sinn der Mehr-
heit des Volkes nicht verderben, aber doch manche Einzelnen und
Familien ins wirthſchaftliche, von da in das ſittliche Verderben
führen, dem Staate oder den Gemeinden zur Unterhaltung über-

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[647/0669] wichtig, die Bevölkerung durch Beförderung des Einwanderns zu gründen; allein ſelten wird ſich ſo eine kernhafte Bevölkerung bilden laſſen, da nicht die Guten und Beſſeren des Auslandes ihr Vaterland gewöhnlich verlaſſen und die Aclimatiſirung und Gewöh- nung an fremde Sitten ſchwer iſt1). Daß man aber ehedem das Auswandern verhütete, das hängt mit den Leibeigenſchaftsver- hältniſſen zuſammen und verträgt ſich mit den Grundſätzen freier Staaten nicht2). Allein zur Sicherheit dient das Verlangen einer Caution aus dem Vermögen der Auswanderer für den Fall der Rückkehr auf ſo lange, bis die Anſiedelung als hinlänglich begrün- det und eine Zurückkunft nicht mehr als wahrſcheinlich erſcheint; das Verbot und die Beſtrafung des Werbens, wegen des möglichen Betrugs; Belehrung über den Zuſtand der Ausgewanderten, um gegen irrige Vorſtellungen zu ſichern. Da aber das Auswandern, wenn es bedeutend iſt, nicht ohne reelle Gründe Statt zu finden pflegt, ſo arbeitet man am beſten den Urſachen deſſelben entgegen3). ¹⁾ Mittel: Ertheilung von Grundeigenthum, Steuerfreiheit, Capitalvorſchüſſe u. ſ. w. ²⁾ In England war ſogar das Auswandern von Gewerksarbeitern verboten bis a. 1824. S. Babbage Maſchinenweſen. §. 398. Es muß ſogar im Intereſſe der Regirungen ſein, den Conſuln in den fremden Einwanderungsländern Inſtructionen über die Behandlung der Auswanderer zu geben. ³⁾ Die Erleichterung des Heirathens als Bevölkerungsmittel iſt nicht leicht im gehörigen Maaße und Ziele zu halten, es geſchieht bald zu viel, ſo daß das leichtſinnige Heirathen und in deſſen Gefolge Armuth und Belaſtung der Ge- meindekaſſen u. dgl. erleichtert wird, — bald zu wenig, ſo daß arbeitſame tüchtige Leute aus Mangel am erforderlichen Vermögen daran verhindert werden. Es ver- dienen daher Kaſſen und Stiftungen für Ausſteuerung braver Mädchen u. dgl. alle Ermunterung. S. Bergius Polizei- und Cameralmagazin. Art. Brautcaſſe. v. Berg, Handb. des Polizeirechts. II. 32. Zweiter Abſatz. Einwirkung auf die Verwendung ſelbſt. §. 458. 1) Verſchwendungs- und Luxusgeſetze. Der Genuß iſt der Zweck der Wirthſchaft. Es gibt aber auch einen unvernünftigen und ſittenloſen Genuß des Vermögens und Einkommens. Gerade wegen dieſes Gegenſatzes iſt es nun für eine Regirung äußerſt ſchwer, in der Ergreifung von Maaßregeln gegen unproductive Verzehrung das richtige Maaß zu treffen. Man- gel an Aufmerkſamkeit würde zwar den geſunden Sinn der Mehr- heit des Volkes nicht verderben, aber doch manche Einzelnen und Familien ins wirthſchaftliche, von da in das ſittliche Verderben führen, dem Staate oder den Gemeinden zur Unterhaltung über-

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Zitationshilfe: Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/669>, abgerufen am 24.11.2024.