Becher, Johann Joachim: Psychosophia Oder Seelen-Weißheit. 2. Aufl. Frankfurt (Main), [1683].Vorrede. stand beynahe darinnen nicht höherkommen kan/ und nützer wäre/ daß sie weniger wüßten/ als welche durch ihre hohe Vernunfft in Jrrthum/ etliche gar in Verzweiffelung gefallen. Es ist auch nicht zu verwundern/ daß in die- sem Geräusch und unordentlichem Le- ben der Welt die Seele mit ihrem Ver- stand nicht herfür kan/ sondern ver- tunckelt ligen muß. Dann klaget der Poet Ovidius, daß er keine gute Verß ma- chen könne/ wegen des Winters und Wetters/ wenn er schreibet: Carmina secessum scribentis & otia quaerunt, Me mare, meventus, me fera jactat hyems; Wer Verse schreiben wil/ muß haben Still und Zeit/ Mich quälet der Wind/ das Meer/ des Win- ters Strengigkeit. Wie viel mehr kan eine menschliche in
Vorrede. ſtand beynahe darinnen nicht hoͤherkommen kan/ und nuͤtzer waͤre/ daß ſie weniger wuͤßten/ als welche durch ihre hohe Vernunfft in Jrꝛthum/ etliche gar in Verzweiffelung gefallen. Es iſt auch nicht zu verwundern/ daß in die- ſem Geraͤuſch und unordentlichem Le- ben der Welt die Seele mit ihrem Ver- ſtand nicht herfuͤr kan/ ſondern ver- tunckelt ligen muß. Dann klaget der Poët Ovidius, daß er keine gute Verß ma- chen koͤnne/ wegen des Winters und Wetters/ wenn er ſchreibet: Carmina ſeceſſum ſcribentis & otia quærunt, Me mare, meventus, me fera jactat hyems; Wer Verſe ſchreiben wil/ muß haben Still und Zeit/ Mich quaͤlet der Wind/ das Meer/ des Win- ters Strengigkeit. Wie viel mehr kan eine menſchliche in
<TEI> <text> <body> <div type="preface" n="1"> <p> <pb facs="#f0021"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vorrede.</hi> </fw><lb/> <hi rendition="#fr">ſtand beynahe darinnen nicht hoͤher<lb/> kommen kan/ und nuͤtzer waͤre/ daß ſie<lb/> weniger wuͤßten/ als welche durch ihre<lb/> hohe Vernunfft in Jrꝛthum/ etliche gar<lb/> in Verzweiffelung gefallen. Es iſt<lb/> auch nicht zu verwundern/ daß in die-<lb/> ſem Geraͤuſch und unordentlichem Le-<lb/> ben der Welt die Seele mit ihrem Ver-<lb/> ſtand nicht herfuͤr kan/ ſondern ver-<lb/> tunckelt ligen muß. Dann klaget der</hi><lb/> <hi rendition="#aq">Poët Ovidius,</hi> <hi rendition="#fr">daß er keine gute Verß ma-<lb/> chen koͤnne/ wegen des Winters und<lb/> Wetters/ wenn er ſchreibet:</hi> <hi rendition="#aq">Carmina<lb/> ſeceſſum ſcribentis & otia quærunt, Me mare,<lb/> meventus, me fera jactat hyems;</hi> </p><lb/> <lg type="poem"> <l> <hi rendition="#fr">Wer Verſe ſchreiben wil/ muß haben Still</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">und Zeit/</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">Mich quaͤlet der Wind/ das Meer/ des Win-</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">ters Strengigkeit.</hi> </l> </lg><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Wie viel mehr kan eine menſchliche<lb/> Seele ſich beklagen die in einem Leibe<lb/> verſchloſſen/ ſo mit ſo viel Gemuͤths-<lb/> neigungen/ Kranckheitẽ/ Verfolgung/<lb/> Debouſchen und andern Ungelegenhei-<lb/> ten umgehen/ daß ſie mit ihrem Ver-<lb/> ſtande nicht herfuͤr kan/ und daß ihr<lb/> Licht verwehet und verſtreuet wird.<lb/> Wil ſich dañ ein ehrlicher Mann ſeiner<lb/> Seelen annehmen/ zur Ruhe begeben/</hi><lb/> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">in</hi> </fw><lb/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [0021]
Vorrede.
ſtand beynahe darinnen nicht hoͤher
kommen kan/ und nuͤtzer waͤre/ daß ſie
weniger wuͤßten/ als welche durch ihre
hohe Vernunfft in Jrꝛthum/ etliche gar
in Verzweiffelung gefallen. Es iſt
auch nicht zu verwundern/ daß in die-
ſem Geraͤuſch und unordentlichem Le-
ben der Welt die Seele mit ihrem Ver-
ſtand nicht herfuͤr kan/ ſondern ver-
tunckelt ligen muß. Dann klaget der
Poët Ovidius, daß er keine gute Verß ma-
chen koͤnne/ wegen des Winters und
Wetters/ wenn er ſchreibet: Carmina
ſeceſſum ſcribentis & otia quærunt, Me mare,
meventus, me fera jactat hyems;
Wer Verſe ſchreiben wil/ muß haben Still
und Zeit/
Mich quaͤlet der Wind/ das Meer/ des Win-
ters Strengigkeit.
Wie viel mehr kan eine menſchliche
Seele ſich beklagen die in einem Leibe
verſchloſſen/ ſo mit ſo viel Gemuͤths-
neigungen/ Kranckheitẽ/ Verfolgung/
Debouſchen und andern Ungelegenhei-
ten umgehen/ daß ſie mit ihrem Ver-
ſtande nicht herfuͤr kan/ und daß ihr
Licht verwehet und verſtreuet wird.
Wil ſich dañ ein ehrlicher Mann ſeiner
Seelen annehmen/ zur Ruhe begeben/
in
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |