Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.In seiner ganzen schrecklichen Scheuslichkeit, wollen Sie doch wohl sagen, verehrter Herr Intendant! nahm Leonardus das Wort. Ich wäre wahrlich am Liebsten gar nicht hierher gekommen, wenn nicht Ihr gütiger Rath -- Der nicht anders gegeben werden konnte, Herr van der Valck, unterbrach ihn Windt. Freilich konnten Sie es viel, viel näher haben, dahin zu reisen, wo ich Ihnen Schutz gewähren kann, aber Sie konnten dorthin nicht ohne mich, und da Sie in Angelegenheiten Ihres Hauses eben so hier zu thun hatten, wie ich in den Geschäften des Hauses, für das ich reise, glaube ich, wir haben immerhin nicht übel daran gehandelt, die Haarkäufercompagnieschaft bis hierher zu erstrecken, oder vielmehr sie hier aufzuthun. Ich glaube, versetzte Leonardus: mein Vater und meine Mutter rissen sich alle Haare aus, so viel sie deren noch haben, wenn sie erführen, daß ihr einziger Sohn, der Erbe des Hauses van der Valck, in Paris den holländischen Haarkäufer spielt. Mir schaudert jetzt förmlich vor diesem Gewerbe, das wir Gott Lob ja nur zum Schein treiben: denke ich, welch schönes herrliches Haar, auch zarter Jungfrauen und Mütter, von guillotinirten Häuptern jetzt in den Handel kommt, und daß mancher und manche Erbärmliche, ohne es zu ahnen, in ihren Perrücken das Haar von hingerichteten Fürsten und edlen Personen tragen. Gestern sahen wir guillotiniren, ich will es nie wieder sehen, und danke Gott, daß Anges von ihrem Gefühl zurückgehalten ward, dieses entsetzliche Schauspiel, zu dem so viele Tausende entmenschter Weiber sich drängten und täglich drängen, mit anzusehen. Nur die volle Richtigkeit der genau geprüften Pässe war im Stande, den vier Reisenden nebst dem Kinde wieder ungefährdeten Ausgang aus der Weltstadt zu ermöglichen. Ein einziger Fehler, ein einziger Zweifel, eine einzige kundgegebene Verlegenheit oder Unsicherheit konnte zu einem tödtlichen Ausgang für sie alle führen. Es war in später Nachmittagstunde, die Volksmassen strömten schaarenweise vom Marsfelde zurück und ergossen sich wieder in die bis dahin fast verödeten Straßen von Paris, erhitzt, hungrig, durstig, fanatisirt, ca ira brüllend, theilweise auch die Farce mit sarkastischer Lauge kritisirend. Auf der langen, langsamen Fahrt von der Rue Vivienne, dann dem Boulevard entlang bis zur Porte St. Martin vernahmen die Reisenden manches scharfe Wort. Hat sich anschreien In seiner ganzen schrecklichen Scheuslichkeit, wollen Sie doch wohl sagen, verehrter Herr Intendant! nahm Leonardus das Wort. Ich wäre wahrlich am Liebsten gar nicht hierher gekommen, wenn nicht Ihr gütiger Rath — Der nicht anders gegeben werden konnte, Herr van der Valck, unterbrach ihn Windt. Freilich konnten Sie es viel, viel näher haben, dahin zu reisen, wo ich Ihnen Schutz gewähren kann, aber Sie konnten dorthin nicht ohne mich, und da Sie in Angelegenheiten Ihres Hauses eben so hier zu thun hatten, wie ich in den Geschäften des Hauses, für das ich reise, glaube ich, wir haben immerhin nicht übel daran gehandelt, die Haarkäufercompagnieschaft bis hierher zu erstrecken, oder vielmehr sie hier aufzuthun. Ich glaube, versetzte Leonardus: mein Vater und meine Mutter rissen sich alle Haare aus, so viel sie deren noch haben, wenn sie erführen, daß ihr einziger Sohn, der Erbe des Hauses van der Valck, in Paris den holländischen Haarkäufer spielt. Mir schaudert jetzt förmlich vor diesem Gewerbe, das wir Gott Lob ja nur zum Schein treiben: denke ich, welch schönes herrliches Haar, auch zarter Jungfrauen und Mütter, von guillotinirten Häuptern jetzt in den Handel kommt, und daß mancher und manche Erbärmliche, ohne es zu ahnen, in ihren Perrücken das Haar von hingerichteten Fürsten und edlen Personen tragen. Gestern sahen wir guillotiniren, ich will es nie wieder sehen, und danke Gott, daß Angés von ihrem Gefühl zurückgehalten ward, dieses entsetzliche Schauspiel, zu dem so viele Tausende entmenschter Weiber sich drängten und täglich drängen, mit anzusehen. Nur die volle Richtigkeit der genau geprüften Pässe war im Stande, den vier Reisenden nebst dem Kinde wieder ungefährdeten Ausgang aus der Weltstadt zu ermöglichen. Ein einziger Fehler, ein einziger Zweifel, eine einzige kundgegebene Verlegenheit oder Unsicherheit konnte zu einem tödtlichen Ausgang für sie alle führen. Es war in später Nachmittagstunde, die Volksmassen strömten schaarenweise vom Marsfelde zurück und ergossen sich wieder in die bis dahin fast verödeten Straßen von Paris, erhitzt, hungrig, durstig, fanatisirt, ça ira brüllend, theilweise auch die Farçe mit sarkastischer Lauge kritisirend. Auf der langen, langsamen Fahrt von der Rue Vivienne, dann dem Boulevard entlang bis zur Porte St. Martin vernahmen die Reisenden manches scharfe Wort. Hat sich anschreien <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0142" n="138"/> <p>In seiner ganzen schrecklichen Scheuslichkeit, wollen Sie doch wohl sagen, verehrter Herr Intendant! nahm Leonardus das Wort. Ich wäre wahrlich am Liebsten gar nicht hierher gekommen, wenn nicht Ihr gütiger Rath — Der nicht anders gegeben werden konnte, Herr van der Valck, unterbrach ihn Windt. Freilich konnten Sie es viel, viel näher haben, dahin zu reisen, wo ich Ihnen Schutz gewähren kann, aber Sie konnten dorthin nicht ohne mich, und da Sie in Angelegenheiten Ihres Hauses eben so hier zu thun hatten, wie ich in den Geschäften des Hauses, für das ich reise, glaube ich, wir haben immerhin nicht übel daran gehandelt, die Haarkäufercompagnieschaft bis hierher zu erstrecken, oder vielmehr sie hier aufzuthun.</p> <p>Ich glaube, versetzte Leonardus: mein Vater und meine Mutter rissen sich alle Haare aus, so viel sie deren noch haben, wenn sie erführen, daß ihr einziger Sohn, der Erbe des Hauses van der Valck, in Paris den holländischen Haarkäufer spielt. Mir schaudert jetzt förmlich vor diesem Gewerbe, das wir Gott Lob ja nur zum Schein treiben: denke ich, welch schönes herrliches Haar, auch zarter Jungfrauen und Mütter, von guillotinirten Häuptern jetzt in den Handel kommt, und daß mancher und manche Erbärmliche, ohne es zu ahnen, in ihren Perrücken das Haar von hingerichteten Fürsten und edlen Personen tragen. Gestern sahen wir guillotiniren, ich will es nie wieder sehen, und danke Gott, daß Angés von ihrem Gefühl zurückgehalten ward, dieses entsetzliche Schauspiel, zu dem so viele Tausende entmenschter Weiber sich drängten und täglich drängen, mit anzusehen.</p> <p>Nur die volle Richtigkeit der genau geprüften Pässe war im Stande, den vier Reisenden nebst dem Kinde wieder ungefährdeten Ausgang aus der Weltstadt zu ermöglichen. Ein einziger Fehler, ein einziger Zweifel, eine einzige kundgegebene Verlegenheit oder Unsicherheit konnte zu einem tödtlichen Ausgang für sie alle führen.</p> <p>Es war in später Nachmittagstunde, die Volksmassen strömten schaarenweise vom Marsfelde zurück und ergossen sich wieder in die bis dahin fast verödeten Straßen von Paris, erhitzt, hungrig, durstig, fanatisirt, <hi rendition="#aq">ça ira</hi> brüllend, theilweise auch die Farçe mit sarkastischer Lauge kritisirend. Auf der langen, langsamen Fahrt von der Rue Vivienne, dann dem Boulevard entlang bis zur Porte St. Martin vernahmen die Reisenden manches scharfe Wort. Hat sich anschreien </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [138/0142]
In seiner ganzen schrecklichen Scheuslichkeit, wollen Sie doch wohl sagen, verehrter Herr Intendant! nahm Leonardus das Wort. Ich wäre wahrlich am Liebsten gar nicht hierher gekommen, wenn nicht Ihr gütiger Rath — Der nicht anders gegeben werden konnte, Herr van der Valck, unterbrach ihn Windt. Freilich konnten Sie es viel, viel näher haben, dahin zu reisen, wo ich Ihnen Schutz gewähren kann, aber Sie konnten dorthin nicht ohne mich, und da Sie in Angelegenheiten Ihres Hauses eben so hier zu thun hatten, wie ich in den Geschäften des Hauses, für das ich reise, glaube ich, wir haben immerhin nicht übel daran gehandelt, die Haarkäufercompagnieschaft bis hierher zu erstrecken, oder vielmehr sie hier aufzuthun.
Ich glaube, versetzte Leonardus: mein Vater und meine Mutter rissen sich alle Haare aus, so viel sie deren noch haben, wenn sie erführen, daß ihr einziger Sohn, der Erbe des Hauses van der Valck, in Paris den holländischen Haarkäufer spielt. Mir schaudert jetzt förmlich vor diesem Gewerbe, das wir Gott Lob ja nur zum Schein treiben: denke ich, welch schönes herrliches Haar, auch zarter Jungfrauen und Mütter, von guillotinirten Häuptern jetzt in den Handel kommt, und daß mancher und manche Erbärmliche, ohne es zu ahnen, in ihren Perrücken das Haar von hingerichteten Fürsten und edlen Personen tragen. Gestern sahen wir guillotiniren, ich will es nie wieder sehen, und danke Gott, daß Angés von ihrem Gefühl zurückgehalten ward, dieses entsetzliche Schauspiel, zu dem so viele Tausende entmenschter Weiber sich drängten und täglich drängen, mit anzusehen.
Nur die volle Richtigkeit der genau geprüften Pässe war im Stande, den vier Reisenden nebst dem Kinde wieder ungefährdeten Ausgang aus der Weltstadt zu ermöglichen. Ein einziger Fehler, ein einziger Zweifel, eine einzige kundgegebene Verlegenheit oder Unsicherheit konnte zu einem tödtlichen Ausgang für sie alle führen.
Es war in später Nachmittagstunde, die Volksmassen strömten schaarenweise vom Marsfelde zurück und ergossen sich wieder in die bis dahin fast verödeten Straßen von Paris, erhitzt, hungrig, durstig, fanatisirt, ça ira brüllend, theilweise auch die Farçe mit sarkastischer Lauge kritisirend. Auf der langen, langsamen Fahrt von der Rue Vivienne, dann dem Boulevard entlang bis zur Porte St. Martin vernahmen die Reisenden manches scharfe Wort. Hat sich anschreien
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Zitationshilfe: | Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/142>, abgerufen am 16.02.2025. |