Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.die neue Wissenschaft und die neue Erforschung der Wahrheit durch gebildete Lebenskreise dringen? Heißt nicht unser Jahrhundert mit schönem Vorrecht das philosophische? Herr Graf! fuhr Windt fast heftig auf: halten Sie mich für keinen Finsterling und Pietisten! Für keinen Mysanthropen und Mysagogen, denn zu solchen Dummheiten habe ich keine Zeit, aber das sage ich Ihnen, daß diese neue Philosophie das Basilisken- und Teufelsei ist, aus dem die Revolutionen kriechen und der Königsmord, die Untreue und der Unglaube, die Verhöhnung und Verläugnung alles dessen, was dem Menschen noch heilig ist auf Erden. Sagen Sie nicht, daß ich urtheile, wie der Blinde von der Farbe, weil ich kein Studirter, kein Gelehrter bin. Was ich rede, gibt mir mein Gefühl, gibt der gesunde Menschenverstand mir ein! Was verstehen Sie denn eigentlich unter Philosophie, werther Herr Windt? fragte der junge Graf. Sind Sie sich auch bei Ihrem so ganz entfernten Berufskreise schon völlig klar geworden über das Wesen, den Zweck und die Aufgabe der Philosophie für den denkenden Menschengeist? Was ich unter Philosophie verstehe, Herr Graf? versetzte Windt: Nichts Anderes, als was einfach ihr Name besagt: Weisheitsliebe, Weisheitslehre. Wer sich eine Narrenkappe aufsetzt und mit Schellen umhangen umhertollt, liebt die Weisheit nicht, wer die Gottheit läugnet, lehrt sie nicht. Oder sollte ich mich irren? Neu ist freilich die Sache nicht, das weiß ich; zu allen Zeiten hat es abgeschmackte und aberwitzige Schrägköpfe gegeben, die unter der Vorspiegelung, erhabene Lehren der Weisheit zu verbreiten, der Welt die Schnurrpfeifereien ihres verbrannten Gehirns zum Besten gaben, gerade so und um kein Haar anders, wie unsere jungen neumodischen Philosophen. Sie haben alle ihren Lohn dahin, keiner wandelte eine hohe und erhabene Bahn, keiner nahm allbewunderten Geistesflug, auf elenden Treckschuiten segelten sie zum Orkus und in das Meer der Vergessenheit, ins Schlepptau genommen von den lahmen und zu Tode geschundenen Gäulen ihrer Unvernunft. Auch die Folgezeit wird aus ihrem Schlamme die unaustilgbare Brut solchen Gewürms erzeugen, aber sein Loos wird immerdar dasselbe sein, das Loos der Eintagsfliegen, die aus den ekeln Larven im Morast entstehen, heute uns umschwärmen und morgen dahin sind. Oder könnten Sie vielleicht im Ernst glauben, die neue Wissenschaft und die neue Erforschung der Wahrheit durch gebildete Lebenskreise dringen? Heißt nicht unser Jahrhundert mit schönem Vorrecht das philosophische? Herr Graf! fuhr Windt fast heftig auf: halten Sie mich für keinen Finsterling und Pietisten! Für keinen Mysanthropen und Mysagogen, denn zu solchen Dummheiten habe ich keine Zeit, aber das sage ich Ihnen, daß diese neue Philosophie das Basilisken- und Teufelsei ist, aus dem die Revolutionen kriechen und der Königsmord, die Untreue und der Unglaube, die Verhöhnung und Verläugnung alles dessen, was dem Menschen noch heilig ist auf Erden. Sagen Sie nicht, daß ich urtheile, wie der Blinde von der Farbe, weil ich kein Studirter, kein Gelehrter bin. Was ich rede, gibt mir mein Gefühl, gibt der gesunde Menschenverstand mir ein! Was verstehen Sie denn eigentlich unter Philosophie, werther Herr Windt? fragte der junge Graf. Sind Sie sich auch bei Ihrem so ganz entfernten Berufskreise schon völlig klar geworden über das Wesen, den Zweck und die Aufgabe der Philosophie für den denkenden Menschengeist? Was ich unter Philosophie verstehe, Herr Graf? versetzte Windt: Nichts Anderes, als was einfach ihr Name besagt: Weisheitsliebe, Weisheitslehre. Wer sich eine Narrenkappe aufsetzt und mit Schellen umhangen umhertollt, liebt die Weisheit nicht, wer die Gottheit läugnet, lehrt sie nicht. Oder sollte ich mich irren? Neu ist freilich die Sache nicht, das weiß ich; zu allen Zeiten hat es abgeschmackte und aberwitzige Schrägköpfe gegeben, die unter der Vorspiegelung, erhabene Lehren der Weisheit zu verbreiten, der Welt die Schnurrpfeifereien ihres verbrannten Gehirns zum Besten gaben, gerade so und um kein Haar anders, wie unsere jungen neumodischen Philosophen. Sie haben alle ihren Lohn dahin, keiner wandelte eine hohe und erhabene Bahn, keiner nahm allbewunderten Geistesflug, auf elenden Treckschuiten segelten sie zum Orkus und in das Meer der Vergessenheit, ins Schlepptau genommen von den lahmen und zu Tode geschundenen Gäulen ihrer Unvernunft. Auch die Folgezeit wird aus ihrem Schlamme die unaustilgbare Brut solchen Gewürms erzeugen, aber sein Loos wird immerdar dasselbe sein, das Loos der Eintagsfliegen, die aus den ekeln Larven im Morast entstehen, heute uns umschwärmen und morgen dahin sind. Oder könnten Sie vielleicht im Ernst glauben, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0155" n="151"/> die neue Wissenschaft und die neue Erforschung der Wahrheit durch gebildete Lebenskreise dringen? Heißt nicht unser Jahrhundert mit schönem Vorrecht das philosophische?</p> <p>Herr Graf! fuhr Windt fast heftig auf: halten Sie mich für keinen Finsterling und Pietisten! Für keinen Mysanthropen und Mysagogen, denn zu solchen Dummheiten habe ich keine Zeit, aber das sage ich Ihnen, daß diese neue Philosophie das Basilisken- und Teufelsei ist, aus dem die Revolutionen kriechen und der Königsmord, die Untreue und der Unglaube, die Verhöhnung und Verläugnung alles dessen, was dem Menschen noch heilig ist auf Erden. Sagen Sie nicht, daß ich urtheile, wie der Blinde von der Farbe, weil ich kein Studirter, kein Gelehrter bin. Was ich rede, gibt mir mein Gefühl, gibt der gesunde Menschenverstand mir ein!</p> <p>Was verstehen Sie denn eigentlich unter Philosophie, werther Herr Windt? fragte der junge Graf. Sind Sie sich auch bei Ihrem so ganz entfernten Berufskreise schon völlig klar geworden über das Wesen, den Zweck und die Aufgabe der Philosophie für den denkenden Menschengeist?</p> <p>Was ich unter Philosophie verstehe, Herr Graf? versetzte Windt: Nichts Anderes, als was einfach ihr Name besagt: Weisheitsliebe, Weisheitslehre. Wer sich eine Narrenkappe aufsetzt und mit Schellen umhangen umhertollt, liebt die Weisheit nicht, wer die Gottheit läugnet, lehrt sie nicht. Oder sollte ich mich irren? Neu ist freilich die Sache nicht, das weiß ich; zu allen Zeiten hat es abgeschmackte und aberwitzige Schrägköpfe gegeben, die unter der Vorspiegelung, erhabene Lehren der Weisheit zu verbreiten, der Welt die Schnurrpfeifereien ihres verbrannten Gehirns zum Besten gaben, gerade so und um kein Haar anders, wie unsere jungen neumodischen Philosophen. Sie haben alle ihren Lohn dahin, keiner wandelte eine hohe und erhabene Bahn, keiner nahm allbewunderten Geistesflug, auf elenden Treckschuiten segelten sie zum Orkus und in das Meer der Vergessenheit, ins Schlepptau genommen von den lahmen und zu Tode geschundenen Gäulen ihrer Unvernunft. Auch die Folgezeit wird aus ihrem Schlamme die unaustilgbare Brut solchen Gewürms erzeugen, aber sein Loos wird immerdar dasselbe sein, das Loos der Eintagsfliegen, die aus den ekeln Larven im Morast entstehen, heute uns umschwärmen und morgen dahin sind. Oder könnten Sie vielleicht im Ernst glauben, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [151/0155]
die neue Wissenschaft und die neue Erforschung der Wahrheit durch gebildete Lebenskreise dringen? Heißt nicht unser Jahrhundert mit schönem Vorrecht das philosophische?
Herr Graf! fuhr Windt fast heftig auf: halten Sie mich für keinen Finsterling und Pietisten! Für keinen Mysanthropen und Mysagogen, denn zu solchen Dummheiten habe ich keine Zeit, aber das sage ich Ihnen, daß diese neue Philosophie das Basilisken- und Teufelsei ist, aus dem die Revolutionen kriechen und der Königsmord, die Untreue und der Unglaube, die Verhöhnung und Verläugnung alles dessen, was dem Menschen noch heilig ist auf Erden. Sagen Sie nicht, daß ich urtheile, wie der Blinde von der Farbe, weil ich kein Studirter, kein Gelehrter bin. Was ich rede, gibt mir mein Gefühl, gibt der gesunde Menschenverstand mir ein!
Was verstehen Sie denn eigentlich unter Philosophie, werther Herr Windt? fragte der junge Graf. Sind Sie sich auch bei Ihrem so ganz entfernten Berufskreise schon völlig klar geworden über das Wesen, den Zweck und die Aufgabe der Philosophie für den denkenden Menschengeist?
Was ich unter Philosophie verstehe, Herr Graf? versetzte Windt: Nichts Anderes, als was einfach ihr Name besagt: Weisheitsliebe, Weisheitslehre. Wer sich eine Narrenkappe aufsetzt und mit Schellen umhangen umhertollt, liebt die Weisheit nicht, wer die Gottheit läugnet, lehrt sie nicht. Oder sollte ich mich irren? Neu ist freilich die Sache nicht, das weiß ich; zu allen Zeiten hat es abgeschmackte und aberwitzige Schrägköpfe gegeben, die unter der Vorspiegelung, erhabene Lehren der Weisheit zu verbreiten, der Welt die Schnurrpfeifereien ihres verbrannten Gehirns zum Besten gaben, gerade so und um kein Haar anders, wie unsere jungen neumodischen Philosophen. Sie haben alle ihren Lohn dahin, keiner wandelte eine hohe und erhabene Bahn, keiner nahm allbewunderten Geistesflug, auf elenden Treckschuiten segelten sie zum Orkus und in das Meer der Vergessenheit, ins Schlepptau genommen von den lahmen und zu Tode geschundenen Gäulen ihrer Unvernunft. Auch die Folgezeit wird aus ihrem Schlamme die unaustilgbare Brut solchen Gewürms erzeugen, aber sein Loos wird immerdar dasselbe sein, das Loos der Eintagsfliegen, die aus den ekeln Larven im Morast entstehen, heute uns umschwärmen und morgen dahin sind. Oder könnten Sie vielleicht im Ernst glauben,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML.
(2013-01-22T14:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
austrian literature online: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-01-22T14:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2013-01-22T14:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |