Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

was ich für sie thue und theilen ihren letzten Bissen mit mir; so eben geht ein Bauer von mir, der gab mir sein letztes halbes Brod und fünf Eier, weil sie wissen, daß wir an Allem Mangel leiden. Solche Leute zu verlassen, wäre himmelschreiend. Ich lege mich zu Füßen."

Die Reichsgräfin endete und Gräfin Ottoline beurlaubte sich von den beiden Damen. Nach ihrem Weggang sagte die Matrone zu ihrer Freundin, der Herzogin: Ach, liebstes Kind! Da steht noch eine schlimme Nachschrift, die durfte Ottoline nicht vernehmen, es hätte sie niedergeworfen. Hören Sie die Hiobsbotschaft!

"Man spricht für gewiß, daß demnächst Pichegru in Utrecht einziehen und dann straks aus Amsterdam losrücken werde, daß unsere Flotte im Texel sitzt und eingefroren ist, daß die Stelle des Erbstatthalters, welcher bereits flüchtig sein soll, aufgehoben sei und dieser für sich und den Erbprinzen auf seine Würde Verzicht leisten werde und müsse -- und endlich -- erschrecken Sie nicht -- soll der Erbherr gefangen genommen und nach der Citadelle Woerden abgeführt worden sein."

Großer Gott! rief die Herzogin erbleichend.

Mein armer Enkel! seufzte die Reichsgräfin. Und mit dieser Nachricht, mit diesen Gefühlen im Herzen gebe ich heute den royalistischen Emigrees grande Assemblee. --

Der Abend war da und die Säle strahlten; die Versammlung fand sich ein, zahlreich und glänzend -- es ging ein widerlicher Moschusduft durch die Räume, als lägen hier hundert Kranke in den letzten Zügen. Diesen ganz abscheulichen Geruch fand damals die vornehme Welt, besonders die Frauenwelt, außerordentlich salonwürdig und angenehm.

Alles glänzte in der kostbaren Pracht der Frisuren, Coiffüren und der großen Trauer-Toiletten; man trug im Haar hochemporstehende schwarze Marabuts oder auch Blumen aus schwarzer Wolle; das Haar war in große Locken gepufft, mit Perlen durchflochten, auch wohl mit kleinen turbanförmigen leichten Kopfzeugen bedeckt und gepudert, oder zeigte auch kleine mit schwarzen Steinen besetzte Diademe. Die Damen trugen an dunkeln Schnüren übergroße Medaillons, welche meist unglückliche Zeitgenossen und Personen der ermordeten Königsfamilie Frankreichs darstellten. Die Taillen waren von mehr als bäuerischer Unform, von einer fast fabelhaften Kürze und die schönen

was ich für sie thue und theilen ihren letzten Bissen mit mir; so eben geht ein Bauer von mir, der gab mir sein letztes halbes Brod und fünf Eier, weil sie wissen, daß wir an Allem Mangel leiden. Solche Leute zu verlassen, wäre himmelschreiend. Ich lege mich zu Füßen.“

Die Reichsgräfin endete und Gräfin Ottoline beurlaubte sich von den beiden Damen. Nach ihrem Weggang sagte die Matrone zu ihrer Freundin, der Herzogin: Ach, liebstes Kind! Da steht noch eine schlimme Nachschrift, die durfte Ottoline nicht vernehmen, es hätte sie niedergeworfen. Hören Sie die Hiobsbotschaft!

„Man spricht für gewiß, daß demnächst Pichegru in Utrecht einziehen und dann straks aus Amsterdam losrücken werde, daß unsere Flotte im Texel sitzt und eingefroren ist, daß die Stelle des Erbstatthalters, welcher bereits flüchtig sein soll, aufgehoben sei und dieser für sich und den Erbprinzen auf seine Würde Verzicht leisten werde und müsse — und endlich — erschrecken Sie nicht — soll der Erbherr gefangen genommen und nach der Citadelle Woerden abgeführt worden sein.“

Großer Gott! rief die Herzogin erbleichend.

Mein armer Enkel! seufzte die Reichsgräfin. Und mit dieser Nachricht, mit diesen Gefühlen im Herzen gebe ich heute den royalistischen Emigrées grande Assemblée. —

Der Abend war da und die Säle strahlten; die Versammlung fand sich ein, zahlreich und glänzend — es ging ein widerlicher Moschusduft durch die Räume, als lägen hier hundert Kranke in den letzten Zügen. Diesen ganz abscheulichen Geruch fand damals die vornehme Welt, besonders die Frauenwelt, außerordentlich salonwürdig und angenehm.

Alles glänzte in der kostbaren Pracht der Frisuren, Coiffüren und der großen Trauer-Toiletten; man trug im Haar hochemporstehende schwarze Marabuts oder auch Blumen aus schwarzer Wolle; das Haar war in große Locken gepufft, mit Perlen durchflochten, auch wohl mit kleinen turbanförmigen leichten Kopfzeugen bedeckt und gepudert, oder zeigte auch kleine mit schwarzen Steinen besetzte Diademe. Die Damen trugen an dunkeln Schnüren übergroße Medaillons, welche meist unglückliche Zeitgenossen und Personen der ermordeten Königsfamilie Frankreichs darstellten. Die Taillen waren von mehr als bäuerischer Unform, von einer fast fabelhaften Kürze und die schönen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0235" n="231"/>
was ich für sie thue und theilen ihren letzten Bissen mit mir; so eben geht ein Bauer von mir, der gab mir sein letztes halbes Brod und fünf Eier, weil sie wissen, daß wir an Allem Mangel leiden. Solche Leute zu verlassen, wäre himmelschreiend. Ich lege mich zu Füßen.&#x201C; </p>
          <p>Die Reichsgräfin endete und Gräfin Ottoline beurlaubte sich von den beiden Damen. Nach ihrem Weggang sagte die Matrone zu ihrer Freundin, der Herzogin: Ach, liebstes Kind! Da steht noch eine schlimme Nachschrift, die durfte Ottoline nicht vernehmen, es hätte sie niedergeworfen. Hören Sie die Hiobsbotschaft!</p>
          <p>&#x201E;Man spricht für gewiß, daß demnächst Pichegru in Utrecht einziehen und dann straks aus Amsterdam losrücken werde, daß unsere Flotte im Texel sitzt und eingefroren ist, daß die Stelle des Erbstatthalters, welcher bereits flüchtig sein soll, aufgehoben sei und dieser für sich und den Erbprinzen auf seine Würde Verzicht leisten werde und müsse &#x2014; und endlich &#x2014; erschrecken Sie nicht &#x2014; soll der Erbherr gefangen genommen und nach der Citadelle Woerden abgeführt worden sein.&#x201C; </p>
          <p>Großer Gott! rief die Herzogin erbleichend.</p>
          <p>Mein armer Enkel! seufzte die Reichsgräfin. Und mit dieser Nachricht, mit diesen Gefühlen im Herzen gebe ich heute den royalistischen Emigrées <hi rendition="#aq">grande Assemblée</hi>. &#x2014;</p>
          <p>Der Abend war da und die Säle strahlten; die Versammlung fand sich ein, zahlreich und glänzend &#x2014; es ging ein widerlicher Moschusduft durch die Räume, als lägen hier hundert Kranke in den letzten Zügen. Diesen ganz abscheulichen Geruch fand damals die vornehme Welt, besonders die Frauenwelt, außerordentlich salonwürdig und angenehm.</p>
          <p>Alles glänzte in der kostbaren Pracht der Frisuren, Coiffüren und der großen Trauer-Toiletten; man trug im Haar hochemporstehende schwarze Marabuts oder auch Blumen aus schwarzer Wolle; das Haar war in große Locken gepufft, mit Perlen durchflochten, auch wohl mit kleinen turbanförmigen leichten Kopfzeugen bedeckt und gepudert, oder zeigte auch kleine mit schwarzen Steinen besetzte Diademe. Die Damen trugen an dunkeln Schnüren übergroße Medaillons, welche meist unglückliche Zeitgenossen und Personen der ermordeten Königsfamilie Frankreichs darstellten. Die Taillen waren von mehr als bäuerischer Unform, von einer fast fabelhaften Kürze und die schönen
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0235] was ich für sie thue und theilen ihren letzten Bissen mit mir; so eben geht ein Bauer von mir, der gab mir sein letztes halbes Brod und fünf Eier, weil sie wissen, daß wir an Allem Mangel leiden. Solche Leute zu verlassen, wäre himmelschreiend. Ich lege mich zu Füßen.“ Die Reichsgräfin endete und Gräfin Ottoline beurlaubte sich von den beiden Damen. Nach ihrem Weggang sagte die Matrone zu ihrer Freundin, der Herzogin: Ach, liebstes Kind! Da steht noch eine schlimme Nachschrift, die durfte Ottoline nicht vernehmen, es hätte sie niedergeworfen. Hören Sie die Hiobsbotschaft! „Man spricht für gewiß, daß demnächst Pichegru in Utrecht einziehen und dann straks aus Amsterdam losrücken werde, daß unsere Flotte im Texel sitzt und eingefroren ist, daß die Stelle des Erbstatthalters, welcher bereits flüchtig sein soll, aufgehoben sei und dieser für sich und den Erbprinzen auf seine Würde Verzicht leisten werde und müsse — und endlich — erschrecken Sie nicht — soll der Erbherr gefangen genommen und nach der Citadelle Woerden abgeführt worden sein.“ Großer Gott! rief die Herzogin erbleichend. Mein armer Enkel! seufzte die Reichsgräfin. Und mit dieser Nachricht, mit diesen Gefühlen im Herzen gebe ich heute den royalistischen Emigrées grande Assemblée. — Der Abend war da und die Säle strahlten; die Versammlung fand sich ein, zahlreich und glänzend — es ging ein widerlicher Moschusduft durch die Räume, als lägen hier hundert Kranke in den letzten Zügen. Diesen ganz abscheulichen Geruch fand damals die vornehme Welt, besonders die Frauenwelt, außerordentlich salonwürdig und angenehm. Alles glänzte in der kostbaren Pracht der Frisuren, Coiffüren und der großen Trauer-Toiletten; man trug im Haar hochemporstehende schwarze Marabuts oder auch Blumen aus schwarzer Wolle; das Haar war in große Locken gepufft, mit Perlen durchflochten, auch wohl mit kleinen turbanförmigen leichten Kopfzeugen bedeckt und gepudert, oder zeigte auch kleine mit schwarzen Steinen besetzte Diademe. Die Damen trugen an dunkeln Schnüren übergroße Medaillons, welche meist unglückliche Zeitgenossen und Personen der ermordeten Königsfamilie Frankreichs darstellten. Die Taillen waren von mehr als bäuerischer Unform, von einer fast fabelhaften Kürze und die schönen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2013-01-22T14:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
austrian literature online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-22T14:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-22T14:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/235
Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/235>, abgerufen am 24.11.2024.