Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

Mit fester Haltung, bittere und zugleich tiefschmerzliche Empfindungen gewaltsam in sich zurückpressend und in jugendlichen Trotz sich verkehrend, begann Ludwig seine Habseligkeiten, so viel er deren mit sich nehmen wollte, zusammenzulegen, damit Philipp sie in den Mantelsack packe; er lud mit eigener Hand zwei Paar Reiterpistolen und wählte unter zwei krummen Säbeln für Philipp den dauerbarsten und schärfsten; für sich eine Damascenerklinge, auf deren Griff ein Silberplättchen das Wappen der Herzoge von Bouillon zeigte.

Spät suchte Ludwig die Ruhe, noch später fand er sie durch einen kurzen Schlummer; allzuaufgeregt war das Gemüth des Jünglings, der bisher im süßesten Frieden, nur heitern und anregenden Studien obliegend, oder ländlichen Freuden gelebt hatte, und an den nie ein so schneidender Mißton herangetreten war, wie an diesem verhängnißvollen Abende, der vielleicht das Loos über seine ganze Zukunft warf.

Hochbejahrte Personen haben wenig Schlaf; auch der rege Geist der alten Reichsgräfin bedurfte, trotz der morschen Körperhülle, nur wenige Ruhe, eben weil er den Körper beherrschte. Daher mußte die Leibdienerschaft der gräflichen Matrone früh auf sein, das Zimmer angemessen durchwärmen, den belebenden Mokkatrank bereit halten, und dann verbrachte sie gern die ersten Morgenstunden in ungestörter Einsamkeit, und widmete dieselben ihren numismatischen Studien, ihrem weitverzweigten Briefwechsel, dem Ordnen ihrer vielfachen Papiere, die deßhalb dennoch nie die gewünschte völlige Ordnung fanden; dem Nachsinnen und Ueberlegen über die Verwendung ihrer Einkünfte, wie über die traurigen Rechtsstreitigkeiten. Letztere dauerten indessen schon zu viele Jahre, sie war derselben schon zu sehr gewohnt, als daß sie dadurch sonderliche Gemüthsbewegungen auch jetzt noch hätte erfahren können. In ihrer Seele war Alles klar, fest, abgeschlossen, ihre Willenskraft war eisern, wie ihr Sinn, und diese hohe wichtige Errungenschaft fast völliger Leidenschaftlosigkeit war es eben, die der alten Frau diese über das gewöhnliche menschliche Ziel hinausreichende Lebensdauer erhielt und gleichsam sicherte.

Der Nebel der Nacht war gesunken, der Morgen lachte aus blauem Himmel frühlingshell durch die hohen Fenster, die nach dem Parke hinausgingen, an dessen Rändern schon blaue Anemonengruppen und Schneeglöckchen sich blühend zeigten. Die thaubeperlten noch

Mit fester Haltung, bittere und zugleich tiefschmerzliche Empfindungen gewaltsam in sich zurückpressend und in jugendlichen Trotz sich verkehrend, begann Ludwig seine Habseligkeiten, so viel er deren mit sich nehmen wollte, zusammenzulegen, damit Philipp sie in den Mantelsack packe; er lud mit eigener Hand zwei Paar Reiterpistolen und wählte unter zwei krummen Säbeln für Philipp den dauerbarsten und schärfsten; für sich eine Damascenerklinge, auf deren Griff ein Silberplättchen das Wappen der Herzoge von Bouillon zeigte.

Spät suchte Ludwig die Ruhe, noch später fand er sie durch einen kurzen Schlummer; allzuaufgeregt war das Gemüth des Jünglings, der bisher im süßesten Frieden, nur heitern und anregenden Studien obliegend, oder ländlichen Freuden gelebt hatte, und an den nie ein so schneidender Mißton herangetreten war, wie an diesem verhängnißvollen Abende, der vielleicht das Loos über seine ganze Zukunft warf.

Hochbejahrte Personen haben wenig Schlaf; auch der rege Geist der alten Reichsgräfin bedurfte, trotz der morschen Körperhülle, nur wenige Ruhe, eben weil er den Körper beherrschte. Daher mußte die Leibdienerschaft der gräflichen Matrone früh auf sein, das Zimmer angemessen durchwärmen, den belebenden Mokkatrank bereit halten, und dann verbrachte sie gern die ersten Morgenstunden in ungestörter Einsamkeit, und widmete dieselben ihren numismatischen Studien, ihrem weitverzweigten Briefwechsel, dem Ordnen ihrer vielfachen Papiere, die deßhalb dennoch nie die gewünschte völlige Ordnung fanden; dem Nachsinnen und Ueberlegen über die Verwendung ihrer Einkünfte, wie über die traurigen Rechtsstreitigkeiten. Letztere dauerten indessen schon zu viele Jahre, sie war derselben schon zu sehr gewohnt, als daß sie dadurch sonderliche Gemüthsbewegungen auch jetzt noch hätte erfahren können. In ihrer Seele war Alles klar, fest, abgeschlossen, ihre Willenskraft war eisern, wie ihr Sinn, und diese hohe wichtige Errungenschaft fast völliger Leidenschaftlosigkeit war es eben, die der alten Frau diese über das gewöhnliche menschliche Ziel hinausreichende Lebensdauer erhielt und gleichsam sicherte.

Der Nebel der Nacht war gesunken, der Morgen lachte aus blauem Himmel frühlingshell durch die hohen Fenster, die nach dem Parke hinausgingen, an dessen Rändern schon blaue Anemonengruppen und Schneeglöckchen sich blühend zeigten. Die thaubeperlten noch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0025" n="21"/>
          <p>Mit fester Haltung, bittere und zugleich tiefschmerzliche Empfindungen gewaltsam in sich zurückpressend und in jugendlichen Trotz sich verkehrend, begann Ludwig seine Habseligkeiten, so viel er deren mit sich nehmen wollte, zusammenzulegen, damit Philipp sie in den Mantelsack packe; er lud mit eigener Hand zwei Paar Reiterpistolen und wählte unter zwei krummen Säbeln für Philipp den dauerbarsten und schärfsten; für sich eine Damascenerklinge, auf deren Griff ein Silberplättchen das Wappen der Herzoge von Bouillon zeigte.</p>
          <p>Spät suchte Ludwig die Ruhe, noch später fand er sie durch einen kurzen Schlummer; allzuaufgeregt war das Gemüth des Jünglings, der bisher im süßesten Frieden, nur heitern und anregenden Studien obliegend, oder ländlichen Freuden gelebt hatte, und an den nie ein so schneidender Mißton herangetreten war, wie an diesem verhängnißvollen Abende, der vielleicht das Loos über seine ganze Zukunft warf.</p>
          <p>Hochbejahrte Personen haben wenig Schlaf; auch der rege Geist der alten Reichsgräfin bedurfte, trotz der morschen Körperhülle, nur wenige Ruhe, eben weil er den Körper beherrschte. Daher mußte die Leibdienerschaft der gräflichen Matrone früh auf sein, das Zimmer angemessen durchwärmen, den belebenden Mokkatrank bereit halten, und dann verbrachte sie gern die ersten Morgenstunden in ungestörter Einsamkeit, und widmete dieselben ihren numismatischen Studien, ihrem weitverzweigten Briefwechsel, dem Ordnen ihrer vielfachen Papiere, die deßhalb dennoch nie die gewünschte völlige Ordnung fanden; dem Nachsinnen und Ueberlegen über die Verwendung ihrer Einkünfte, wie über die traurigen Rechtsstreitigkeiten. Letztere dauerten indessen schon zu viele Jahre, sie war derselben schon zu sehr gewohnt, als daß sie dadurch sonderliche Gemüthsbewegungen auch jetzt noch hätte erfahren können. In ihrer Seele war Alles klar, fest, abgeschlossen, ihre Willenskraft war eisern, wie ihr Sinn, und diese hohe wichtige Errungenschaft fast völliger Leidenschaftlosigkeit war es eben, die der alten Frau diese über das gewöhnliche menschliche Ziel hinausreichende Lebensdauer erhielt und gleichsam sicherte.</p>
          <p>Der Nebel der Nacht war gesunken, der Morgen lachte aus blauem Himmel frühlingshell durch die hohen Fenster, die nach dem Parke hinausgingen, an dessen Rändern schon blaue Anemonengruppen und Schneeglöckchen sich blühend zeigten. Die thaubeperlten noch
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0025] Mit fester Haltung, bittere und zugleich tiefschmerzliche Empfindungen gewaltsam in sich zurückpressend und in jugendlichen Trotz sich verkehrend, begann Ludwig seine Habseligkeiten, so viel er deren mit sich nehmen wollte, zusammenzulegen, damit Philipp sie in den Mantelsack packe; er lud mit eigener Hand zwei Paar Reiterpistolen und wählte unter zwei krummen Säbeln für Philipp den dauerbarsten und schärfsten; für sich eine Damascenerklinge, auf deren Griff ein Silberplättchen das Wappen der Herzoge von Bouillon zeigte. Spät suchte Ludwig die Ruhe, noch später fand er sie durch einen kurzen Schlummer; allzuaufgeregt war das Gemüth des Jünglings, der bisher im süßesten Frieden, nur heitern und anregenden Studien obliegend, oder ländlichen Freuden gelebt hatte, und an den nie ein so schneidender Mißton herangetreten war, wie an diesem verhängnißvollen Abende, der vielleicht das Loos über seine ganze Zukunft warf. Hochbejahrte Personen haben wenig Schlaf; auch der rege Geist der alten Reichsgräfin bedurfte, trotz der morschen Körperhülle, nur wenige Ruhe, eben weil er den Körper beherrschte. Daher mußte die Leibdienerschaft der gräflichen Matrone früh auf sein, das Zimmer angemessen durchwärmen, den belebenden Mokkatrank bereit halten, und dann verbrachte sie gern die ersten Morgenstunden in ungestörter Einsamkeit, und widmete dieselben ihren numismatischen Studien, ihrem weitverzweigten Briefwechsel, dem Ordnen ihrer vielfachen Papiere, die deßhalb dennoch nie die gewünschte völlige Ordnung fanden; dem Nachsinnen und Ueberlegen über die Verwendung ihrer Einkünfte, wie über die traurigen Rechtsstreitigkeiten. Letztere dauerten indessen schon zu viele Jahre, sie war derselben schon zu sehr gewohnt, als daß sie dadurch sonderliche Gemüthsbewegungen auch jetzt noch hätte erfahren können. In ihrer Seele war Alles klar, fest, abgeschlossen, ihre Willenskraft war eisern, wie ihr Sinn, und diese hohe wichtige Errungenschaft fast völliger Leidenschaftlosigkeit war es eben, die der alten Frau diese über das gewöhnliche menschliche Ziel hinausreichende Lebensdauer erhielt und gleichsam sicherte. Der Nebel der Nacht war gesunken, der Morgen lachte aus blauem Himmel frühlingshell durch die hohen Fenster, die nach dem Parke hinausgingen, an dessen Rändern schon blaue Anemonengruppen und Schneeglöckchen sich blühend zeigten. Die thaubeperlten noch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2013-01-22T14:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
austrian literature online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-22T14:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-22T14:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/25
Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/25>, abgerufen am 30.04.2024.