Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.regelmäßig und schön gebauten Häusern und neuen Ziegeldächern aus, an ihrer südlichen Seite das große, stattliche Residenzschloß, vor dem ein Wasserspiegel wie Silber erglänzte. Das kleine Thalflüßchen, die Werra, die sich durch die breiten Wiesenflächen schlängelt, erhöhte noch den Reiz der Landschaft. Bald war die Stadt erreicht und Anges sah mit Sorgen dem Augenblick entgegen, wo sie Angesichts der Prinzessin, an welche sie ihr Leben gebunden hatte, mit einem fremden Manne vertraulich sprechen sollte. Sie bat daher Ludwig, noch ehe die ersten Häuser erreicht waren, vorauszureiten, oder ihr nachzufolgen. Der Graf machte ein bejahendes Zeichen und hielt sein Pferd an. Zum alten Jacques sagte Anges: Dieser Herr ist mir ein sehr werther Freund, und ist zugleich der innigste Freund jenes Freundes, den Sie kennen, den Sie so treulich pflegten! Der alte Jacques antwortete Anges gar nicht, er schlief. Ludwig war sehr verstimmt; Anges' Furchtsamkeit und ihre große Rücksicht auf jene Fremden, die doch eigentlich jetzt nichts mehr waren als heimathlose Flüchtlinge, verletzte sein Gefühl, trat seinem Ehrgeiz, seinem Selbstbewußtsein, trat vor Allem einer sich selbst nie vollkommen eingestandenen zärtlichen Neigung feindlich entgegen, und er überlegte wirklich einen Augenblick, ob er Anges während des gewiß nur sehr kurzen Aufenthaltes noch einmal sprechen, oder sie ohne Wiedersehen dahin ziehen lassen solle, wohin das stärkere Band sie zog? Aber nur einen Augenblick schwankte er so. Ein zärtliches Herz sucht und findet tausend Entschuldigungen bei einem Zweifel, und sein Vertrauen gleicht einer rauschenden Fontaine, die wohl bisweilen kleiner wird, in sich selbst zusammen zu sinken droht, dann aber wieder frisch und kräftig ihre leuchtende Garbe in die Höhe treibt. Ludwig, den Philipp, während es noch die Anhöhe hinaufwärts ging, zum zweitenmale eingeholt hatte, stieg ab, gab dem Diener sein Pferd und ging nach dem Posthause, das zugleich ein Gasthof war. Die Herrschaft war ausgestiegen und hatte ein Zimmer genommen, die Prinzessin und das Kind waren tief verschleiert. Sie zogen sich gleich darauf in ein zweites Zimmer zurück und verschlossen dasselbe. Ludwigs Blicke suchten Anges, er fand sie nicht, der alte Kammerdiener regelmäßig und schön gebauten Häusern und neuen Ziegeldächern aus, an ihrer südlichen Seite das große, stattliche Residenzschloß, vor dem ein Wasserspiegel wie Silber erglänzte. Das kleine Thalflüßchen, die Werra, die sich durch die breiten Wiesenflächen schlängelt, erhöhte noch den Reiz der Landschaft. Bald war die Stadt erreicht und Angés sah mit Sorgen dem Augenblick entgegen, wo sie Angesichts der Prinzessin, an welche sie ihr Leben gebunden hatte, mit einem fremden Manne vertraulich sprechen sollte. Sie bat daher Ludwig, noch ehe die ersten Häuser erreicht waren, vorauszureiten, oder ihr nachzufolgen. Der Graf machte ein bejahendes Zeichen und hielt sein Pferd an. Zum alten Jacques sagte Angés: Dieser Herr ist mir ein sehr werther Freund, und ist zugleich der innigste Freund jenes Freundes, den Sie kennen, den Sie so treulich pflegten! Der alte Jacques antwortete Angés gar nicht, er schlief. Ludwig war sehr verstimmt; Angés’ Furchtsamkeit und ihre große Rücksicht auf jene Fremden, die doch eigentlich jetzt nichts mehr waren als heimathlose Flüchtlinge, verletzte sein Gefühl, trat seinem Ehrgeiz, seinem Selbstbewußtsein, trat vor Allem einer sich selbst nie vollkommen eingestandenen zärtlichen Neigung feindlich entgegen, und er überlegte wirklich einen Augenblick, ob er Angés während des gewiß nur sehr kurzen Aufenthaltes noch einmal sprechen, oder sie ohne Wiedersehen dahin ziehen lassen solle, wohin das stärkere Band sie zog? Aber nur einen Augenblick schwankte er so. Ein zärtliches Herz sucht und findet tausend Entschuldigungen bei einem Zweifel, und sein Vertrauen gleicht einer rauschenden Fontaine, die wohl bisweilen kleiner wird, in sich selbst zusammen zu sinken droht, dann aber wieder frisch und kräftig ihre leuchtende Garbe in die Höhe treibt. Ludwig, den Philipp, während es noch die Anhöhe hinaufwärts ging, zum zweitenmale eingeholt hatte, stieg ab, gab dem Diener sein Pferd und ging nach dem Posthause, das zugleich ein Gasthof war. Die Herrschaft war ausgestiegen und hatte ein Zimmer genommen, die Prinzessin und das Kind waren tief verschleiert. Sie zogen sich gleich darauf in ein zweites Zimmer zurück und verschlossen dasselbe. 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regelmäßig und schön gebauten Häusern und neuen Ziegeldächern aus, an ihrer südlichen Seite das große, stattliche Residenzschloß, vor dem ein Wasserspiegel wie Silber erglänzte. Das kleine Thalflüßchen, die Werra, die sich durch die breiten Wiesenflächen schlängelt, erhöhte noch den Reiz der Landschaft.
Bald war die Stadt erreicht und Angés sah mit Sorgen dem Augenblick entgegen, wo sie Angesichts der Prinzessin, an welche sie ihr Leben gebunden hatte, mit einem fremden Manne vertraulich sprechen sollte. Sie bat daher Ludwig, noch ehe die ersten Häuser erreicht waren, vorauszureiten, oder ihr nachzufolgen.
Der Graf machte ein bejahendes Zeichen und hielt sein Pferd an. Zum alten Jacques sagte Angés: Dieser Herr ist mir ein sehr werther Freund, und ist zugleich der innigste Freund jenes Freundes, den Sie kennen, den Sie so treulich pflegten!
Der alte Jacques antwortete Angés gar nicht, er schlief. Ludwig war sehr verstimmt; Angés’ Furchtsamkeit und ihre große Rücksicht auf jene Fremden, die doch eigentlich jetzt nichts mehr waren als heimathlose Flüchtlinge, verletzte sein Gefühl, trat seinem Ehrgeiz, seinem Selbstbewußtsein, trat vor Allem einer sich selbst nie vollkommen eingestandenen zärtlichen Neigung feindlich entgegen, und er überlegte wirklich einen Augenblick, ob er Angés während des gewiß nur sehr kurzen Aufenthaltes noch einmal sprechen, oder sie ohne Wiedersehen dahin ziehen lassen solle, wohin das stärkere Band sie zog?
Aber nur einen Augenblick schwankte er so. Ein zärtliches Herz sucht und findet tausend Entschuldigungen bei einem Zweifel, und sein Vertrauen gleicht einer rauschenden Fontaine, die wohl bisweilen kleiner wird, in sich selbst zusammen zu sinken droht, dann aber wieder frisch und kräftig ihre leuchtende Garbe in die Höhe treibt.
Ludwig, den Philipp, während es noch die Anhöhe hinaufwärts ging, zum zweitenmale eingeholt hatte, stieg ab, gab dem Diener sein Pferd und ging nach dem Posthause, das zugleich ein Gasthof war.
Die Herrschaft war ausgestiegen und hatte ein Zimmer genommen, die Prinzessin und das Kind waren tief verschleiert. Sie zogen sich gleich darauf in ein zweites Zimmer zurück und verschlossen dasselbe. Ludwigs Blicke suchten Angés, er fand sie nicht, der alte Kammerdiener
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Zitationshilfe: | Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/334>, abgerufen am 18.06.2024. |