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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Rußland, Frankreich, England, Oesterreich, Preußen, Deutschland, Schweden, Dänemark und die Türkei mit einander Kriege führen und zuvor die Streitfrage diplomatisch ausfechten wollten, so könnte kaum langweiliger und unentschiedener gehandelt werden, als hier der Fall ist um ein einziges Kammergut. Ich will Doorwerth verkaufen, ich will es meinem ältesten Enkel verkaufen. Warum kommen die Herren nicht überein, warum wird nicht abgestimmt und abgeschlossen kurz und rund, wie ich es will?

Die ganz nach Art zaghafter und bedenklicher Bureaukraten, denen es völlig einerlei ist, ob die Welt untergeht, wenn nur ihre Rechnungen stimmen und kein Deficit in ihren Geldtruhen ist, hingezögerte und verklügelte Verhandlung wurde hier plötzlich durch den Eintritt des alten Dieners Weißbrod unterbrochen, welcher sich mit der Meldung zu der Reichsgräfin wandte: Ihre Excellenz verzeihen mir gnädigst die Störung, aber die Sache ist dringend. So eben kam ein reitender Bote, über und über triefend, und halb erstarrt, von Kniphausen herauf.

O Gott! Was gibt es? rief die alte Dame, von einer dunklen Vorahnung ergriffen:

Der Bote kommt vom gnädigen Herrn! berichtete Weißbrod: er hat keinen Brief, der Herr haben ihm mündlich aufgetragen und auszurichten anbefohlen, daß --

Was? Heraus damit, rief die Gräfin fest und entschieden, als Jener in seiner Rede stockte.

Des Erbherrn Gemahlin wären sehr krank und wünschten dringend Ihre Excellenz noch einmal zu sprechen.

Ottoline! Das arme Herz, ich hab' es geahnt, sprach die Reichsgräfin leise vor sich hin: wohl denn, es geschehe ihr Wille.

Aber Excellenz, rief Weißbrod bestürzt; das entsetzliche Wetter!

Gegenüber dem Willen eines Sterbenden gibt es kein Wetter, Alter! Lasse gleich den großen Glaswagen anspannen, sage der Windt, daß sie mich begleiten soll, auch Sie, Herr Windt, darf ich wohl bitten, mir den Gefallen zu thun und mitzufahren. Nehmen Sie doch aus den Acten jene Quittung mit -- das Weitere flüsterte sie so leise, daß nur der Haushofmeister es vernahm, dann wandte sie sich wieder zu den Uebrigen. Ihnen, meine Herren, danke ich für die abermalige fruchtlose Bemühung ganz nach Verdienst. Ich sehe ein, daß Sie

Rußland, Frankreich, England, Oesterreich, Preußen, Deutschland, Schweden, Dänemark und die Türkei mit einander Kriege führen und zuvor die Streitfrage diplomatisch ausfechten wollten, so könnte kaum langweiliger und unentschiedener gehandelt werden, als hier der Fall ist um ein einziges Kammergut. Ich will Doorwerth verkaufen, ich will es meinem ältesten Enkel verkaufen. Warum kommen die Herren nicht überein, warum wird nicht abgestimmt und abgeschlossen kurz und rund, wie ich es will?

Die ganz nach Art zaghafter und bedenklicher Bureaukraten, denen es völlig einerlei ist, ob die Welt untergeht, wenn nur ihre Rechnungen stimmen und kein Deficit in ihren Geldtruhen ist, hingezögerte und verklügelte Verhandlung wurde hier plötzlich durch den Eintritt des alten Dieners Weißbrod unterbrochen, welcher sich mit der Meldung zu der Reichsgräfin wandte: Ihre Excellenz verzeihen mir gnädigst die Störung, aber die Sache ist dringend. So eben kam ein reitender Bote, über und über triefend, und halb erstarrt, von Kniphausen herauf.

O Gott! Was gibt es? rief die alte Dame, von einer dunklen Vorahnung ergriffen:

Der Bote kommt vom gnädigen Herrn! berichtete Weißbrod: er hat keinen Brief, der Herr haben ihm mündlich aufgetragen und auszurichten anbefohlen, daß —

Was? Heraus damit, rief die Gräfin fest und entschieden, als Jener in seiner Rede stockte.

Des Erbherrn Gemahlin wären sehr krank und wünschten dringend Ihre Excellenz noch einmal zu sprechen.

Ottoline! Das arme Herz, ich hab’ es geahnt, sprach die Reichsgräfin leise vor sich hin: wohl denn, es geschehe ihr Wille.

Aber Excellenz, rief Weißbrod bestürzt; das entsetzliche Wetter!

Gegenüber dem Willen eines Sterbenden gibt es kein Wetter, Alter! Lasse gleich den großen Glaswagen anspannen, sage der Windt, daß sie mich begleiten soll, auch Sie, Herr Windt, darf ich wohl bitten, mir den Gefallen zu thun und mitzufahren. Nehmen Sie doch aus den Acten jene Quittung mit — das Weitere flüsterte sie so leise, daß nur der Haushofmeister es vernahm, dann wandte sie sich wieder zu den Uebrigen. Ihnen, meine Herren, danke ich für die abermalige fruchtlose Bemühung ganz nach Verdienst. Ich sehe ein, daß Sie

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[345/0349] Rußland, Frankreich, England, Oesterreich, Preußen, Deutschland, Schweden, Dänemark und die Türkei mit einander Kriege führen und zuvor die Streitfrage diplomatisch ausfechten wollten, so könnte kaum langweiliger und unentschiedener gehandelt werden, als hier der Fall ist um ein einziges Kammergut. Ich will Doorwerth verkaufen, ich will es meinem ältesten Enkel verkaufen. Warum kommen die Herren nicht überein, warum wird nicht abgestimmt und abgeschlossen kurz und rund, wie ich es will? Die ganz nach Art zaghafter und bedenklicher Bureaukraten, denen es völlig einerlei ist, ob die Welt untergeht, wenn nur ihre Rechnungen stimmen und kein Deficit in ihren Geldtruhen ist, hingezögerte und verklügelte Verhandlung wurde hier plötzlich durch den Eintritt des alten Dieners Weißbrod unterbrochen, welcher sich mit der Meldung zu der Reichsgräfin wandte: Ihre Excellenz verzeihen mir gnädigst die Störung, aber die Sache ist dringend. So eben kam ein reitender Bote, über und über triefend, und halb erstarrt, von Kniphausen herauf. O Gott! Was gibt es? rief die alte Dame, von einer dunklen Vorahnung ergriffen: Der Bote kommt vom gnädigen Herrn! berichtete Weißbrod: er hat keinen Brief, der Herr haben ihm mündlich aufgetragen und auszurichten anbefohlen, daß — Was? Heraus damit, rief die Gräfin fest und entschieden, als Jener in seiner Rede stockte. Des Erbherrn Gemahlin wären sehr krank und wünschten dringend Ihre Excellenz noch einmal zu sprechen. Ottoline! Das arme Herz, ich hab’ es geahnt, sprach die Reichsgräfin leise vor sich hin: wohl denn, es geschehe ihr Wille. Aber Excellenz, rief Weißbrod bestürzt; das entsetzliche Wetter! Gegenüber dem Willen eines Sterbenden gibt es kein Wetter, Alter! Lasse gleich den großen Glaswagen anspannen, sage der Windt, daß sie mich begleiten soll, auch Sie, Herr Windt, darf ich wohl bitten, mir den Gefallen zu thun und mitzufahren. Nehmen Sie doch aus den Acten jene Quittung mit — das Weitere flüsterte sie so leise, daß nur der Haushofmeister es vernahm, dann wandte sie sich wieder zu den Uebrigen. Ihnen, meine Herren, danke ich für die abermalige fruchtlose Bemühung ganz nach Verdienst. Ich sehe ein, daß Sie

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/349>, abgerufen am 22.11.2024.