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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Gemüthe, das wohl sich emporzuringen vermag auf den Gipfel reinster sittlicher Größe und Hoheit.

Anges war die große und doch so zärtliche Seele, die über sich selbst den herrlichen Sieg gewann, die flammende Neigung zweier Freunde zu bekämpfen und ihr zu widerstehen, die Beide der Liebe so würdig waren, die an ihrem Beispiel lernten, sich selbst zu beherrschen, und von denen sie den Einen mit aller verhaltenen Glut ihrer Empfindung, mit aller innigen Freundschaft den Andern liebte.

So beharrend in würdiger und edler Selbstbeherrschung war Anges sich selbst treu geblieben, und so hatte auch die Prinzessin ihr Wesen und ihren Charakter von je erkannt und hochgeschätzt; sie wurde von dieser wie eine Schwester behandelt und Anges blieb auch später die Ausbildung und Leitung des geliebten Kindes überlassen. Die Einrichtung war so getroffen, daß Anges nur in den nöthigen Fällen mit der Prinzessin öffentlich erschien, daß die Wohnungen getrennt waren und keine Seele den Antheil errathen konnte, den die Prinzessin an dem Kinde nahm.

Graf Ludwig wußte, als er in Hamburg mit seinen Schutzbefohlenen anlangte, noch Nichts vom Ableben der regierenden Reichsgräfin Ottoline; er hatte auch von der Großmutter lange keine Nachricht erhalten und leicht konnten ihn jetzt Briefe verfehlen. Indeß vermuthete er seine würdige Gönnerin in Hamburg, und hatte sich nicht getäuscht. Er miethete sogleich in der Nähe des großmütterlichen Hauses eine Wohnung für sich und seine Begleitung und erfuhr, daß auch Windt anwesend und die Reichsgräfin bedenklich erkrankt sei.

Ludwig suchte den alten Freund auf, und diesen versetzte das unvermuthete Wiedersehen in eben so viel Freude als Bestürzung.

Sie finden Ihre Frau Großmutter bedeutend krank, Herr Graf! sprach Windt; und was die Vergleichssache angeht, so sind wir noch keinen Schritt weiter, außer daß der jüngere Graf, Johann Carl, sich ganz nach England übersiedelt hat und bereits Generallieutenant geworden ist. Derselbe hat mit dem Erbherrn und dem Vice-Admiral William eigene Verträge abgeschlossen für den zu erwartenden Todesfall der Frau Großmutter, und geben Sie Acht, liebster Herr Graf, wenn sie die Augen zuthut, so wird es heißen: "Sie haben meine

Gemüthe, das wohl sich emporzuringen vermag auf den Gipfel reinster sittlicher Größe und Hoheit.

Angés war die große und doch so zärtliche Seele, die über sich selbst den herrlichen Sieg gewann, die flammende Neigung zweier Freunde zu bekämpfen und ihr zu widerstehen, die Beide der Liebe so würdig waren, die an ihrem Beispiel lernten, sich selbst zu beherrschen, und von denen sie den Einen mit aller verhaltenen Glut ihrer Empfindung, mit aller innigen Freundschaft den Andern liebte.

So beharrend in würdiger und edler Selbstbeherrschung war Angés sich selbst treu geblieben, und so hatte auch die Prinzessin ihr Wesen und ihren Charakter von je erkannt und hochgeschätzt; sie wurde von dieser wie eine Schwester behandelt und Angés blieb auch später die Ausbildung und Leitung des geliebten Kindes überlassen. Die Einrichtung war so getroffen, daß Angés nur in den nöthigen Fällen mit der Prinzessin öffentlich erschien, daß die Wohnungen getrennt waren und keine Seele den Antheil errathen konnte, den die Prinzessin an dem Kinde nahm.

Graf Ludwig wußte, als er in Hamburg mit seinen Schutzbefohlenen anlangte, noch Nichts vom Ableben der regierenden Reichsgräfin Ottoline; er hatte auch von der Großmutter lange keine Nachricht erhalten und leicht konnten ihn jetzt Briefe verfehlen. Indeß vermuthete er seine würdige Gönnerin in Hamburg, und hatte sich nicht getäuscht. Er miethete sogleich in der Nähe des großmütterlichen Hauses eine Wohnung für sich und seine Begleitung und erfuhr, daß auch Windt anwesend und die Reichsgräfin bedenklich erkrankt sei.

Ludwig suchte den alten Freund auf, und diesen versetzte das unvermuthete Wiedersehen in eben so viel Freude als Bestürzung.

Sie finden Ihre Frau Großmutter bedeutend krank, Herr Graf! sprach Windt; und was die Vergleichssache angeht, so sind wir noch keinen Schritt weiter, außer daß der jüngere Graf, Johann Carl, sich ganz nach England übersiedelt hat und bereits Generallieutenant geworden ist. Derselbe hat mit dem Erbherrn und dem Vice-Admiral William eigene Verträge abgeschlossen für den zu erwartenden Todesfall der Frau Großmutter, und geben Sie Acht, liebster Herr Graf, wenn sie die Augen zuthut, so wird es heißen: „Sie haben meine

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[352/0356] Gemüthe, das wohl sich emporzuringen vermag auf den Gipfel reinster sittlicher Größe und Hoheit. Angés war die große und doch so zärtliche Seele, die über sich selbst den herrlichen Sieg gewann, die flammende Neigung zweier Freunde zu bekämpfen und ihr zu widerstehen, die Beide der Liebe so würdig waren, die an ihrem Beispiel lernten, sich selbst zu beherrschen, und von denen sie den Einen mit aller verhaltenen Glut ihrer Empfindung, mit aller innigen Freundschaft den Andern liebte. So beharrend in würdiger und edler Selbstbeherrschung war Angés sich selbst treu geblieben, und so hatte auch die Prinzessin ihr Wesen und ihren Charakter von je erkannt und hochgeschätzt; sie wurde von dieser wie eine Schwester behandelt und Angés blieb auch später die Ausbildung und Leitung des geliebten Kindes überlassen. Die Einrichtung war so getroffen, daß Angés nur in den nöthigen Fällen mit der Prinzessin öffentlich erschien, daß die Wohnungen getrennt waren und keine Seele den Antheil errathen konnte, den die Prinzessin an dem Kinde nahm. Graf Ludwig wußte, als er in Hamburg mit seinen Schutzbefohlenen anlangte, noch Nichts vom Ableben der regierenden Reichsgräfin Ottoline; er hatte auch von der Großmutter lange keine Nachricht erhalten und leicht konnten ihn jetzt Briefe verfehlen. Indeß vermuthete er seine würdige Gönnerin in Hamburg, und hatte sich nicht getäuscht. Er miethete sogleich in der Nähe des großmütterlichen Hauses eine Wohnung für sich und seine Begleitung und erfuhr, daß auch Windt anwesend und die Reichsgräfin bedenklich erkrankt sei. Ludwig suchte den alten Freund auf, und diesen versetzte das unvermuthete Wiedersehen in eben so viel Freude als Bestürzung. Sie finden Ihre Frau Großmutter bedeutend krank, Herr Graf! sprach Windt; und was die Vergleichssache angeht, so sind wir noch keinen Schritt weiter, außer daß der jüngere Graf, Johann Carl, sich ganz nach England übersiedelt hat und bereits Generallieutenant geworden ist. Derselbe hat mit dem Erbherrn und dem Vice-Admiral William eigene Verträge abgeschlossen für den zu erwartenden Todesfall der Frau Großmutter, und geben Sie Acht, liebster Herr Graf, wenn sie die Augen zuthut, so wird es heißen: „Sie haben meine

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/356>, abgerufen am 22.11.2024.