Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.daß ihr Kind todt sei! Um so fester drückte ich das meinige an meine Brust; Jene kamen in ein anderes Boot, bald trennten uns die donnernden Wogenberge von einander; dennoch war Gottes Hand über uns, und ich war die Glückliche, die ihr eigenes Leben und das ihres Kindes gerettet sah, als der Sturm sich endlich legte und ein Schiff uns aufnahm. Auch unser großes Schiff sank nicht; als der Sturm nachließ, gelang es den weiteren Bemühungen der Mannschaft, das Leck zu stopfen und das Schiff wieder flott zu machen. Aber kaum war ich zu Hause angekommen, so fiel ich in eine lange schwere Krankheit, in welcher mein Mann und alle die Meinen um mein Leben zitterten, und von der ich erst nach vier Wochen wieder genaß. Während dessen hatte mein Kind entwöhnt werden müssen, das auch leidend geworden war, doch hatte Gott es mir und mich ihm erhalten. Ohne die treue und sorgliche Pflege meiner Schwägerin Adriane van der Valck, welche damals noch unverheirathet war, wäre weder ich noch das Kind mit dem Leben davon gekommen. Wer beschreibt aber mein Gefühl, als, nachdem ich wieder außer Gefahr war, Adriane, die bei mir saß, das Kind wiegte, und mich zu unterhalten bemüht war, mich fragte: Warum ist denn deinem kleinen Leonardus ein fremdes Hemdchen angezogen worden, liebe Schwägerin, und von wem liehst du denn die feine, gestickte Windel? -- Adriane! entgegnete ich: du scherzest wohl? Ich besitze selbst feine Windeln genug und brauche keine zu leihen, so wenig wie fremde Hemdchen." "Nimm es mir nicht übel, gute Maria Johanna, erwiederte mir Adriane; ich wußte nicht, daß du in deine Kinderwäsche Grafenkronen hast sticken lassen." "Grafenkronen, Adriane? Ich bitte dich, wie wäre das möglich? rief ich aus. -- Da zog Adriane aus einer Schublade ein kleines Hemdchen und eine gestickte Windel hervor und zeigte mir Beides, ich sah mit starrem Schrecken, daß diese Wäsche nicht mein und nicht meines Kindes war. Jetzt packte mich ein jäher Schauder, ich wollte aufschreien, denn klar stand Alles plötzlich vor meiner Seele, aber ich bezwang mich, und sagte dumpf vor mich hin: Es mag wohl auf dem Schiffe geschehen sein -- die Wärterin wird sich vergriffen und die Wäsche verwechselt haben -- es war noch ein zweites Kind mit auf dem daß ihr Kind todt sei! Um so fester drückte ich das meinige an meine Brust; Jene kamen in ein anderes Boot, bald trennten uns die donnernden Wogenberge von einander; dennoch war Gottes Hand über uns, und ich war die Glückliche, die ihr eigenes Leben und das ihres Kindes gerettet sah, als der Sturm sich endlich legte und ein Schiff uns aufnahm. Auch unser großes Schiff sank nicht; als der Sturm nachließ, gelang es den weiteren Bemühungen der Mannschaft, das Leck zu stopfen und das Schiff wieder flott zu machen. Aber kaum war ich zu Hause angekommen, so fiel ich in eine lange schwere Krankheit, in welcher mein Mann und alle die Meinen um mein Leben zitterten, und von der ich erst nach vier Wochen wieder genaß. Während dessen hatte mein Kind entwöhnt werden müssen, das auch leidend geworden war, doch hatte Gott es mir und mich ihm erhalten. Ohne die treue und sorgliche Pflege meiner Schwägerin Adriane van der Valck, welche damals noch unverheirathet war, wäre weder ich noch das Kind mit dem Leben davon gekommen. Wer beschreibt aber mein Gefühl, als, nachdem ich wieder außer Gefahr war, Adriane, die bei mir saß, das Kind wiegte, und mich zu unterhalten bemüht war, mich fragte: Warum ist denn deinem kleinen Leonardus ein fremdes Hemdchen angezogen worden, liebe Schwägerin, und von wem liehst du denn die feine, gestickte Windel? — Adriane! entgegnete ich: du scherzest wohl? Ich besitze selbst feine Windeln genug und brauche keine zu leihen, so wenig wie fremde Hemdchen.« „Nimm es mir nicht übel, gute Maria Johanna, erwiederte mir Adriane; ich wußte nicht, daß du in deine Kinderwäsche Grafenkronen hast sticken lassen.“ „Grafenkronen, Adriane? Ich bitte dich, wie wäre das möglich? rief ich aus. — Da zog Adriane aus einer Schublade ein kleines Hemdchen und eine gestickte Windel hervor und zeigte mir Beides, ich sah mit starrem Schrecken, daß diese Wäsche nicht mein und nicht meines Kindes war. Jetzt packte mich ein jäher Schauder, ich wollte aufschreien, denn klar stand Alles plötzlich vor meiner Seele, aber ich bezwang mich, und sagte dumpf vor mich hin: Es mag wohl auf dem Schiffe geschehen sein — die Wärterin wird sich vergriffen und die Wäsche verwechselt haben — es war noch ein zweites Kind mit auf dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0428" n="424"/> daß ihr Kind todt sei! Um so fester drückte ich das meinige an meine Brust; Jene kamen in ein anderes Boot, bald trennten uns die donnernden Wogenberge von einander; dennoch war Gottes Hand über uns, und ich war die Glückliche, die ihr eigenes Leben und das ihres Kindes gerettet sah, als der Sturm sich endlich legte und ein Schiff uns aufnahm. Auch unser großes Schiff sank nicht; als der Sturm nachließ, gelang es den weiteren Bemühungen der Mannschaft, das Leck zu stopfen und das Schiff wieder flott zu machen. Aber kaum war ich zu Hause angekommen, so fiel ich in eine lange schwere Krankheit, in welcher mein Mann und alle die Meinen um mein Leben zitterten, und von der ich erst nach vier Wochen wieder genaß. Während dessen hatte mein Kind entwöhnt werden müssen, das auch leidend geworden war, doch hatte Gott es mir und mich ihm erhalten. Ohne die treue und sorgliche Pflege meiner Schwägerin Adriane van der Valck, welche damals noch unverheirathet war, wäre weder ich noch das Kind mit dem Leben davon gekommen. Wer beschreibt aber mein Gefühl, als, nachdem ich wieder außer Gefahr war, Adriane, die bei mir saß, das Kind wiegte, und mich zu unterhalten bemüht war, mich fragte: Warum ist denn deinem kleinen Leonardus ein fremdes Hemdchen angezogen worden, liebe Schwägerin, und von wem liehst du denn die feine, gestickte Windel? — Adriane! entgegnete ich: du scherzest wohl? Ich besitze selbst feine Windeln genug und brauche keine zu leihen, so wenig wie fremde Hemdchen.« </p> <p>„Nimm es mir nicht übel, gute Maria Johanna, erwiederte mir Adriane; ich wußte nicht, daß du in deine Kinderwäsche Grafenkronen hast sticken lassen.“ </p> <p>„Grafenkronen, Adriane? Ich bitte dich, wie wäre das möglich? rief ich aus. — Da zog Adriane aus einer Schublade ein kleines Hemdchen und eine gestickte Windel hervor und zeigte mir Beides, ich sah mit starrem Schrecken, daß diese Wäsche nicht mein und nicht meines Kindes war. Jetzt packte mich ein jäher Schauder, ich wollte aufschreien, denn klar stand Alles plötzlich vor meiner Seele, aber ich bezwang mich, und sagte dumpf vor mich hin: Es mag wohl auf dem Schiffe geschehen sein — die Wärterin wird sich vergriffen und die Wäsche verwechselt haben — es war noch ein zweites Kind mit auf dem </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [424/0428]
daß ihr Kind todt sei! Um so fester drückte ich das meinige an meine Brust; Jene kamen in ein anderes Boot, bald trennten uns die donnernden Wogenberge von einander; dennoch war Gottes Hand über uns, und ich war die Glückliche, die ihr eigenes Leben und das ihres Kindes gerettet sah, als der Sturm sich endlich legte und ein Schiff uns aufnahm. Auch unser großes Schiff sank nicht; als der Sturm nachließ, gelang es den weiteren Bemühungen der Mannschaft, das Leck zu stopfen und das Schiff wieder flott zu machen. Aber kaum war ich zu Hause angekommen, so fiel ich in eine lange schwere Krankheit, in welcher mein Mann und alle die Meinen um mein Leben zitterten, und von der ich erst nach vier Wochen wieder genaß. Während dessen hatte mein Kind entwöhnt werden müssen, das auch leidend geworden war, doch hatte Gott es mir und mich ihm erhalten. Ohne die treue und sorgliche Pflege meiner Schwägerin Adriane van der Valck, welche damals noch unverheirathet war, wäre weder ich noch das Kind mit dem Leben davon gekommen. Wer beschreibt aber mein Gefühl, als, nachdem ich wieder außer Gefahr war, Adriane, die bei mir saß, das Kind wiegte, und mich zu unterhalten bemüht war, mich fragte: Warum ist denn deinem kleinen Leonardus ein fremdes Hemdchen angezogen worden, liebe Schwägerin, und von wem liehst du denn die feine, gestickte Windel? — Adriane! entgegnete ich: du scherzest wohl? Ich besitze selbst feine Windeln genug und brauche keine zu leihen, so wenig wie fremde Hemdchen.«
„Nimm es mir nicht übel, gute Maria Johanna, erwiederte mir Adriane; ich wußte nicht, daß du in deine Kinderwäsche Grafenkronen hast sticken lassen.“
„Grafenkronen, Adriane? Ich bitte dich, wie wäre das möglich? rief ich aus. — Da zog Adriane aus einer Schublade ein kleines Hemdchen und eine gestickte Windel hervor und zeigte mir Beides, ich sah mit starrem Schrecken, daß diese Wäsche nicht mein und nicht meines Kindes war. Jetzt packte mich ein jäher Schauder, ich wollte aufschreien, denn klar stand Alles plötzlich vor meiner Seele, aber ich bezwang mich, und sagte dumpf vor mich hin: Es mag wohl auf dem Schiffe geschehen sein — die Wärterin wird sich vergriffen und die Wäsche verwechselt haben — es war noch ein zweites Kind mit auf dem
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