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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Stehe auf, mein Ludwig Carl -- laß uns recht ruhig noch diese Weihestunde mit einander feiern, es ist ja -- o Gott -- es ist die letzte!

O nein -- nein, meine theure, meine angebetete Großmutter! rief der Jüngling mit schwärmerischem Blick.

Widersprich mir doch nicht, mein Kind, entgegnete die Großmutter mit dem alten gemüthvoll-traulichen Tone, den sie meist beim Zusammensein mit dem Enkel angenommen. Nur in so weit hast du recht, daß ich nicht eher an das Ueberirdische denken soll, bis ich dir das nächstnaheliegende Irdische geordnet. Also höre meinen nächsten Lebensplan für dich. In dieser Brieftasche findest du Wechsel und baares Geld, die deinen Unterhalt mindestens auf ein halbes Jahr bestreiten lassen, für den Fall, daß die blutigen Ereignisse in Frankreich jetzt nicht zuließen, vom Pariser Stadthaus Geld zu erheben, denn dieses Haus ist jetzt ein Tollhaus und ein Schlächterhaus geworden. Daher rathe ich, überhaupt jetzt noch nicht nach Paris zu gehen. Jedenfalls wirst du mich durch Briefe meiner liebevollen Besorgniß um dich, so oft es dir immer möglich ist, entreißen.

Und welchen Namen soll ich führen, Großmutter? fragte der Jüngling mit einem eigenthümlichen Erbangen.

Dieses mein Haus gibt dir einen Namen, -- den die Welt achten muß, Graf Ludwig Carl von Varel! entgegnete die Reichsgräfin. Vielleicht -- wird dereinst noch ein anderer Name dir zu Theil. Einen Reisepaß auf diesen unsern Namen besorgt Herr Windt in unserer Hofkanzlei.

O Himmel, wie viel möchte ich dir noch sagen -- aber ein Gedanke drängt den anderen von hinnen, und das Wort scheiden jagt wie ein Cherub mit dem flammenden Schwerte alles Denken der Liebe aus seinem stillen Paradiese. Doch -- sieh, wie vergeßlich das Alter ist -- fast hätte ich dir unbehändigt gelassen, was ich eigens als ein Andenken dir zurückgelegt. Möge dieses Buch und mögen diese Blätter dir werth und theuer bleiben, ich gedachte mich nie von ihnen zu trennen, aber mit in die Ewigkeit hinüber kann ich sie ja doch nicht nehmen, so bewahre du sie treulich auf. Dieses Buch ist das Tagebuch meiner Großmutter, Charlotte Aemilie; sie schrieb es mit eigener Hand für ihren Sohn, meinen Vater, nieder, und meine in

Stehe auf, mein Ludwig Carl — laß uns recht ruhig noch diese Weihestunde mit einander feiern, es ist ja — o Gott — es ist die letzte!

O nein — nein, meine theure, meine angebetete Großmutter! rief der Jüngling mit schwärmerischem Blick.

Widersprich mir doch nicht, mein Kind, entgegnete die Großmutter mit dem alten gemüthvoll-traulichen Tone, den sie meist beim Zusammensein mit dem Enkel angenommen. Nur in so weit hast du recht, daß ich nicht eher an das Ueberirdische denken soll, bis ich dir das nächstnaheliegende Irdische geordnet. Also höre meinen nächsten Lebensplan für dich. In dieser Brieftasche findest du Wechsel und baares Geld, die deinen Unterhalt mindestens auf ein halbes Jahr bestreiten lassen, für den Fall, daß die blutigen Ereignisse in Frankreich jetzt nicht zuließen, vom Pariser Stadthaus Geld zu erheben, denn dieses Haus ist jetzt ein Tollhaus und ein Schlächterhaus geworden. Daher rathe ich, überhaupt jetzt noch nicht nach Paris zu gehen. Jedenfalls wirst du mich durch Briefe meiner liebevollen Besorgniß um dich, so oft es dir immer möglich ist, entreißen.

Und welchen Namen soll ich führen, Großmutter? fragte der Jüngling mit einem eigenthümlichen Erbangen.

Dieses mein Haus gibt dir einen Namen, — den die Welt achten muß, Graf Ludwig Carl von Varel! entgegnete die Reichsgräfin. Vielleicht — wird dereinst noch ein anderer Name dir zu Theil. Einen Reisepaß auf diesen unsern Namen besorgt Herr Windt in unserer Hofkanzlei.

O Himmel, wie viel möchte ich dir noch sagen — aber ein Gedanke drängt den anderen von hinnen, und das Wort scheiden jagt wie ein Cherub mit dem flammenden Schwerte alles Denken der Liebe aus seinem stillen Paradiese. Doch — sieh, wie vergeßlich das Alter ist — fast hätte ich dir unbehändigt gelassen, was ich eigens als ein Andenken dir zurückgelegt. Möge dieses Buch und mögen diese Blätter dir werth und theuer bleiben, ich gedachte mich nie von ihnen zu trennen, aber mit in die Ewigkeit hinüber kann ich sie ja doch nicht nehmen, so bewahre du sie treulich auf. Dieses Buch ist das Tagebuch meiner Großmutter, Charlotte Aemilie; sie schrieb es mit eigener Hand für ihren Sohn, meinen Vater, nieder, und meine in

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[40/0044] Stehe auf, mein Ludwig Carl — laß uns recht ruhig noch diese Weihestunde mit einander feiern, es ist ja — o Gott — es ist die letzte! O nein — nein, meine theure, meine angebetete Großmutter! rief der Jüngling mit schwärmerischem Blick. Widersprich mir doch nicht, mein Kind, entgegnete die Großmutter mit dem alten gemüthvoll-traulichen Tone, den sie meist beim Zusammensein mit dem Enkel angenommen. Nur in so weit hast du recht, daß ich nicht eher an das Ueberirdische denken soll, bis ich dir das nächstnaheliegende Irdische geordnet. Also höre meinen nächsten Lebensplan für dich. In dieser Brieftasche findest du Wechsel und baares Geld, die deinen Unterhalt mindestens auf ein halbes Jahr bestreiten lassen, für den Fall, daß die blutigen Ereignisse in Frankreich jetzt nicht zuließen, vom Pariser Stadthaus Geld zu erheben, denn dieses Haus ist jetzt ein Tollhaus und ein Schlächterhaus geworden. Daher rathe ich, überhaupt jetzt noch nicht nach Paris zu gehen. Jedenfalls wirst du mich durch Briefe meiner liebevollen Besorgniß um dich, so oft es dir immer möglich ist, entreißen. Und welchen Namen soll ich führen, Großmutter? fragte der Jüngling mit einem eigenthümlichen Erbangen. Dieses mein Haus gibt dir einen Namen, — den die Welt achten muß, Graf Ludwig Carl von Varel! entgegnete die Reichsgräfin. Vielleicht — wird dereinst noch ein anderer Name dir zu Theil. Einen Reisepaß auf diesen unsern Namen besorgt Herr Windt in unserer Hofkanzlei. O Himmel, wie viel möchte ich dir noch sagen — aber ein Gedanke drängt den anderen von hinnen, und das Wort scheiden jagt wie ein Cherub mit dem flammenden Schwerte alles Denken der Liebe aus seinem stillen Paradiese. Doch — sieh, wie vergeßlich das Alter ist — fast hätte ich dir unbehändigt gelassen, was ich eigens als ein Andenken dir zurückgelegt. Möge dieses Buch und mögen diese Blätter dir werth und theuer bleiben, ich gedachte mich nie von ihnen zu trennen, aber mit in die Ewigkeit hinüber kann ich sie ja doch nicht nehmen, so bewahre du sie treulich auf. Dieses Buch ist das Tagebuch meiner Großmutter, Charlotte Aemilie; sie schrieb es mit eigener Hand für ihren Sohn, meinen Vater, nieder, und meine in

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/44>, abgerufen am 30.04.2024.