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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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großes Geheimniß, mit dem sich nicht eine kleine Stadt oder ein kleines Dorf, sondern mit dem sich ganz Deutschland, ja, die halbe Welt beschäftigte, an das Eishäuser Geheimniß episodisch heran. Es war Sommer, die Blätter der Weiden rauschten, über der Flur lag tiefes Schweigen.

Ludwig und Sophie standen an einem Fenster und blickten nach dem Dorfe hinüber; der Klang eines Posthorns erregte ihre Aufmerksamkeit. Bald darauf hörten sie das Rasseln eines Wagens, der im Dorfe anhielt.

Eine Weile nachher erschien auf dem Wege, der aus dem Dorfe nach dem Schloß führte, ein stattlicher, wohlbeleibter Mann im Reiserock, sein Gesicht, voll und breit und lebhaft geröthet, drückte Wohlwollen aus; er nahm den Hut ab, da es sehr warm war, und zeigte, daß er blondes Haar hatte, die Augen erschienen klein, blau und klug. Der Begleiter war ein junger Mensch von unsicherer Haltung und schwankendem Gange; seine Züge hatten etwas Weiches, Unentwickeltes, er trug eine leichte Reisemütze, und that diese jetzt gleichfalls ab; die Blicke, welche er auf die Umgebung warf, drückten eine sonderbare Theilnahmlosigkeit aus, während die seines älteren Begleiters forschend und fast neugierig umhersahen; diese Blicke glitten suchend an allen Fenstern des Schlosses hin, und hatten eine ungemeine Lebendigkeit. Die beiden Fremden blieben bald stehen, bald schritten sie wieder eine kurze Strecke weiter nach dem Schlosse zu.

Soll dieser Besuch wohl uns gelten? fragte Sophie, welche verschleiert am Fenster stand, und nur hinter der grünen bemalten Gardine verstohlen hinabschaute.

Uns nicht, meine Liebe, aber unserm Geheimniß! antwortete Ludwig. Wenn mich nicht Alles trügt, so kenne ich diesen jungen Menschen.

Wie wäre das möglich? fragte Sophie ganz verwundert. Er scheint mir nicht älter als höchstens achtzehn bis zwanzig Jahre zu sein. In diesem Zeitraume hast du ja das Schloß nicht verlassen?

Und dennoch sah ich ihn schon, versetzte der Graf, schritt in sein Arbeitszimmer und kehrte alsbald aus demselben mit einem Buche zurück, dem ein Bild vorangestellt war, welches dem jungen Menschen vollkommen glich.

großes Geheimniß, mit dem sich nicht eine kleine Stadt oder ein kleines Dorf, sondern mit dem sich ganz Deutschland, ja, die halbe Welt beschäftigte, an das Eishäuser Geheimniß episodisch heran. Es war Sommer, die Blätter der Weiden rauschten, über der Flur lag tiefes Schweigen.

Ludwig und Sophie standen an einem Fenster und blickten nach dem Dorfe hinüber; der Klang eines Posthorns erregte ihre Aufmerksamkeit. Bald darauf hörten sie das Rasseln eines Wagens, der im Dorfe anhielt.

Eine Weile nachher erschien auf dem Wege, der aus dem Dorfe nach dem Schloß führte, ein stattlicher, wohlbeleibter Mann im Reiserock, sein Gesicht, voll und breit und lebhaft geröthet, drückte Wohlwollen aus; er nahm den Hut ab, da es sehr warm war, und zeigte, daß er blondes Haar hatte, die Augen erschienen klein, blau und klug. Der Begleiter war ein junger Mensch von unsicherer Haltung und schwankendem Gange; seine Züge hatten etwas Weiches, Unentwickeltes, er trug eine leichte Reisemütze, und that diese jetzt gleichfalls ab; die Blicke, welche er auf die Umgebung warf, drückten eine sonderbare Theilnahmlosigkeit aus, während die seines älteren Begleiters forschend und fast neugierig umhersahen; diese Blicke glitten suchend an allen Fenstern des Schlosses hin, und hatten eine ungemeine Lebendigkeit. Die beiden Fremden blieben bald stehen, bald schritten sie wieder eine kurze Strecke weiter nach dem Schlosse zu.

Soll dieser Besuch wohl uns gelten? fragte Sophie, welche verschleiert am Fenster stand, und nur hinter der grünen bemalten Gardine verstohlen hinabschaute.

Uns nicht, meine Liebe, aber unserm Geheimniß! antwortete Ludwig. Wenn mich nicht Alles trügt, so kenne ich diesen jungen Menschen.

Wie wäre das möglich? fragte Sophie ganz verwundert. Er scheint mir nicht älter als höchstens achtzehn bis zwanzig Jahre zu sein. In diesem Zeitraume hast du ja das Schloß nicht verlassen?

Und dennoch sah ich ihn schon, versetzte der Graf, schritt in sein Arbeitszimmer und kehrte alsbald aus demselben mit einem Buche zurück, dem ein Bild vorangestellt war, welches dem jungen Menschen vollkommen glich.

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[444/0448] großes Geheimniß, mit dem sich nicht eine kleine Stadt oder ein kleines Dorf, sondern mit dem sich ganz Deutschland, ja, die halbe Welt beschäftigte, an das Eishäuser Geheimniß episodisch heran. Es war Sommer, die Blätter der Weiden rauschten, über der Flur lag tiefes Schweigen. Ludwig und Sophie standen an einem Fenster und blickten nach dem Dorfe hinüber; der Klang eines Posthorns erregte ihre Aufmerksamkeit. Bald darauf hörten sie das Rasseln eines Wagens, der im Dorfe anhielt. Eine Weile nachher erschien auf dem Wege, der aus dem Dorfe nach dem Schloß führte, ein stattlicher, wohlbeleibter Mann im Reiserock, sein Gesicht, voll und breit und lebhaft geröthet, drückte Wohlwollen aus; er nahm den Hut ab, da es sehr warm war, und zeigte, daß er blondes Haar hatte, die Augen erschienen klein, blau und klug. Der Begleiter war ein junger Mensch von unsicherer Haltung und schwankendem Gange; seine Züge hatten etwas Weiches, Unentwickeltes, er trug eine leichte Reisemütze, und that diese jetzt gleichfalls ab; die Blicke, welche er auf die Umgebung warf, drückten eine sonderbare Theilnahmlosigkeit aus, während die seines älteren Begleiters forschend und fast neugierig umhersahen; diese Blicke glitten suchend an allen Fenstern des Schlosses hin, und hatten eine ungemeine Lebendigkeit. Die beiden Fremden blieben bald stehen, bald schritten sie wieder eine kurze Strecke weiter nach dem Schlosse zu. Soll dieser Besuch wohl uns gelten? fragte Sophie, welche verschleiert am Fenster stand, und nur hinter der grünen bemalten Gardine verstohlen hinabschaute. Uns nicht, meine Liebe, aber unserm Geheimniß! antwortete Ludwig. Wenn mich nicht Alles trügt, so kenne ich diesen jungen Menschen. Wie wäre das möglich? fragte Sophie ganz verwundert. Er scheint mir nicht älter als höchstens achtzehn bis zwanzig Jahre zu sein. In diesem Zeitraume hast du ja das Schloß nicht verlassen? Und dennoch sah ich ihn schon, versetzte der Graf, schritt in sein Arbeitszimmer und kehrte alsbald aus demselben mit einem Buche zurück, dem ein Bild vorangestellt war, welches dem jungen Menschen vollkommen glich.

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/448>, abgerufen am 01.06.2024.