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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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O schweige, um Gottes Willen, schweige, bester Ludwig! rief sie abwehrend.

Wozu verhüllen, was doch einmal geschehen wird? fragte Ludwig und streichelte sanft ihre erbleichende Wangen. Wie lange noch, und wieder färbt der Herbst die Blätter? Ein anderer Brief, den ich heute empfing, hat mich bis zum Kranksein erschüttert. Was ich einst voraussagte, es ist geschehen, meine jüngeren Verwandten, wenn ich sie so nennen darf, treten auf zum Kampfe gerüstet, und befehden einander in diesem unseligen Jahre mit der Feder, in offenen Druckschriften, sie tragen offen vor das Auge der Welt den Familienzwist, und die Kinder meines Vetters Johann Carl nennen die Kinder meines Vetters, des regierenden Herrn aus der Ehe mit Sara Gerdes Bastarde, sie selbst eine Leibeigene -- und so erfüllt sich mir zur Strafe, zur furchtbaren Strafe mein eigener verhängnißvoller Fluch! Ist das nicht schrecklich? Soll das nicht jedes Herz erschüttern? Kaum traute ich meinen Augen, als ich die öffentliche Ankündigung dieser Streitschriften in den Zeitungen las. Und du weißt, liebe Sophie, was Alles vorherging, wie der regierende Reichsgraf leiden mußte, und das gönn' ich ihm nicht! -- Als Wilhelm Gustav Friedrich durch die Alliirten im Jahr 1814 aus seiner Haft und Verbannung befreit war, sequestrirte Oldenburg immer noch seine Güter, und es mußte erst ein abermaliger Berliner Vergleich zu Stande kommen, zu welchem die Großmächte Oesterreich, Preußen und Rußland die helfende Hand boten, daß ihm Kniphausen wieder eingeräumt ward, daß er die Regierung mit Landeshoheit wieder antreten, manches der früheren Rechte wieder zurückerhalten durfte. Aber um die Vermögensverhältnisse, die ja nie glänzend waren, sieht es betrübend aus, was mir am Herzen nagt wie eine Natter. -- Bereits im Jahre 1827 hat der Graf seinem ältesten Sohne, Wilhelm Friedrich, das Fideicommiß der deutschen Güter abgetreten und ist nach England gegangen, wo er in London mit dem Rang eines großbritannischen General-Majors anständig lebt. Was aus dem Streite weiter werden soll, das wird die Zeit lehren! Möge die Stunde recht bald schlagen, in welcher die streitenden Parteien den Frieden finden und die Versöhnung! Aber das prophezeie ich, daß diese Zeit spät, sehr spät kommen wird und erst dann, wenn ich längst von meinem stillen Schauplatz abgetreten bin, und die Personen

O schweige, um Gottes Willen, schweige, bester Ludwig! rief sie abwehrend.

Wozu verhüllen, was doch einmal geschehen wird? fragte Ludwig und streichelte sanft ihre erbleichende Wangen. Wie lange noch, und wieder färbt der Herbst die Blätter? Ein anderer Brief, den ich heute empfing, hat mich bis zum Kranksein erschüttert. Was ich einst voraussagte, es ist geschehen, meine jüngeren Verwandten, wenn ich sie so nennen darf, treten auf zum Kampfe gerüstet, und befehden einander in diesem unseligen Jahre mit der Feder, in offenen Druckschriften, sie tragen offen vor das Auge der Welt den Familienzwist, und die Kinder meines Vetters Johann Carl nennen die Kinder meines Vetters, des regierenden Herrn aus der Ehe mit Sara Gerdes Bastarde, sie selbst eine Leibeigene — und so erfüllt sich mir zur Strafe, zur furchtbaren Strafe mein eigener verhängnißvoller Fluch! Ist das nicht schrecklich? Soll das nicht jedes Herz erschüttern? Kaum traute ich meinen Augen, als ich die öffentliche Ankündigung dieser Streitschriften in den Zeitungen las. Und du weißt, liebe Sophie, was Alles vorherging, wie der regierende Reichsgraf leiden mußte, und das gönn’ ich ihm nicht! — Als Wilhelm Gustav Friedrich durch die Alliirten im Jahr 1814 aus seiner Haft und Verbannung befreit war, sequestrirte Oldenburg immer noch seine Güter, und es mußte erst ein abermaliger Berliner Vergleich zu Stande kommen, zu welchem die Großmächte Oesterreich, Preußen und Rußland die helfende Hand boten, daß ihm Kniphausen wieder eingeräumt ward, daß er die Regierung mit Landeshoheit wieder antreten, manches der früheren Rechte wieder zurückerhalten durfte. Aber um die Vermögensverhältnisse, die ja nie glänzend waren, sieht es betrübend aus, was mir am Herzen nagt wie eine Natter. — Bereits im Jahre 1827 hat der Graf seinem ältesten Sohne, Wilhelm Friedrich, das Fideicommiß der deutschen Güter abgetreten und ist nach England gegangen, wo er in London mit dem Rang eines großbritannischen General-Majors anständig lebt. Was aus dem Streite weiter werden soll, das wird die Zeit lehren! Möge die Stunde recht bald schlagen, in welcher die streitenden Parteien den Frieden finden und die Versöhnung! Aber das prophezeie ich, daß diese Zeit spät, sehr spät kommen wird und erst dann, wenn ich längst von meinem stillen Schauplatz abgetreten bin, und die Personen

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[450/0454] O schweige, um Gottes Willen, schweige, bester Ludwig! rief sie abwehrend. Wozu verhüllen, was doch einmal geschehen wird? fragte Ludwig und streichelte sanft ihre erbleichende Wangen. Wie lange noch, und wieder färbt der Herbst die Blätter? Ein anderer Brief, den ich heute empfing, hat mich bis zum Kranksein erschüttert. Was ich einst voraussagte, es ist geschehen, meine jüngeren Verwandten, wenn ich sie so nennen darf, treten auf zum Kampfe gerüstet, und befehden einander in diesem unseligen Jahre mit der Feder, in offenen Druckschriften, sie tragen offen vor das Auge der Welt den Familienzwist, und die Kinder meines Vetters Johann Carl nennen die Kinder meines Vetters, des regierenden Herrn aus der Ehe mit Sara Gerdes Bastarde, sie selbst eine Leibeigene — und so erfüllt sich mir zur Strafe, zur furchtbaren Strafe mein eigener verhängnißvoller Fluch! Ist das nicht schrecklich? Soll das nicht jedes Herz erschüttern? Kaum traute ich meinen Augen, als ich die öffentliche Ankündigung dieser Streitschriften in den Zeitungen las. Und du weißt, liebe Sophie, was Alles vorherging, wie der regierende Reichsgraf leiden mußte, und das gönn’ ich ihm nicht! — Als Wilhelm Gustav Friedrich durch die Alliirten im Jahr 1814 aus seiner Haft und Verbannung befreit war, sequestrirte Oldenburg immer noch seine Güter, und es mußte erst ein abermaliger Berliner Vergleich zu Stande kommen, zu welchem die Großmächte Oesterreich, Preußen und Rußland die helfende Hand boten, daß ihm Kniphausen wieder eingeräumt ward, daß er die Regierung mit Landeshoheit wieder antreten, manches der früheren Rechte wieder zurückerhalten durfte. Aber um die Vermögensverhältnisse, die ja nie glänzend waren, sieht es betrübend aus, was mir am Herzen nagt wie eine Natter. — Bereits im Jahre 1827 hat der Graf seinem ältesten Sohne, Wilhelm Friedrich, das Fideicommiß der deutschen Güter abgetreten und ist nach England gegangen, wo er in London mit dem Rang eines großbritannischen General-Majors anständig lebt. Was aus dem Streite weiter werden soll, das wird die Zeit lehren! Möge die Stunde recht bald schlagen, in welcher die streitenden Parteien den Frieden finden und die Versöhnung! Aber das prophezeie ich, daß diese Zeit spät, sehr spät kommen wird und erst dann, wenn ich längst von meinem stillen Schauplatz abgetreten bin, und die Personen

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/454>, abgerufen am 23.11.2024.