Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.seiner alten Sibylla Nicodema wirklich einen Delphin erzielt hat, schrieb ich dir wohl schon vorlängst. Wir dachten damals oft an dich, als wir den kleinen Seekönig und Heiden tauften. Unsere Muhme Carolina Petronella, geborene Lippert, welche sich an den Brauereibesitzer Wirix verheirathet hatte, ist nun auch schon lange eine "bedroefde weduwe" . Du rühmtest mir einstmals den sinn- und deutungsvollen Reichthum der deutschen Sprache gegenüber der unsrigen. Nenne mir doch in der deutschen Sprache ein Wort, mein Leonardus, darin sich der Schmerz und die Klage und das Weinen einer Wittwe gewordenen Frau so ausgeprägt zeigte, wie im Worte Weduwe! das ist: wee te wee! Weh zu Weh! -- Unsere anderen Muhmen, Cornelia's Schwestern, Helena und Christina, können leider noch nicht in den traurigen Fall kommen, betrübte Wittwen zu werden, dieweil sie noch immer ledigen Standes sind. Ich habe ihnen dringend gerathen, in ein Kloster zu gehen, aber sie wollen nicht." "Helena Maria und Christina Theodora gleichen zwei alten Latten; wenn sie neben einander gehen, muß ich immer an die Säulen des Herkules denken, oder an ein römisches Jugum, nur Schade, daß Niemand Neigung trägt, seinen Nacken jemals unter diese antike Reliquien zu beugen, noch viel weniger, sie anzubeten. Im Vertrauen, geliebter Vetter -- dir darf ich es sagen -- ich habe niemals viel auf Reliquiendienst gegeben. Dabei fallen mir alle meine alten Sünden -- nicht doch, wollte sagen: meine alten Tanten in Bochlio, zu Herzberg und zu Dahme ein, die sich vordessen auf deines wohlseligen Herrn Vaters Erbtheil spitzten, aber vergeblich. Jene deutschen Falken, die für ihr Leben gern Valcken sein möchten, warten auch auf deinen Tod. Thue ihnen aber ja nicht den Gefallen, bald zu sterben, sondern laß' sie zappeln!" "Ach, Leonarde! die Welt ist verderbt, ich sehne mich nach Ruhe. Ich habe das ewige Predigen, Beichtehören, Messelesen und was d'rum und d'ran hängt, von ganzem Herzen satt. Kein glücklicherer Mensch auf Erden als ein Pastor emeritus. Das Loos eines gutpensionirten Emeriti scheint mir viel beneidenswerther, als das eines Eremitä. Ach, wer doch schon ein Emeritus wäre! Nun ich hoffe, in einigen Jahren mich melden zu dürfen; hoffentlich bleibe ich noch so lange frisch und kräftig, daß ich mein Pensiönchen mit Behagen seiner alten Sibylla Nicodema wirklich einen Delphin erzielt hat, schrieb ich dir wohl schon vorlängst. Wir dachten damals oft an dich, als wir den kleinen Seekönig und Heiden tauften. Unsere Muhme Carolina Petronella, geborene Lippert, welche sich an den Brauereibesitzer Wirix verheirathet hatte, ist nun auch schon lange eine »bedroefde weduwe“ . Du rühmtest mir einstmals den sinn- und deutungsvollen Reichthum der deutschen Sprache gegenüber der unsrigen. Nenne mir doch in der deutschen Sprache ein Wort, mein Leonardus, darin sich der Schmerz und die Klage und das Weinen einer Wittwe gewordenen Frau so ausgeprägt zeigte, wie im Worte Weduwe! das ist: wee te wee! Weh zu Weh! — Unsere anderen Muhmen, Cornelia’s Schwestern, Helena und Christina, können leider noch nicht in den traurigen Fall kommen, betrübte Wittwen zu werden, dieweil sie noch immer ledigen Standes sind. Ich habe ihnen dringend gerathen, in ein Kloster zu gehen, aber sie wollen nicht.« „Helena Maria und Christina Theodora gleichen zwei alten Latten; wenn sie neben einander gehen, muß ich immer an die Säulen des Herkules denken, oder an ein römisches Jugum, nur Schade, daß Niemand Neigung trägt, seinen Nacken jemals unter diese antike Reliquien zu beugen, noch viel weniger, sie anzubeten. Im Vertrauen, geliebter Vetter — dir darf ich es sagen — ich habe niemals viel auf Reliquiendienst gegeben. Dabei fallen mir alle meine alten Sünden — nicht doch, wollte sagen: meine alten Tanten in Bochlio, zu Herzberg und zu Dahme ein, die sich vordessen auf deines wohlseligen Herrn Vaters Erbtheil spitzten, aber vergeblich. Jene deutschen Falken, die für ihr Leben gern Valcken sein möchten, warten auch auf deinen Tod. Thue ihnen aber ja nicht den Gefallen, bald zu sterben, sondern laß’ sie zappeln!“ „Ach, Leonarde! die Welt ist verderbt, ich sehne mich nach Ruhe. Ich habe das ewige Predigen, Beichtehören, Messelesen und was d’rum und d’ran hängt, von ganzem Herzen satt. Kein glücklicherer Mensch auf Erden als ein Pastor emeritus. Das Loos eines gutpensionirten Emeriti scheint mir viel beneidenswerther, als das eines Eremitä. Ach, wer doch schon ein Emeritus wäre! 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Nenne mir doch in der deutschen Sprache ein Wort, mein Leonardus, darin sich der Schmerz und die Klage und das Weinen einer Wittwe gewordenen Frau so ausgeprägt zeigte, wie im Worte <hi rendition="#aq">Weduwe!</hi> das ist: <hi rendition="#aq">wee te wee!</hi> Weh zu Weh! — Unsere anderen Muhmen, Cornelia’s Schwestern, Helena und Christina, können leider noch nicht in den traurigen Fall kommen, betrübte Wittwen zu werden, dieweil sie noch immer ledigen Standes sind. Ich habe ihnen dringend gerathen, in ein Kloster zu gehen, aber sie wollen nicht.« </p> <p>„Helena Maria und Christina Theodora gleichen zwei alten Latten; wenn sie neben einander gehen, muß ich immer an die Säulen des Herkules denken, oder an ein römisches Jugum, nur Schade, daß Niemand Neigung trägt, seinen Nacken jemals unter diese antike Reliquien zu beugen, noch viel weniger, sie anzubeten. Im Vertrauen, geliebter Vetter — dir darf ich es sagen — ich habe niemals viel auf Reliquiendienst gegeben. Dabei fallen mir alle meine alten Sünden — nicht doch, wollte sagen: meine alten Tanten in Bochlio, zu Herzberg und zu Dahme ein, die sich vordessen auf deines wohlseligen Herrn Vaters Erbtheil spitzten, aber vergeblich. Jene deutschen Falken, die für ihr Leben gern Valcken sein möchten, warten auch auf deinen Tod. Thue ihnen aber ja nicht den Gefallen, bald zu sterben, sondern laß’ sie zappeln!“ </p> <p>„Ach, Leonarde! die Welt ist verderbt, ich sehne mich nach Ruhe. Ich habe das ewige Predigen, Beichtehören, Messelesen und was d’rum und d’ran hängt, von ganzem Herzen satt. Kein glücklicherer Mensch auf Erden als ein Pastor emeritus. Das Loos eines gutpensionirten Emeriti scheint mir viel beneidenswerther, als das eines Eremitä. Ach, wer doch schon ein Emeritus wäre! Nun ich hoffe, in einigen Jahren mich melden zu dürfen; hoffentlich bleibe ich noch so lange frisch und kräftig, daß ich mein Pensiönchen mit Behagen </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [462/0466]
seiner alten Sibylla Nicodema wirklich einen Delphin erzielt hat, schrieb ich dir wohl schon vorlängst. Wir dachten damals oft an dich, als wir den kleinen Seekönig und Heiden tauften. Unsere Muhme Carolina Petronella, geborene Lippert, welche sich an den Brauereibesitzer Wirix verheirathet hatte, ist nun auch schon lange eine »bedroefde weduwe“ . Du rühmtest mir einstmals den sinn- und deutungsvollen Reichthum der deutschen Sprache gegenüber der unsrigen. Nenne mir doch in der deutschen Sprache ein Wort, mein Leonardus, darin sich der Schmerz und die Klage und das Weinen einer Wittwe gewordenen Frau so ausgeprägt zeigte, wie im Worte Weduwe! das ist: wee te wee! Weh zu Weh! — Unsere anderen Muhmen, Cornelia’s Schwestern, Helena und Christina, können leider noch nicht in den traurigen Fall kommen, betrübte Wittwen zu werden, dieweil sie noch immer ledigen Standes sind. Ich habe ihnen dringend gerathen, in ein Kloster zu gehen, aber sie wollen nicht.«
„Helena Maria und Christina Theodora gleichen zwei alten Latten; wenn sie neben einander gehen, muß ich immer an die Säulen des Herkules denken, oder an ein römisches Jugum, nur Schade, daß Niemand Neigung trägt, seinen Nacken jemals unter diese antike Reliquien zu beugen, noch viel weniger, sie anzubeten. Im Vertrauen, geliebter Vetter — dir darf ich es sagen — ich habe niemals viel auf Reliquiendienst gegeben. Dabei fallen mir alle meine alten Sünden — nicht doch, wollte sagen: meine alten Tanten in Bochlio, zu Herzberg und zu Dahme ein, die sich vordessen auf deines wohlseligen Herrn Vaters Erbtheil spitzten, aber vergeblich. Jene deutschen Falken, die für ihr Leben gern Valcken sein möchten, warten auch auf deinen Tod. Thue ihnen aber ja nicht den Gefallen, bald zu sterben, sondern laß’ sie zappeln!“
„Ach, Leonarde! die Welt ist verderbt, ich sehne mich nach Ruhe. Ich habe das ewige Predigen, Beichtehören, Messelesen und was d’rum und d’ran hängt, von ganzem Herzen satt. Kein glücklicherer Mensch auf Erden als ein Pastor emeritus. Das Loos eines gutpensionirten Emeriti scheint mir viel beneidenswerther, als das eines Eremitä. Ach, wer doch schon ein Emeritus wäre! Nun ich hoffe, in einigen Jahren mich melden zu dürfen; hoffentlich bleibe ich noch so lange frisch und kräftig, daß ich mein Pensiönchen mit Behagen
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