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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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nach Amsterdam, dann wieder zurück nach Arnhem und über Deventer durch das reizende Over-Yssel, von dem schon die alte gereimte Schulgeographie singt:

Over-Yssel, viel Morast,
Macht das ganze Land verhaßt --
und noch dazu jetzt im März, nach dem geschmolzenen Schnee -- und durch die Grafschaft Lingen -- auch eine schöne Gegend -- und über alle tausend Teufelsnester und Sumpfmoore, so groß, daß man in jedes ein paar kleine deutsche Fürstenthümer versenken könnte -- und Alles nun für nichts und wieder nichts!

Aber, bester Herr Windt, Sie sind ja ganz außer sich! entgegnete dem Odemschöpfenden der erstaunte junge Graf. Und an all' diesem schweren Unheil soll ich die Schuld tragen? War der Erbherr nicht schon vor dem Auftritt mit mir in Harnisch gebracht? Ich frage nicht, durch wen? denn ich habe hier nichts mehr zu fragen, noch zu sagen; doch wenn Sie mich schuldig glauben, lieber Herr Windt, so verzeihen Sie mir, denn ich bin eben im Begriff, mein Vergehen zu sühnen -- ich gehe auch fort.

Sie gehen auch fort? rief Windt ganz erstaunt aus.

Heute noch, jetzt -- in dieser Stunde -- und auf immer. Mit meinem Willen sehe ich Varel nicht wieder. Haben Sie Dank, Herr Windt, für so manche mir erzeigte gütevolle Freundlichkeit, und leben Sie wohl, recht wohl, und bleiben Sie der Großmutter wie bisher der beste, treueste, redlichste Diener.

Ludwig drückte dem alten Manne mit Wärme die Hand, und schritt von dannen, ohne die Gegenrede des von Staunen fast sprachlos Gewordenen abzuwarten. In seinem Zimmer angelangt, empfing Ludwig aus Philipp's Hand einen Brief: er war vom Erbherrn. Ludwig steckte den Brief zu sich und befahl zu satteln. Eine halbe Stunde später sprengte er und Philipp durch das innere Thor aus dem Schlosse, sie ritten den Parkweg. Mit thränenumflorten Augen blickte Ludwig nach dem Fenster der Großmutter hinauf, droben winkte wehend ein weißes Tuch den schmerzlichen Abschiedsgruß.



nach Amsterdam, dann wieder zurück nach Arnhem und über Deventer durch das reizende Over-Yssel, von dem schon die alte gereimte Schulgeographie singt:

Over-Yssel, viel Morast,
Macht das ganze Land verhaßt —
und noch dazu jetzt im März, nach dem geschmolzenen Schnee — und durch die Grafschaft Lingen — auch eine schöne Gegend — und über alle tausend Teufelsnester und Sumpfmoore, so groß, daß man in jedes ein paar kleine deutsche Fürstenthümer versenken könnte — und Alles nun für nichts und wieder nichts!

Aber, bester Herr Windt, Sie sind ja ganz außer sich! entgegnete dem Odemschöpfenden der erstaunte junge Graf. Und an all’ diesem schweren Unheil soll ich die Schuld tragen? War der Erbherr nicht schon vor dem Auftritt mit mir in Harnisch gebracht? Ich frage nicht, durch wen? denn ich habe hier nichts mehr zu fragen, noch zu sagen; doch wenn Sie mich schuldig glauben, lieber Herr Windt, so verzeihen Sie mir, denn ich bin eben im Begriff, mein Vergehen zu sühnen — ich gehe auch fort.

Sie gehen auch fort? rief Windt ganz erstaunt aus.

Heute noch, jetzt — in dieser Stunde — und auf immer. Mit meinem Willen sehe ich Varel nicht wieder. Haben Sie Dank, Herr Windt, für so manche mir erzeigte gütevolle Freundlichkeit, und leben Sie wohl, recht wohl, und bleiben Sie der Großmutter wie bisher der beste, treueste, redlichste Diener.

Ludwig drückte dem alten Manne mit Wärme die Hand, und schritt von dannen, ohne die Gegenrede des von Staunen fast sprachlos Gewordenen abzuwarten. In seinem Zimmer angelangt, empfing Ludwig aus Philipp’s Hand einen Brief: er war vom Erbherrn. Ludwig steckte den Brief zu sich und befahl zu satteln. Eine halbe Stunde später sprengte er und Philipp durch das innere Thor aus dem Schlosse, sie ritten den Parkweg. Mit thränenumflorten Augen blickte Ludwig nach dem Fenster der Großmutter hinauf, droben winkte wehend ein weißes Tuch den schmerzlichen Abschiedsgruß.



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und noch dazu jetzt im März, nach dem geschmolzenen Schnee &#x2014; und durch die Grafschaft Lingen &#x2014; auch eine schöne Gegend &#x2014; und über alle tausend Teufelsnester und Sumpfmoore, so groß, daß man in jedes ein paar kleine deutsche Fürstenthümer versenken könnte &#x2014; und Alles nun für nichts und wieder nichts!</p>
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[43/0047] nach Amsterdam, dann wieder zurück nach Arnhem und über Deventer durch das reizende Over-Yssel, von dem schon die alte gereimte Schulgeographie singt: Over-Yssel, viel Morast, Macht das ganze Land verhaßt — und noch dazu jetzt im März, nach dem geschmolzenen Schnee — und durch die Grafschaft Lingen — auch eine schöne Gegend — und über alle tausend Teufelsnester und Sumpfmoore, so groß, daß man in jedes ein paar kleine deutsche Fürstenthümer versenken könnte — und Alles nun für nichts und wieder nichts! Aber, bester Herr Windt, Sie sind ja ganz außer sich! entgegnete dem Odemschöpfenden der erstaunte junge Graf. Und an all’ diesem schweren Unheil soll ich die Schuld tragen? War der Erbherr nicht schon vor dem Auftritt mit mir in Harnisch gebracht? Ich frage nicht, durch wen? denn ich habe hier nichts mehr zu fragen, noch zu sagen; doch wenn Sie mich schuldig glauben, lieber Herr Windt, so verzeihen Sie mir, denn ich bin eben im Begriff, mein Vergehen zu sühnen — ich gehe auch fort. Sie gehen auch fort? rief Windt ganz erstaunt aus. Heute noch, jetzt — in dieser Stunde — und auf immer. Mit meinem Willen sehe ich Varel nicht wieder. Haben Sie Dank, Herr Windt, für so manche mir erzeigte gütevolle Freundlichkeit, und leben Sie wohl, recht wohl, und bleiben Sie der Großmutter wie bisher der beste, treueste, redlichste Diener. Ludwig drückte dem alten Manne mit Wärme die Hand, und schritt von dannen, ohne die Gegenrede des von Staunen fast sprachlos Gewordenen abzuwarten. In seinem Zimmer angelangt, empfing Ludwig aus Philipp’s Hand einen Brief: er war vom Erbherrn. Ludwig steckte den Brief zu sich und befahl zu satteln. Eine halbe Stunde später sprengte er und Philipp durch das innere Thor aus dem Schlosse, sie ritten den Parkweg. Mit thränenumflorten Augen blickte Ludwig nach dem Fenster der Großmutter hinauf, droben winkte wehend ein weißes Tuch den schmerzlichen Abschiedsgruß.

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/47>, abgerufen am 21.11.2024.