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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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und diese Frage war eine äußerst wichtige, denn es gab nur zwei Wege, einer, der nach Norden zu den Städten und Orten und Inseln der Nordseeküste führte, und ein zweiter, der in gerade entgegengesetzter Richtung nach dem Herzen des Herzogthums Oldenburg und nach dessen Hauptstadt leitete; doch trat dem neuen Herkules am Scheidewege beim Clushof weder eine Gestalt der Tugend, noch eine des Lasters nahe, sondern nur die Gestalt des Bauers und seines Knechtes, die nach einem Trinkgeld für ihre Bemühung lungernd die groben schmutzigen und arbeitgewohnten Hände aufhielten.

Wohin wir reiten, Philipp? fuhr Ludwig aus seinen träumerischen und selbstquälerischen Gedanken auf, indem er die Ansprüche des Bauers und des Knechtes zu befriedigen Anstalt traf; denn wahrlich, er hatte an diese Frage selbst noch nicht gedacht, er hatte keine Absicht, keinen Plan, keinen Zweck, nie wurde mehr ein Ritt ins Blaue hinein, was in das Friesische übersetzt: ins Nebelgraue hinein lautet, angetreten, und so sah sich der Graf Ludwig wider Verhoffen und fast willenlos zu einem fahrenden Ritter und Abenteurer durch des Schicksals Willen gestempelt. Er überdachte einige Augenblicke die an ihn gestellte Frage und erwog deren Schwere. "Nach den Niederlanden!" Dies setzte sich in ihm als Hauptgedanke fest, aber welchen Weg dahin einschlagen? Den endlos langen einförmigen über Oldenburg, Quaakenbrück und Lingen, oder den an der frischen Nordsee, durch Friesland, wo täglich, ja stündlich sich Gelegenheit bot, zu Schiffe zu gehen und die Welt zu durchfahren? Nordwärts lichtete sich der Himmel und die Ferne, und die Bockhorner Mühle ließ ihre gewaltigen Flügel, ein Spiel des Windes, rasch umdrehen; südwärts schleierte die stehende Nebelwand alles ein, und so kam es, daß Ludwig, zumal ihm zu rechter Zeit die abschreckende Schilderung einfiel, welche ihm vor wenigen Stunden noch der Haushofmeister seiner Großmutter, Herr Windt, von seinem Wege gemacht, raschen Entschlusses auf seine Isabelle sich schwang und dem Diener, der ein Gleiches auf seinen Braunen gethan, gegen Bockhorn zu auf der sandigen Haidestraße voransprengte, bis es nöthig wurde, die Thiere wieder im gemachsamen Schritt gehen zu lassen. Der Weg war besser, und führte in schnurgerader Linie nach und durch Bockhorn, von da am Blauhand Grod und an cultivirtem und nicht cultivirtem Geestland

und diese Frage war eine äußerst wichtige, denn es gab nur zwei Wege, einer, der nach Norden zu den Städten und Orten und Inseln der Nordseeküste führte, und ein zweiter, der in gerade entgegengesetzter Richtung nach dem Herzen des Herzogthums Oldenburg und nach dessen Hauptstadt leitete; doch trat dem neuen Herkules am Scheidewege beim Clushof weder eine Gestalt der Tugend, noch eine des Lasters nahe, sondern nur die Gestalt des Bauers und seines Knechtes, die nach einem Trinkgeld für ihre Bemühung lungernd die groben schmutzigen und arbeitgewohnten Hände aufhielten.

Wohin wir reiten, Philipp? fuhr Ludwig aus seinen träumerischen und selbstquälerischen Gedanken auf, indem er die Ansprüche des Bauers und des Knechtes zu befriedigen Anstalt traf; denn wahrlich, er hatte an diese Frage selbst noch nicht gedacht, er hatte keine Absicht, keinen Plan, keinen Zweck, nie wurde mehr ein Ritt ins Blaue hinein, was in das Friesische übersetzt: ins Nebelgraue hinein lautet, angetreten, und so sah sich der Graf Ludwig wider Verhoffen und fast willenlos zu einem fahrenden Ritter und Abenteurer durch des Schicksals Willen gestempelt. Er überdachte einige Augenblicke die an ihn gestellte Frage und erwog deren Schwere. „Nach den Niederlanden!“ Dies setzte sich in ihm als Hauptgedanke fest, aber welchen Weg dahin einschlagen? Den endlos langen einförmigen über Oldenburg, Quaakenbrück und Lingen, oder den an der frischen Nordsee, durch Friesland, wo täglich, ja stündlich sich Gelegenheit bot, zu Schiffe zu gehen und die Welt zu durchfahren? Nordwärts lichtete sich der Himmel und die Ferne, und die Bockhorner Mühle ließ ihre gewaltigen Flügel, ein Spiel des Windes, rasch umdrehen; südwärts schleierte die stehende Nebelwand alles ein, und so kam es, daß Ludwig, zumal ihm zu rechter Zeit die abschreckende Schilderung einfiel, welche ihm vor wenigen Stunden noch der Haushofmeister seiner Großmutter, Herr Windt, von seinem Wege gemacht, raschen Entschlusses auf seine Isabelle sich schwang und dem Diener, der ein Gleiches auf seinen Braunen gethan, gegen Bockhorn zu auf der sandigen Haidestraße voransprengte, bis es nöthig wurde, die Thiere wieder im gemachsamen Schritt gehen zu lassen. Der Weg war besser, und führte in schnurgerader Linie nach und durch Bockhorn, von da am Blauhand Grod und an cultivirtem und nicht cultivirtem Geestland

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und diese Frage war eine äußerst wichtige, denn es gab nur zwei Wege, einer, der nach Norden zu den Städten und Orten und Inseln der Nordseeküste führte, und ein zweiter, der in gerade entgegengesetzter Richtung nach dem Herzen des Herzogthums Oldenburg und nach dessen Hauptstadt leitete; doch trat dem neuen Herkules am Scheidewege beim Clushof weder eine Gestalt der Tugend, noch eine des Lasters nahe, sondern nur die Gestalt des Bauers und seines Knechtes, die nach einem Trinkgeld für ihre Bemühung lungernd die groben schmutzigen und arbeitgewohnten Hände aufhielten.</p>
          <p>Wohin wir reiten, Philipp? fuhr Ludwig aus seinen träumerischen und selbstquälerischen Gedanken auf, indem er die Ansprüche des Bauers und des Knechtes zu befriedigen Anstalt traf; denn wahrlich, er hatte an diese Frage selbst noch nicht gedacht, er hatte keine Absicht, keinen Plan, keinen Zweck, nie wurde mehr ein Ritt ins Blaue hinein, was in das Friesische übersetzt: ins Nebelgraue hinein lautet, angetreten, und so sah sich der Graf Ludwig wider Verhoffen und fast willenlos zu einem fahrenden Ritter und Abenteurer durch des Schicksals Willen gestempelt. Er überdachte einige Augenblicke die an ihn gestellte Frage und erwog deren Schwere. &#x201E;Nach den Niederlanden!&#x201C;  Dies setzte sich in ihm als Hauptgedanke fest, aber welchen Weg dahin einschlagen? Den endlos langen einförmigen über Oldenburg, Quaakenbrück und Lingen, oder den an der frischen Nordsee, durch Friesland, wo täglich, ja stündlich sich Gelegenheit bot, zu Schiffe zu gehen und die Welt zu durchfahren? Nordwärts lichtete sich der Himmel und die Ferne, und die Bockhorner Mühle ließ ihre gewaltigen Flügel, ein Spiel des Windes, rasch umdrehen; südwärts schleierte die stehende Nebelwand alles ein, und so kam es, daß Ludwig, zumal ihm zu rechter Zeit die abschreckende Schilderung einfiel, welche ihm vor wenigen Stunden noch der Haushofmeister seiner Großmutter, Herr Windt, von seinem Wege gemacht, raschen Entschlusses auf seine Isabelle sich schwang und dem Diener, der ein Gleiches auf seinen Braunen gethan, gegen Bockhorn zu auf der sandigen Haidestraße voransprengte, bis es nöthig wurde, die Thiere wieder im gemachsamen Schritt gehen zu lassen. Der Weg war besser, und führte in schnurgerader Linie nach und durch Bockhorn, von da am Blauhand Grod und an cultivirtem und nicht cultivirtem Geestland
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[49/0053] und diese Frage war eine äußerst wichtige, denn es gab nur zwei Wege, einer, der nach Norden zu den Städten und Orten und Inseln der Nordseeküste führte, und ein zweiter, der in gerade entgegengesetzter Richtung nach dem Herzen des Herzogthums Oldenburg und nach dessen Hauptstadt leitete; doch trat dem neuen Herkules am Scheidewege beim Clushof weder eine Gestalt der Tugend, noch eine des Lasters nahe, sondern nur die Gestalt des Bauers und seines Knechtes, die nach einem Trinkgeld für ihre Bemühung lungernd die groben schmutzigen und arbeitgewohnten Hände aufhielten. Wohin wir reiten, Philipp? fuhr Ludwig aus seinen träumerischen und selbstquälerischen Gedanken auf, indem er die Ansprüche des Bauers und des Knechtes zu befriedigen Anstalt traf; denn wahrlich, er hatte an diese Frage selbst noch nicht gedacht, er hatte keine Absicht, keinen Plan, keinen Zweck, nie wurde mehr ein Ritt ins Blaue hinein, was in das Friesische übersetzt: ins Nebelgraue hinein lautet, angetreten, und so sah sich der Graf Ludwig wider Verhoffen und fast willenlos zu einem fahrenden Ritter und Abenteurer durch des Schicksals Willen gestempelt. Er überdachte einige Augenblicke die an ihn gestellte Frage und erwog deren Schwere. „Nach den Niederlanden!“ Dies setzte sich in ihm als Hauptgedanke fest, aber welchen Weg dahin einschlagen? Den endlos langen einförmigen über Oldenburg, Quaakenbrück und Lingen, oder den an der frischen Nordsee, durch Friesland, wo täglich, ja stündlich sich Gelegenheit bot, zu Schiffe zu gehen und die Welt zu durchfahren? Nordwärts lichtete sich der Himmel und die Ferne, und die Bockhorner Mühle ließ ihre gewaltigen Flügel, ein Spiel des Windes, rasch umdrehen; südwärts schleierte die stehende Nebelwand alles ein, und so kam es, daß Ludwig, zumal ihm zu rechter Zeit die abschreckende Schilderung einfiel, welche ihm vor wenigen Stunden noch der Haushofmeister seiner Großmutter, Herr Windt, von seinem Wege gemacht, raschen Entschlusses auf seine Isabelle sich schwang und dem Diener, der ein Gleiches auf seinen Braunen gethan, gegen Bockhorn zu auf der sandigen Haidestraße voransprengte, bis es nöthig wurde, die Thiere wieder im gemachsamen Schritt gehen zu lassen. Der Weg war besser, und führte in schnurgerader Linie nach und durch Bockhorn, von da am Blauhand Grod und an cultivirtem und nicht cultivirtem Geestland

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/53>, abgerufen am 21.05.2024.