Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.Todesgefahr vorhanden war. Das ist ein Unglück! die Pferde gehen durch! -- Dies rufend und sein Pferd in Galopp setzend, dem Wagen entgegen, war von Seiten Graf Ludwig's das Werk eines Augenblicks, Philipp folgte nicht minder rasch dem Beispiele seines Gebieters. Wenn jener Wagen nur noch eine Minute lang in dieser Weise fuhr, so stürzte Schiff und Geschirr und alles in das zwar schmale, aber tiefe Flüßchen, die Made, die von Dickhusen her den Weg kreuzte. Mit einem furchtbaren Satze flog die kräftige Isabella über das Bette des Flüßchens, und Philipp's Brauner wollte sich nicht an Bravheit von jener übertreffen lassen. Auf Tod und Leben jagte der Graf den durchgehenden Pferden entgegen, Philipp sah mit einem Blick voll Schreck, welcher Gefahr derselbe sich selbst tollkühn aussetzte, stach seinem Rosse die Sporen noch einmal in die Seite und überholte die Isabella, um mit kühner Todesverachtung den ersten Anprall selbst zu empfangen. Wenige Secunden später, und in einen furchtbaren entsetzlichen Knäuel verwickelt wälzten sich Rosse und Mann am Boden, Philipp hatte sein Pferd gerade auf die entgegenstürmenden über und über mit Schaum bedeckten wilden Pferde losgetrieben, der Graf folgte alsbald und hatte Noth, nicht auch zu stürzen. Die vordern Pferde lagen, die hintern standen zitternd und bebend und heftig schnaubend, immer noch versuchend, sich zu bäumen, und an den innern Seiten war beiden die Haut furchtbar blutig und zerrissen. Philipp arbeitete sich unter den Pferden hervor, wie durch ein Wunder war er unverletzt, der Kutscher sprang, von unerhörter Anstrengung schweißtriefend und an allen Gliedern zitternd, vom Bock, und suchte seinen Pferden aufzuhelfen; der Wagen, ein starker fester Bau, sonst wäre er auf diesem Wege zertrümmert, stand -- von fern her liefen einige Menschen herbei, der Jäger und der Jokei, welche bei den heftigen Stößen von ihrem Sitz im hintern Halbtheil des Wagens herabgeschleudert worden waren. Der Graf ritt rasch zum Schlage, -- da lag ein marmorbleiches schönes Frauenbild, wie eine geknickte Lilie in regungsloser tiefer Ohnmacht, und ein zartes Kind, ein Mädchen zwischen drei und vier Jahren, umklammerte mit seinen Händchen die Kniee der Mutter und barg sein blondes Lockenköpfchen in deren Schoos, ebenfalls ohne sich zu regen; der Mutter Arme und Hände waren um das Kind Todesgefahr vorhanden war. Das ist ein Unglück! die Pferde gehen durch! — Dies rufend und sein Pferd in Galopp setzend, dem Wagen entgegen, war von Seiten Graf Ludwig’s das Werk eines Augenblicks, Philipp folgte nicht minder rasch dem Beispiele seines Gebieters. Wenn jener Wagen nur noch eine Minute lang in dieser Weise fuhr, so stürzte Schiff und Geschirr und alles in das zwar schmale, aber tiefe Flüßchen, die Made, die von Dickhusen her den Weg kreuzte. Mit einem furchtbaren Satze flog die kräftige Isabella über das Bette des Flüßchens, und Philipp’s Brauner wollte sich nicht an Bravheit von jener übertreffen lassen. Auf Tod und Leben jagte der Graf den durchgehenden Pferden entgegen, Philipp sah mit einem Blick voll Schreck, welcher Gefahr derselbe sich selbst tollkühn aussetzte, stach seinem Rosse die Sporen noch einmal in die Seite und überholte die Isabella, um mit kühner Todesverachtung den ersten Anprall selbst zu empfangen. Wenige Secunden später, und in einen furchtbaren entsetzlichen Knäuel verwickelt wälzten sich Rosse und Mann am Boden, Philipp hatte sein Pferd gerade auf die entgegenstürmenden über und über mit Schaum bedeckten wilden Pferde losgetrieben, der Graf folgte alsbald und hatte Noth, nicht auch zu stürzen. Die vordern Pferde lagen, die hintern standen zitternd und bebend und heftig schnaubend, immer noch versuchend, sich zu bäumen, und an den innern Seiten war beiden die Haut furchtbar blutig und zerrissen. Philipp arbeitete sich unter den Pferden hervor, wie durch ein Wunder war er unverletzt, der Kutscher sprang, von unerhörter Anstrengung schweißtriefend und an allen Gliedern zitternd, vom Bock, und suchte seinen Pferden aufzuhelfen; der Wagen, ein starker fester Bau, sonst wäre er auf diesem Wege zertrümmert, stand — von fern her liefen einige Menschen herbei, der Jäger und der Jokei, welche bei den heftigen Stößen von ihrem Sitz im hintern Halbtheil des Wagens herabgeschleudert worden waren. Der Graf ritt rasch zum Schlage, — da lag ein marmorbleiches schönes Frauenbild, wie eine geknickte Lilie in regungsloser tiefer Ohnmacht, und ein zartes Kind, ein Mädchen zwischen drei und vier Jahren, umklammerte mit seinen Händchen die Kniee der Mutter und barg sein blondes Lockenköpfchen in deren Schoos, ebenfalls ohne sich zu regen; der Mutter Arme und Hände waren um das Kind <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0057" n="53"/> Todesgefahr vorhanden war. Das ist ein Unglück! die Pferde gehen durch! — Dies rufend und sein Pferd in Galopp setzend, dem Wagen entgegen, war von Seiten Graf Ludwig’s das Werk eines Augenblicks, Philipp folgte nicht minder rasch dem Beispiele seines Gebieters. Wenn jener Wagen nur noch eine Minute lang in dieser Weise fuhr, so stürzte Schiff und Geschirr und alles in das zwar schmale, aber tiefe Flüßchen, die Made, die von Dickhusen her den Weg kreuzte. Mit einem furchtbaren Satze flog die kräftige Isabella über das Bette des Flüßchens, und Philipp’s Brauner wollte sich nicht an Bravheit von jener übertreffen lassen. Auf Tod und Leben jagte der Graf den durchgehenden Pferden entgegen, Philipp sah mit einem Blick voll Schreck, welcher Gefahr derselbe sich selbst tollkühn aussetzte, stach seinem Rosse die Sporen noch einmal in die Seite und überholte die Isabella, um mit kühner Todesverachtung den ersten Anprall selbst zu empfangen.</p> <p>Wenige Secunden später, und in einen furchtbaren entsetzlichen Knäuel verwickelt wälzten sich Rosse und Mann am Boden, Philipp hatte sein Pferd gerade auf die entgegenstürmenden über und über mit Schaum bedeckten wilden Pferde losgetrieben, der Graf folgte alsbald und hatte Noth, nicht auch zu stürzen. Die vordern Pferde lagen, die hintern standen zitternd und bebend und heftig schnaubend, immer noch versuchend, sich zu bäumen, und an den innern Seiten war beiden die Haut furchtbar blutig und zerrissen. Philipp arbeitete sich unter den Pferden hervor, wie durch ein Wunder war er unverletzt, der Kutscher sprang, von unerhörter Anstrengung schweißtriefend und an allen Gliedern zitternd, vom Bock, und suchte seinen Pferden aufzuhelfen; der Wagen, ein starker fester Bau, sonst wäre er auf diesem Wege zertrümmert, stand — von fern her liefen einige Menschen herbei, der Jäger und der Jokei, welche bei den heftigen Stößen von ihrem Sitz im hintern Halbtheil des Wagens herabgeschleudert worden waren. Der Graf ritt rasch zum Schlage, — da lag ein marmorbleiches schönes Frauenbild, wie eine geknickte Lilie in regungsloser tiefer Ohnmacht, und ein zartes Kind, ein Mädchen zwischen drei und vier Jahren, umklammerte mit seinen Händchen die Kniee der Mutter und barg sein blondes Lockenköpfchen in deren Schoos, ebenfalls ohne sich zu regen; der Mutter Arme und Hände waren um das Kind </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [53/0057]
Todesgefahr vorhanden war. Das ist ein Unglück! die Pferde gehen durch! — Dies rufend und sein Pferd in Galopp setzend, dem Wagen entgegen, war von Seiten Graf Ludwig’s das Werk eines Augenblicks, Philipp folgte nicht minder rasch dem Beispiele seines Gebieters. Wenn jener Wagen nur noch eine Minute lang in dieser Weise fuhr, so stürzte Schiff und Geschirr und alles in das zwar schmale, aber tiefe Flüßchen, die Made, die von Dickhusen her den Weg kreuzte. Mit einem furchtbaren Satze flog die kräftige Isabella über das Bette des Flüßchens, und Philipp’s Brauner wollte sich nicht an Bravheit von jener übertreffen lassen. Auf Tod und Leben jagte der Graf den durchgehenden Pferden entgegen, Philipp sah mit einem Blick voll Schreck, welcher Gefahr derselbe sich selbst tollkühn aussetzte, stach seinem Rosse die Sporen noch einmal in die Seite und überholte die Isabella, um mit kühner Todesverachtung den ersten Anprall selbst zu empfangen.
Wenige Secunden später, und in einen furchtbaren entsetzlichen Knäuel verwickelt wälzten sich Rosse und Mann am Boden, Philipp hatte sein Pferd gerade auf die entgegenstürmenden über und über mit Schaum bedeckten wilden Pferde losgetrieben, der Graf folgte alsbald und hatte Noth, nicht auch zu stürzen. Die vordern Pferde lagen, die hintern standen zitternd und bebend und heftig schnaubend, immer noch versuchend, sich zu bäumen, und an den innern Seiten war beiden die Haut furchtbar blutig und zerrissen. Philipp arbeitete sich unter den Pferden hervor, wie durch ein Wunder war er unverletzt, der Kutscher sprang, von unerhörter Anstrengung schweißtriefend und an allen Gliedern zitternd, vom Bock, und suchte seinen Pferden aufzuhelfen; der Wagen, ein starker fester Bau, sonst wäre er auf diesem Wege zertrümmert, stand — von fern her liefen einige Menschen herbei, der Jäger und der Jokei, welche bei den heftigen Stößen von ihrem Sitz im hintern Halbtheil des Wagens herabgeschleudert worden waren. Der Graf ritt rasch zum Schlage, — da lag ein marmorbleiches schönes Frauenbild, wie eine geknickte Lilie in regungsloser tiefer Ohnmacht, und ein zartes Kind, ein Mädchen zwischen drei und vier Jahren, umklammerte mit seinen Händchen die Kniee der Mutter und barg sein blondes Lockenköpfchen in deren Schoos, ebenfalls ohne sich zu regen; der Mutter Arme und Hände waren um das Kind
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