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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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eine freudlose Umgebung und in eine Stadt bannte, die noch, wie die ganze Vendee, niedergehalten im dumpfen Glaubensdruck, ihr, der Deutschen, der Protestantin zumal, durchaus keine gemüthliche Ansprache bot.

Und da war ich nun der erste, und wie sie mir unter Zittern gestand, der einzige, mit aller Jugendglut noch immer umfaßte Geliebte, und sie, zurückgestoßen, gemartert, mißhandelt, auf dem Wege zur Verzweiflung. Wohl war mein Brief aus ihrer Heimath an sie gelangt, aber die eifersüchtige Wuth des Mannes ahnete etwas von diesem Briefwechsel; mit der rohen und frechen Hand eines gänzlich bildungslosen Menschen griff er in ihr Allerheiligstes, erbrach das Fach ihres Schreibtisches, fand und las Tagebücher, kleine zärtliche Herzensergießungen, auch meine, nach ihrer Verheirathung mit Berthelmy empfangenen Briefe und tobte, wie ein unsinniger Wüthrich, gebot Anges, sein Haus mit sammt ihrem Kinde zu verlassen und in ihre ferne Heimath zurückzukehren. Wie hätte sie dies selbst mit allen Mitteln jetzt vermocht, wo das ganze Land unter Waffen stand, alle Tage blutige Scharmützel vorfielen und es eine Sache der Unmöglichkeit war, daß ein zartes, schönes und junges Weib mit einem kleinen Kinde durch die von allen Seiten sich nach der Vendee zuwälzenden Heeresmassen gelangen konnte? Und doch wollte Anges fort um jeden Preis.

Schmerzlich bewegte mich ihre rührende Klage, ihr trostloser Zustand und die heftige Bewegung ihres zartbesaiteten Gemüthes, als Anges dies alles mir mittheilte. Ich sann und sann, wie hier zu helfen sei; daß geholfen werden müsse und daß niemand helfen könne und werde als ich, stand klar vor meiner Seele. Nur das wie? der Hülfe war noch die große und verhängnißvolle Frage. Leicht wäre mit ihr allein mir rasche Entfernung möglich gewesen, denn ich konnte mich schnell reisefertig machen, aber das Kind -- von dem Kinde wollte und konnte Anges, wie sie so heilig betheuerte, nicht lassen.

Es dunkelte mehr und mehr, wohl nie wandelte auf dem schönen belebten Spaziergang ein Paar, das Andere für ein glückliches Liebespaar halten mochten, in so ernsten, sorgenschweren Gedanken als ich jetzt mit Anges. Die Viertelstunden verrannen, bis Nachts eilf Uhr mußte alles geschehen sein, was geschehen sollte, denn da wurden die

eine freudlose Umgebung und in eine Stadt bannte, die noch, wie die ganze Vendée, niedergehalten im dumpfen Glaubensdruck, ihr, der Deutschen, der Protestantin zumal, durchaus keine gemüthliche Ansprache bot.

Und da war ich nun der erste, und wie sie mir unter Zittern gestand, der einzige, mit aller Jugendglut noch immer umfaßte Geliebte, und sie, zurückgestoßen, gemartert, mißhandelt, auf dem Wege zur Verzweiflung. Wohl war mein Brief aus ihrer Heimath an sie gelangt, aber die eifersüchtige Wuth des Mannes ahnete etwas von diesem Briefwechsel; mit der rohen und frechen Hand eines gänzlich bildungslosen Menschen griff er in ihr Allerheiligstes, erbrach das Fach ihres Schreibtisches, fand und las Tagebücher, kleine zärtliche Herzensergießungen, auch meine, nach ihrer Verheirathung mit Berthelmy empfangenen Briefe und tobte, wie ein unsinniger Wüthrich, gebot Angés, sein Haus mit sammt ihrem Kinde zu verlassen und in ihre ferne Heimath zurückzukehren. Wie hätte sie dies selbst mit allen Mitteln jetzt vermocht, wo das ganze Land unter Waffen stand, alle Tage blutige Scharmützel vorfielen und es eine Sache der Unmöglichkeit war, daß ein zartes, schönes und junges Weib mit einem kleinen Kinde durch die von allen Seiten sich nach der Vendée zuwälzenden Heeresmassen gelangen konnte? Und doch wollte Angés fort um jeden Preis.

Schmerzlich bewegte mich ihre rührende Klage, ihr trostloser Zustand und die heftige Bewegung ihres zartbesaiteten Gemüthes, als Angés dies alles mir mittheilte. Ich sann und sann, wie hier zu helfen sei; daß geholfen werden müsse und daß niemand helfen könne und werde als ich, stand klar vor meiner Seele. Nur das wie? der Hülfe war noch die große und verhängnißvolle Frage. Leicht wäre mit ihr allein mir rasche Entfernung möglich gewesen, denn ich konnte mich schnell reisefertig machen, aber das Kind — von dem Kinde wollte und konnte Angés, wie sie so heilig betheuerte, nicht lassen.

Es dunkelte mehr und mehr, wohl nie wandelte auf dem schönen belebten Spaziergang ein Paar, das Andere für ein glückliches Liebespaar halten mochten, in so ernsten, sorgenschweren Gedanken als ich jetzt mit Angés. Die Viertelstunden verrannen, bis Nachts eilf Uhr mußte alles geschehen sein, was geschehen sollte, denn da wurden die

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[87/0091] eine freudlose Umgebung und in eine Stadt bannte, die noch, wie die ganze Vendée, niedergehalten im dumpfen Glaubensdruck, ihr, der Deutschen, der Protestantin zumal, durchaus keine gemüthliche Ansprache bot. Und da war ich nun der erste, und wie sie mir unter Zittern gestand, der einzige, mit aller Jugendglut noch immer umfaßte Geliebte, und sie, zurückgestoßen, gemartert, mißhandelt, auf dem Wege zur Verzweiflung. Wohl war mein Brief aus ihrer Heimath an sie gelangt, aber die eifersüchtige Wuth des Mannes ahnete etwas von diesem Briefwechsel; mit der rohen und frechen Hand eines gänzlich bildungslosen Menschen griff er in ihr Allerheiligstes, erbrach das Fach ihres Schreibtisches, fand und las Tagebücher, kleine zärtliche Herzensergießungen, auch meine, nach ihrer Verheirathung mit Berthelmy empfangenen Briefe und tobte, wie ein unsinniger Wüthrich, gebot Angés, sein Haus mit sammt ihrem Kinde zu verlassen und in ihre ferne Heimath zurückzukehren. Wie hätte sie dies selbst mit allen Mitteln jetzt vermocht, wo das ganze Land unter Waffen stand, alle Tage blutige Scharmützel vorfielen und es eine Sache der Unmöglichkeit war, daß ein zartes, schönes und junges Weib mit einem kleinen Kinde durch die von allen Seiten sich nach der Vendée zuwälzenden Heeresmassen gelangen konnte? Und doch wollte Angés fort um jeden Preis. Schmerzlich bewegte mich ihre rührende Klage, ihr trostloser Zustand und die heftige Bewegung ihres zartbesaiteten Gemüthes, als Angés dies alles mir mittheilte. Ich sann und sann, wie hier zu helfen sei; daß geholfen werden müsse und daß niemand helfen könne und werde als ich, stand klar vor meiner Seele. Nur das wie? der Hülfe war noch die große und verhängnißvolle Frage. Leicht wäre mit ihr allein mir rasche Entfernung möglich gewesen, denn ich konnte mich schnell reisefertig machen, aber das Kind — von dem Kinde wollte und konnte Angés, wie sie so heilig betheuerte, nicht lassen. Es dunkelte mehr und mehr, wohl nie wandelte auf dem schönen belebten Spaziergang ein Paar, das Andere für ein glückliches Liebespaar halten mochten, in so ernsten, sorgenschweren Gedanken als ich jetzt mit Angés. Die Viertelstunden verrannen, bis Nachts eilf Uhr mußte alles geschehen sein, was geschehen sollte, denn da wurden die

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/91>, abgerufen am 24.11.2024.