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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Griechenland.
Zivilisation Griechenlands. Namentlich in technischen Künsten waren
die Phönizier die Lehrmeister der Griechen, wie denn deren Kolonisa-
tion keinen anderen Zweck hatte, als den der Ausbeutung der fremden
Länder durch Handel und Industrie.

Die meisten Überlieferungen der Griechen, die sich auf Metallurgie
beziehen, lassen sich auf phönizischen Ursprung zurückführen. Ins-
besondere gilt dies von dem alten, wichtigen Sagenkreis der Wande-
rungen des Kadmos, den wir bei der Geschichte der Phönizier als einen
der Kabiren kennen gelernt haben. Die hellenesche Sage berichtet:

Kadmos1), der Sohn des Agenor, nach anderen 2) des Phönix,
war ein Bruder der Europa, die Zeus, von Liebe entbrannt, in Gestalt
eines Stieres von der ägyptischen Küste nach Kreta entführte. Kadmos
zog mit seinem Bruder aus, die vorlorene Schwester zu suchen, wurde
aber durch Stürme in das ägäische Meer verschlagen. Sein Bruder
Thasos, den einige einen Sohn des Poseidon, andere einen Sohn oder auch
einen Bruder des Kilix nennen, blieb auf der nach ihm benannten Insel
zurück, und legte dort die alten berühmten Goldbergwerke an, während
Kadmos mit seiner Mutter Telephassa sich nach der thrakischen Küste
wandte, wo die Goldbergwerke am Pangäos von ihm abgeleitet werden.
Hier begrub er seine Mutter Telephassa, d. h. "die Weitscheinende",
worin wohl eine symbolische Anspielung auf das Graben nach unter-
irdischen Goldschätzen gefunden werden darf, und zog von da nach
Böotien, wo er nach der bekannten Erzählung der Gründer Thebens
wurde. Von Theben wanderte er, nach Pindars Darstellung, mit seiner
Gattin Harmonia (der phönizischen Gottheit der Ordnung, des Gesetzes)
zu den Encheleern in Illyrien, wo verwandte Sagen sich finden. Im höch-
sten Alter wurde er von Zeus, in eine Schlange verwandelt, nach dem
Elysium gesendet. Von den Griechen wurde Kadmos verehrt als Er-
finder vieler technischer Künste, insbesondere der Goldgewinnung, sowie
der metallnen Waffen, mit denen er leicht das eingeborene Volk der
Hyanten bezwang. So verworren diese Erzählung auf den ersten Blick
erscheinen mag, so ist es doch nicht schwer, in jeder Einzelheit den
historischen Kern zu erkennen. Kadmos ist die personifizierte Vor-
stellung des Einflusses der Phönizier auf die Griechen. Kadmos heisst
ein Sohn des Phönix, d. h. Phöniziens und ein Bruder des Kilix, d. h.
Kilikiens, das von semitischen, den Phöniziern stammverwandten Völkern
bewohnt war. Er und sein Bruder gründen die Bergwerke in Thasos
und in Thracien, welche nachweislich zuerst von phönizischen Unter-

1) Diodor V, 56.
2) Homer, Ilias 14, 321.

Griechenland.
Zivilisation Griechenlands. Namentlich in technischen Künsten waren
die Phönizier die Lehrmeister der Griechen, wie denn deren Kolonisa-
tion keinen anderen Zweck hatte, als den der Ausbeutung der fremden
Länder durch Handel und Industrie.

Die meisten Überlieferungen der Griechen, die sich auf Metallurgie
beziehen, lassen sich auf phönizischen Ursprung zurückführen. Ins-
besondere gilt dies von dem alten, wichtigen Sagenkreis der Wande-
rungen des Kadmos, den wir bei der Geschichte der Phönizier als einen
der Kabiren kennen gelernt haben. Die hellenesche Sage berichtet:

Kadmos1), der Sohn des Agenor, nach anderen 2) des Phönix,
war ein Bruder der Europa, die Zeus, von Liebe entbrannt, in Gestalt
eines Stieres von der ägyptischen Küste nach Kreta entführte. Kadmos
zog mit seinem Bruder aus, die vorlorene Schwester zu suchen, wurde
aber durch Stürme in das ägäische Meer verschlagen. Sein Bruder
Thasos, den einige einen Sohn des Poseidon, andere einen Sohn oder auch
einen Bruder des Kilix nennen, blieb auf der nach ihm benannten Insel
zurück, und legte dort die alten berühmten Goldbergwerke an, während
Kadmos mit seiner Mutter Telephassa sich nach der thrakischen Küste
wandte, wo die Goldbergwerke am Pangäos von ihm abgeleitet werden.
Hier begrub er seine Mutter Telephassa, d. h. „die Weitscheinende“,
worin wohl eine symbolische Anspielung auf das Graben nach unter-
irdischen Goldschätzen gefunden werden darf, und zog von da nach
Böotien, wo er nach der bekannten Erzählung der Gründer Thebens
wurde. Von Theben wanderte er, nach Pindars Darstellung, mit seiner
Gattin Harmonia (der phönizischen Gottheit der Ordnung, des Gesetzes)
zu den Encheleern in Illyrien, wo verwandte Sagen sich finden. Im höch-
sten Alter wurde er von Zeus, in eine Schlange verwandelt, nach dem
Elysium gesendet. Von den Griechen wurde Kadmos verehrt als Er-
finder vieler technischer Künste, insbesondere der Goldgewinnung, sowie
der metallnen Waffen, mit denen er leicht das eingeborene Volk der
Hyanten bezwang. So verworren diese Erzählung auf den ersten Blick
erscheinen mag, so ist es doch nicht schwer, in jeder Einzelheit den
historischen Kern zu erkennen. Kadmos ist die personifizierte Vor-
stellung des Einflusses der Phönizier auf die Griechen. Kadmos heiſst
ein Sohn des Phönix, d. h. Phöniziens und ein Bruder des Kilix, d. h.
Kilikiens, das von semitischen, den Phöniziern stammverwandten Völkern
bewohnt war. Er und sein Bruder gründen die Bergwerke in Thasos
und in Thracien, welche nachweislich zuerst von phönizischen Unter-

1) Diodor V, 56.
2) Homer, Ilias 14, 321.
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[375/0397] Griechenland. Zivilisation Griechenlands. Namentlich in technischen Künsten waren die Phönizier die Lehrmeister der Griechen, wie denn deren Kolonisa- tion keinen anderen Zweck hatte, als den der Ausbeutung der fremden Länder durch Handel und Industrie. Die meisten Überlieferungen der Griechen, die sich auf Metallurgie beziehen, lassen sich auf phönizischen Ursprung zurückführen. Ins- besondere gilt dies von dem alten, wichtigen Sagenkreis der Wande- rungen des Kadmos, den wir bei der Geschichte der Phönizier als einen der Kabiren kennen gelernt haben. Die hellenesche Sage berichtet: Kadmos 1), der Sohn des Agenor, nach anderen 2) des Phönix, war ein Bruder der Europa, die Zeus, von Liebe entbrannt, in Gestalt eines Stieres von der ägyptischen Küste nach Kreta entführte. Kadmos zog mit seinem Bruder aus, die vorlorene Schwester zu suchen, wurde aber durch Stürme in das ägäische Meer verschlagen. Sein Bruder Thasos, den einige einen Sohn des Poseidon, andere einen Sohn oder auch einen Bruder des Kilix nennen, blieb auf der nach ihm benannten Insel zurück, und legte dort die alten berühmten Goldbergwerke an, während Kadmos mit seiner Mutter Telephassa sich nach der thrakischen Küste wandte, wo die Goldbergwerke am Pangäos von ihm abgeleitet werden. Hier begrub er seine Mutter Telephassa, d. h. „die Weitscheinende“, worin wohl eine symbolische Anspielung auf das Graben nach unter- irdischen Goldschätzen gefunden werden darf, und zog von da nach Böotien, wo er nach der bekannten Erzählung der Gründer Thebens wurde. Von Theben wanderte er, nach Pindars Darstellung, mit seiner Gattin Harmonia (der phönizischen Gottheit der Ordnung, des Gesetzes) zu den Encheleern in Illyrien, wo verwandte Sagen sich finden. Im höch- sten Alter wurde er von Zeus, in eine Schlange verwandelt, nach dem Elysium gesendet. Von den Griechen wurde Kadmos verehrt als Er- finder vieler technischer Künste, insbesondere der Goldgewinnung, sowie der metallnen Waffen, mit denen er leicht das eingeborene Volk der Hyanten bezwang. So verworren diese Erzählung auf den ersten Blick erscheinen mag, so ist es doch nicht schwer, in jeder Einzelheit den historischen Kern zu erkennen. Kadmos ist die personifizierte Vor- stellung des Einflusses der Phönizier auf die Griechen. Kadmos heiſst ein Sohn des Phönix, d. h. Phöniziens und ein Bruder des Kilix, d. h. Kilikiens, das von semitischen, den Phöniziern stammverwandten Völkern bewohnt war. Er und sein Bruder gründen die Bergwerke in Thasos und in Thracien, welche nachweislich zuerst von phönizischen Unter- 1) Diodor V, 56. 2) Homer, Ilias 14, 321.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/397>, abgerufen am 22.11.2024.