So auffallend es auf den ersten Blick erscheinen mochte, dass ganze Dörfer von den Urbewohnern der Schweiz in das Wasser gebaut gewesen sein sollen, so plausibel erschien dieses Vorgehen bei näherer Betrachtung. Gerade der Mangel an Verteidigungsmitteln gegen alle Arten von Feinden, gegen feindliche Menschen und feindliche Tiere, mussten die Bewohner veranlassen, möglichst schwer zugängliche Wohnungen zu bauen und da lag der Gedanke solcher Wasserbauten, die durch das einfache Aufziehen der Verbindungsbrücke unzugänglich gemacht werden konnten, nahe. Auch sind derartige Anlagen durch die Geschichte bezeugt und bei Völkern ähnlichen Kulturzustandes heute noch in Gebrauch, so z. B. auf Neuseeland, in Venezuela, wo die Indianer solche Wasserhütten bauen, um sich vor den wilden Tieren und dem massenhaften Ungeziefer zu schützen. Herodot beschreibt solche Wasserdörfer, die zu seiner Zeit noch in Thrazien bestanden. Er meldet: "Die Päonier vom See Prasias (in Thrazien) waren durch- aus nicht zu unterwerfen. Nichts destoweniger versuchte es Megalazos. Ihre Häuser waren in folgender Weise gebaut:
Mitten im See stehen zusammengesetzte Gerüste auf hohen Pfählen und dahin führt vom Lande nur eine einzige Brücke. Und die Pfähle, auf denen die Gerüste ruhen, richteten in alten Zeiten die Bürger gemeinsam auf; nachher aber machten sie ein Gesetz und nun machen sie es also:
Für jede Frau, die ein Mann heiratet, holt er drei Pfähle aus dem Gebirge, das der Orbelos heisst und stellt sie unter; es nimmt sich aber ein jeder viele Weiber. Sie wohnen aber daselbst auf folgende Art: Es hat ein jeder auf dem Gerüst eine Hütte darin er lebt, und eine Fallthür durch das Gerüst, die da hinuntergeht in den See. Die kleinen Kinder binden sie mit einem Fuss an mit einem Seil, aus Furcht, dass sie hinunterfallen. Ihren Pferden und ihrem Lastvieh reichen sie Fische zum Futter. Davon ist eine so grosse Menge, dass, wenn einer die Fallthür aufmacht und einen leeren Korb an einem Strick hinunter- lässt in den See und zieht ihn nach kurzer Zeit wieder hinauf, so ist er ganz voll Fische."
Ebenso giebt uns der Text zu Albufedas Karte von Syrien die Beschreibung von Pfahlbaudörfern 1). In Irland bestanden solche See- Ansiedelungen, die Crannoges, Holzinseln, bis in das Mittelalter hinein. Überhaupt überzeugte man sich bald, dass diese Pfahlbauanlagen nicht auf die Schweiz beschränkt waren; man entdeckte solche in den Seeen
1) Suplementa tabulae Syriae (Albufedae).
Einleitung zum Mittelalter.
So auffallend es auf den ersten Blick erscheinen mochte, daſs ganze Dörfer von den Urbewohnern der Schweiz in das Wasser gebaut gewesen sein sollen, so plausibel erschien dieses Vorgehen bei näherer Betrachtung. Gerade der Mangel an Verteidigungsmitteln gegen alle Arten von Feinden, gegen feindliche Menschen und feindliche Tiere, muſsten die Bewohner veranlassen, möglichst schwer zugängliche Wohnungen zu bauen und da lag der Gedanke solcher Wasserbauten, die durch das einfache Aufziehen der Verbindungsbrücke unzugänglich gemacht werden konnten, nahe. Auch sind derartige Anlagen durch die Geschichte bezeugt und bei Völkern ähnlichen Kulturzustandes heute noch in Gebrauch, so z. B. auf Neuseeland, in Venezuela, wo die Indianer solche Wasserhütten bauen, um sich vor den wilden Tieren und dem massenhaften Ungeziefer zu schützen. Herodot beschreibt solche Wasserdörfer, die zu seiner Zeit noch in Thrazien bestanden. Er meldet: „Die Päonier vom See Prasias (in Thrazien) waren durch- aus nicht zu unterwerfen. Nichts destoweniger versuchte es Megalazos. Ihre Häuser waren in folgender Weise gebaut:
Mitten im See stehen zusammengesetzte Gerüste auf hohen Pfählen und dahin führt vom Lande nur eine einzige Brücke. Und die Pfähle, auf denen die Gerüste ruhen, richteten in alten Zeiten die Bürger gemeinsam auf; nachher aber machten sie ein Gesetz und nun machen sie es also:
Für jede Frau, die ein Mann heiratet, holt er drei Pfähle aus dem Gebirge, das der Orbelos heiſst und stellt sie unter; es nimmt sich aber ein jeder viele Weiber. Sie wohnen aber daselbst auf folgende Art: Es hat ein jeder auf dem Gerüst eine Hütte darin er lebt, und eine Fallthür durch das Gerüst, die da hinuntergeht in den See. Die kleinen Kinder binden sie mit einem Fuſs an mit einem Seil, aus Furcht, daſs sie hinunterfallen. Ihren Pferden und ihrem Lastvieh reichen sie Fische zum Futter. Davon ist eine so groſse Menge, daſs, wenn einer die Fallthür aufmacht und einen leeren Korb an einem Strick hinunter- läſst in den See und zieht ihn nach kurzer Zeit wieder hinauf, so ist er ganz voll Fische.“
Ebenso giebt uns der Text zu Albufedas Karte von Syrien die Beschreibung von Pfahlbaudörfern 1). In Irland bestanden solche See- Ansiedelungen, die Crannoges, Holzinseln, bis in das Mittelalter hinein. Überhaupt überzeugte man sich bald, daſs diese Pfahlbauanlagen nicht auf die Schweiz beschränkt waren; man entdeckte solche in den Seeen
1) Suplementa tabulae Syriae (Albufedae).
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Einleitung zum Mittelalter.
So auffallend es auf den ersten Blick erscheinen mochte, daſs
ganze Dörfer von den Urbewohnern der Schweiz in das Wasser gebaut
gewesen sein sollen, so plausibel erschien dieses Vorgehen bei näherer
Betrachtung. Gerade der Mangel an Verteidigungsmitteln gegen alle
Arten von Feinden, gegen feindliche Menschen und feindliche Tiere,
muſsten die Bewohner veranlassen, möglichst schwer zugängliche
Wohnungen zu bauen und da lag der Gedanke solcher Wasserbauten,
die durch das einfache Aufziehen der Verbindungsbrücke unzugänglich
gemacht werden konnten, nahe. Auch sind derartige Anlagen durch
die Geschichte bezeugt und bei Völkern ähnlichen Kulturzustandes
heute noch in Gebrauch, so z. B. auf Neuseeland, in Venezuela, wo die
Indianer solche Wasserhütten bauen, um sich vor den wilden Tieren
und dem massenhaften Ungeziefer zu schützen. Herodot beschreibt
solche Wasserdörfer, die zu seiner Zeit noch in Thrazien bestanden.
Er meldet: „Die Päonier vom See Prasias (in Thrazien) waren durch-
aus nicht zu unterwerfen. Nichts destoweniger versuchte es Megalazos.
Ihre Häuser waren in folgender Weise gebaut:
Mitten im See stehen zusammengesetzte Gerüste auf hohen
Pfählen und dahin führt vom Lande nur eine einzige Brücke. Und die
Pfähle, auf denen die Gerüste ruhen, richteten in alten Zeiten die
Bürger gemeinsam auf; nachher aber machten sie ein Gesetz und nun
machen sie es also:
Für jede Frau, die ein Mann heiratet, holt er drei Pfähle aus dem
Gebirge, das der Orbelos heiſst und stellt sie unter; es nimmt sich aber
ein jeder viele Weiber. Sie wohnen aber daselbst auf folgende Art:
Es hat ein jeder auf dem Gerüst eine Hütte darin er lebt, und eine
Fallthür durch das Gerüst, die da hinuntergeht in den See. Die kleinen
Kinder binden sie mit einem Fuſs an mit einem Seil, aus Furcht, daſs
sie hinunterfallen. Ihren Pferden und ihrem Lastvieh reichen sie
Fische zum Futter. Davon ist eine so groſse Menge, daſs, wenn einer
die Fallthür aufmacht und einen leeren Korb an einem Strick hinunter-
läſst in den See und zieht ihn nach kurzer Zeit wieder hinauf, so ist
er ganz voll Fische.“
Ebenso giebt uns der Text zu Albufedas Karte von Syrien die
Beschreibung von Pfahlbaudörfern 1). In Irland bestanden solche See-
Ansiedelungen, die Crannoges, Holzinseln, bis in das Mittelalter hinein.
Überhaupt überzeugte man sich bald, daſs diese Pfahlbauanlagen nicht
auf die Schweiz beschränkt waren; man entdeckte solche in den Seeen
1) Suplementa tabulae Syriae (Albufedae).
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 606. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/628>, abgerufen am 22.11.2024.
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