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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Das frühe Mittelalter.
ihre eigenen Kohlen brannten, so dass sie wohl nicht anders gelebt
haben mögen, wie unsere Waldköhler. Ein ganz anderes Bild gewährt
die soziale Stellung der Eisenschmiede.

Während bei dem einfachsten Zustande der menschlichen Gesell-
schaft jeder seine Bedürfnisse selbst zu befriedigen suchte, so sehen
wir doch schon in sehr frühen Zeiten gewisse technische Geschäfte
gewerbsmässig betrieben. Bei den Israeliten gab es bereits Gold-
und Silberarbeiter, Salbenbereiter, Töpfer, Walker, Zimmerleute und
Schmiede. Bei den Phöniziern ausser diesen noch Purpurfärber, Köche,
Bäcker und Bordellwirte, die singende und musizierende Frauen und
Mädchen hielten, welche sich für Rechnung ihres Herrn zur Prostitu-
tion hergaben. In Rom wurden Grobschmiede, Gold- und Silber-
schmiede, Zimmerleute, Bauleute, Barbiere, Bäcker, Schiffsrheder, Ge-
treidemesser, Sackträger, Maultiertreiber, Mietkutscher (cisarii) und
Obsthändler als stehende Gewerbe genannt. Die Entstehung von
Städten wäre ohne einen gewerbsmässigen Geschäftsbetrieb fast undenk-
bar gewesen.

In jenen Ländern, wo Sklavenarbeit in grossem Masse verwendet
wurde, hielten sich zwar die Reichen Handwerkssklaven, doch konnte
dies die Entwickelung selbständiger Handwerkerstände nicht hindern.
So sehen wir z. B. in Rom die Handwerker, die allerdings eine ver-
achtete Klasse der Einwohnerschaft bildeten, in alter Zeit zu Korpo-
rationen mit eigentümlichen Institutionen und Rechtsinstituten ver-
einigt. Doch diente diese Form der Korporationen im alten Rom mehr
zur Einschränkung als zur Befreiung des Handwerkerstandes.

Ganz abweichend, aber von hoher Wichtigkeit für den ganzen
Fortschritt Europas war die Entwickelung des freien Gewerbe-
standes bei den Germanen
insbesondere in Deutschland. Die-
selbe übte auch auf die Entwickelung der Eisenfabrikation einen grossen
Einfluss aus.

Bei den alten Germanen gab es noch kein freies Gewerbe, sondern
die technischen Arbeiten wurden von leibeigenen Sklaven ausgeführt.
Indessen geht schon aus den ältesten, gesetzlichen Bestimmungen her-
vor, dass der leibeigene Handwerker höher galt, als der Knecht, der
den Boden bebaute. Wer einen Schmied, der öffentlich bestätigt war,
erschlug, musste nach den alemannischen Gesetzen, die 613 bis 628
gesammelt wurden, dies mit 40 Solidus büssen 1). Dies war zwar nur
circa 50 Thaler nach unserem Gelde, aber es war der vierte Teil des

1) Georgisch, corp. jur. German. ant. p. 230.

Das frühe Mittelalter.
ihre eigenen Kohlen brannten, so daſs sie wohl nicht anders gelebt
haben mögen, wie unsere Waldköhler. Ein ganz anderes Bild gewährt
die soziale Stellung der Eisenschmiede.

Während bei dem einfachsten Zustande der menschlichen Gesell-
schaft jeder seine Bedürfnisse selbst zu befriedigen suchte, so sehen
wir doch schon in sehr frühen Zeiten gewisse technische Geschäfte
gewerbsmäſsig betrieben. Bei den Israeliten gab es bereits Gold-
und Silberarbeiter, Salbenbereiter, Töpfer, Walker, Zimmerleute und
Schmiede. Bei den Phöniziern auſser diesen noch Purpurfärber, Köche,
Bäcker und Bordellwirte, die singende und musizierende Frauen und
Mädchen hielten, welche sich für Rechnung ihres Herrn zur Prostitu-
tion hergaben. In Rom wurden Grobschmiede, Gold- und Silber-
schmiede, Zimmerleute, Bauleute, Barbiere, Bäcker, Schiffsrheder, Ge-
treidemesser, Sackträger, Maultiertreiber, Mietkutscher (cisarii) und
Obsthändler als stehende Gewerbe genannt. Die Entstehung von
Städten wäre ohne einen gewerbsmäſsigen Geschäftsbetrieb fast undenk-
bar gewesen.

In jenen Ländern, wo Sklavenarbeit in groſsem Maſse verwendet
wurde, hielten sich zwar die Reichen Handwerkssklaven, doch konnte
dies die Entwickelung selbständiger Handwerkerstände nicht hindern.
So sehen wir z. B. in Rom die Handwerker, die allerdings eine ver-
achtete Klasse der Einwohnerschaft bildeten, in alter Zeit zu Korpo-
rationen mit eigentümlichen Institutionen und Rechtsinstituten ver-
einigt. Doch diente diese Form der Korporationen im alten Rom mehr
zur Einschränkung als zur Befreiung des Handwerkerstandes.

Ganz abweichend, aber von hoher Wichtigkeit für den ganzen
Fortschritt Europas war die Entwickelung des freien Gewerbe-
standes bei den Germanen
insbesondere in Deutschland. Die-
selbe übte auch auf die Entwickelung der Eisenfabrikation einen groſsen
Einfluſs aus.

Bei den alten Germanen gab es noch kein freies Gewerbe, sondern
die technischen Arbeiten wurden von leibeigenen Sklaven ausgeführt.
Indessen geht schon aus den ältesten, gesetzlichen Bestimmungen her-
vor, daſs der leibeigene Handwerker höher galt, als der Knecht, der
den Boden bebaute. Wer einen Schmied, der öffentlich bestätigt war,
erschlug, muſste nach den alemannischen Gesetzen, die 613 bis 628
gesammelt wurden, dies mit 40 Solidus büſsen 1). Dies war zwar nur
circa 50 Thaler nach unserem Gelde, aber es war der vierte Teil des

1) Georgisch, corp. jur. German. ant. p. 230.
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[740/0762] Das frühe Mittelalter. ihre eigenen Kohlen brannten, so daſs sie wohl nicht anders gelebt haben mögen, wie unsere Waldköhler. Ein ganz anderes Bild gewährt die soziale Stellung der Eisenschmiede. Während bei dem einfachsten Zustande der menschlichen Gesell- schaft jeder seine Bedürfnisse selbst zu befriedigen suchte, so sehen wir doch schon in sehr frühen Zeiten gewisse technische Geschäfte gewerbsmäſsig betrieben. Bei den Israeliten gab es bereits Gold- und Silberarbeiter, Salbenbereiter, Töpfer, Walker, Zimmerleute und Schmiede. Bei den Phöniziern auſser diesen noch Purpurfärber, Köche, Bäcker und Bordellwirte, die singende und musizierende Frauen und Mädchen hielten, welche sich für Rechnung ihres Herrn zur Prostitu- tion hergaben. In Rom wurden Grobschmiede, Gold- und Silber- schmiede, Zimmerleute, Bauleute, Barbiere, Bäcker, Schiffsrheder, Ge- treidemesser, Sackträger, Maultiertreiber, Mietkutscher (cisarii) und Obsthändler als stehende Gewerbe genannt. Die Entstehung von Städten wäre ohne einen gewerbsmäſsigen Geschäftsbetrieb fast undenk- bar gewesen. In jenen Ländern, wo Sklavenarbeit in groſsem Maſse verwendet wurde, hielten sich zwar die Reichen Handwerkssklaven, doch konnte dies die Entwickelung selbständiger Handwerkerstände nicht hindern. So sehen wir z. B. in Rom die Handwerker, die allerdings eine ver- achtete Klasse der Einwohnerschaft bildeten, in alter Zeit zu Korpo- rationen mit eigentümlichen Institutionen und Rechtsinstituten ver- einigt. Doch diente diese Form der Korporationen im alten Rom mehr zur Einschränkung als zur Befreiung des Handwerkerstandes. Ganz abweichend, aber von hoher Wichtigkeit für den ganzen Fortschritt Europas war die Entwickelung des freien Gewerbe- standes bei den Germanen insbesondere in Deutschland. Die- selbe übte auch auf die Entwickelung der Eisenfabrikation einen groſsen Einfluſs aus. Bei den alten Germanen gab es noch kein freies Gewerbe, sondern die technischen Arbeiten wurden von leibeigenen Sklaven ausgeführt. Indessen geht schon aus den ältesten, gesetzlichen Bestimmungen her- vor, daſs der leibeigene Handwerker höher galt, als der Knecht, der den Boden bebaute. Wer einen Schmied, der öffentlich bestätigt war, erschlug, muſste nach den alemannischen Gesetzen, die 613 bis 628 gesammelt wurden, dies mit 40 Solidus büſsen 1). Dies war zwar nur circa 50 Thaler nach unserem Gelde, aber es war der vierte Teil des 1) Georgisch, corp. jur. German. ant. p. 230.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 740. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/762>, abgerufen am 22.11.2024.