und Leihgeschäft. In den Städten am Rhein waren sie zu Karls des Grossen Zeit bereits so angesehen, dass ihnen dieser Kaiser, obgleich sie rechtlich ausser aller Gesellschaft standen, die Anlagen von Syna- gogen zu Worms, Mainz und Trier gewährte. Für die Erlaubnis zu Hausieren, mussten sie das "Judengefäll" bezahlen. Erst Heinrich IV. bewilligte ihnen 1090 Zoll- und Abgabenfreiheit, sicheres Geleit und das Recht, Handel zu treiben.
Auf der anderen Seite überliessen aber schon früh reiche Freie, die ihr ganzes Gut nicht selbst bewirtschaften wollten, Leibeigenen grössere Grundstücke gegen einen Erbzins. Diese bildeten wiederum einen neuen Stand, die Erbzinsbauern oder Kolonen.
So wurden nach allen Seiten hin die Grenzen der alten Gesell- schaftsklassen mehr und mehr verwischt. Gerade dadurch wurden indes auch manche Gegensätze um so mehr geschärft, denn während die unteren Klassen immer neue Rechte sich zu erwerben strebten, suchten die Adeligen, deren Besitz sich vergrösserte und an Wert gewann, ihre Rechte möglichst zu behaupten.
Wie sehr in den ersten Jahrhunderten des deutschen Kaisertums die Klöster zugleich auch Pflanzstätten des Kunstfleisses und der tech- nischen Geschicklichkeit wurden, dafür giebt das berühmte Kloster St. Gallen ein Beispiel, welches 954 in seinen weitläufigen, mit Türmen geschützten Mauern die Werkstätten von Schmieden, Schustern, Müllern, Bäckern, Walkern, Degenschmieden, Schildmachern, Bierbrauern und Glasbrennern einschloss. Diese Handwerker waren Leibeigene des Klosters, aber ihre Arbeit war leicht, während ihnen andererseits mancherlei geistliche Verpflichtungen auferlegt waren, durch die indes ihr weltlicher Stand nicht alteriert wurde. Mehr und mehr entwickelte sich die Selbständigkeit der Gewerbe mit dem Auf- blühen der Städte. Noch unter den Karolingern wurden die alten Industriestädte Soest, Herford, Mühlhausen im Elsass und Limburg an der Lahn gegründet. Die Wichtigkeit fester Städte wurde aber in Deutschland am meisten erkannt, als die Hunnen die Ostmark über- schwemmten und die sächsischen Kaiser liessen es sich mit Eifer ange- legen sein, befestigte Städte zu gründen, die sie mit mannigfaltigen Privilegien versahen. Vor allem gebührt Heinrich I., dem "Städte- gründer", dieser Ruhm. Er hob die Städte besonders auch dadurch, dass er die Verwaltungen mit ihrem ganzen Beamtenpersonal in den- selben vereinigte; er hielt ferner die grösseren Versammlungen in den Städten ab, feierte daselbst Feste und Gelage und versetzte die könig- lichen Zoll- und Münzbehörden dorthin. Heinrich I. war es auch, der
Das frühe Mittelalter.
und Leihgeschäft. In den Städten am Rhein waren sie zu Karls des Groſsen Zeit bereits so angesehen, daſs ihnen dieser Kaiser, obgleich sie rechtlich auſser aller Gesellschaft standen, die Anlagen von Syna- gogen zu Worms, Mainz und Trier gewährte. Für die Erlaubnis zu Hausieren, muſsten sie das „Judengefäll“ bezahlen. Erst Heinrich IV. bewilligte ihnen 1090 Zoll- und Abgabenfreiheit, sicheres Geleit und das Recht, Handel zu treiben.
Auf der anderen Seite überlieſsen aber schon früh reiche Freie, die ihr ganzes Gut nicht selbst bewirtschaften wollten, Leibeigenen gröſsere Grundstücke gegen einen Erbzins. Diese bildeten wiederum einen neuen Stand, die Erbzinsbauern oder Kolonen.
So wurden nach allen Seiten hin die Grenzen der alten Gesell- schaftsklassen mehr und mehr verwischt. Gerade dadurch wurden indes auch manche Gegensätze um so mehr geschärft, denn während die unteren Klassen immer neue Rechte sich zu erwerben strebten, suchten die Adeligen, deren Besitz sich vergröſserte und an Wert gewann, ihre Rechte möglichst zu behaupten.
Wie sehr in den ersten Jahrhunderten des deutschen Kaisertums die Klöster zugleich auch Pflanzstätten des Kunstfleiſses und der tech- nischen Geschicklichkeit wurden, dafür giebt das berühmte Kloster St. Gallen ein Beispiel, welches 954 in seinen weitläufigen, mit Türmen geschützten Mauern die Werkstätten von Schmieden, Schustern, Müllern, Bäckern, Walkern, Degenschmieden, Schildmachern, Bierbrauern und Glasbrennern einschloſs. Diese Handwerker waren Leibeigene des Klosters, aber ihre Arbeit war leicht, während ihnen andererseits mancherlei geistliche Verpflichtungen auferlegt waren, durch die indes ihr weltlicher Stand nicht alteriert wurde. Mehr und mehr entwickelte sich die Selbständigkeit der Gewerbe mit dem Auf- blühen der Städte. Noch unter den Karolingern wurden die alten Industriestädte Soest, Herford, Mühlhausen im Elsaſs und Limburg an der Lahn gegründet. Die Wichtigkeit fester Städte wurde aber in Deutschland am meisten erkannt, als die Hunnen die Ostmark über- schwemmten und die sächsischen Kaiser lieſsen es sich mit Eifer ange- legen sein, befestigte Städte zu gründen, die sie mit mannigfaltigen Privilegien versahen. Vor allem gebührt Heinrich I., dem „Städte- gründer“, dieser Ruhm. Er hob die Städte besonders auch dadurch, daſs er die Verwaltungen mit ihrem ganzen Beamtenpersonal in den- selben vereinigte; er hielt ferner die gröſseren Versammlungen in den Städten ab, feierte daselbst Feste und Gelage und versetzte die könig- lichen Zoll- und Münzbehörden dorthin. Heinrich I. war es auch, der
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Das frühe Mittelalter.
und Leihgeschäft. In den Städten am Rhein waren sie zu Karls des
Groſsen Zeit bereits so angesehen, daſs ihnen dieser Kaiser, obgleich
sie rechtlich auſser aller Gesellschaft standen, die Anlagen von Syna-
gogen zu Worms, Mainz und Trier gewährte. Für die Erlaubnis zu
Hausieren, muſsten sie das „Judengefäll“ bezahlen. Erst Heinrich IV.
bewilligte ihnen 1090 Zoll- und Abgabenfreiheit, sicheres Geleit und
das Recht, Handel zu treiben.
Auf der anderen Seite überlieſsen aber schon früh reiche Freie,
die ihr ganzes Gut nicht selbst bewirtschaften wollten, Leibeigenen
gröſsere Grundstücke gegen einen Erbzins. Diese bildeten wiederum
einen neuen Stand, die Erbzinsbauern oder Kolonen.
So wurden nach allen Seiten hin die Grenzen der alten Gesell-
schaftsklassen mehr und mehr verwischt. Gerade dadurch wurden indes
auch manche Gegensätze um so mehr geschärft, denn während die
unteren Klassen immer neue Rechte sich zu erwerben strebten, suchten
die Adeligen, deren Besitz sich vergröſserte und an Wert gewann, ihre
Rechte möglichst zu behaupten.
Wie sehr in den ersten Jahrhunderten des deutschen Kaisertums
die Klöster zugleich auch Pflanzstätten des Kunstfleiſses und der tech-
nischen Geschicklichkeit wurden, dafür giebt das berühmte Kloster
St. Gallen ein Beispiel, welches 954 in seinen weitläufigen, mit Türmen
geschützten Mauern die Werkstätten von Schmieden, Schustern,
Müllern, Bäckern, Walkern, Degenschmieden, Schildmachern,
Bierbrauern und Glasbrennern einschloſs. Diese Handwerker waren
Leibeigene des Klosters, aber ihre Arbeit war leicht, während ihnen
andererseits mancherlei geistliche Verpflichtungen auferlegt waren,
durch die indes ihr weltlicher Stand nicht alteriert wurde. Mehr und
mehr entwickelte sich die Selbständigkeit der Gewerbe mit dem Auf-
blühen der Städte. Noch unter den Karolingern wurden die alten
Industriestädte Soest, Herford, Mühlhausen im Elsaſs und Limburg an
der Lahn gegründet. Die Wichtigkeit fester Städte wurde aber in
Deutschland am meisten erkannt, als die Hunnen die Ostmark über-
schwemmten und die sächsischen Kaiser lieſsen es sich mit Eifer ange-
legen sein, befestigte Städte zu gründen, die sie mit mannigfaltigen
Privilegien versahen. Vor allem gebührt Heinrich I., dem „Städte-
gründer“, dieser Ruhm. Er hob die Städte besonders auch dadurch,
daſs er die Verwaltungen mit ihrem ganzen Beamtenpersonal in den-
selben vereinigte; er hielt ferner die gröſseren Versammlungen in den
Städten ab, feierte daselbst Feste und Gelage und versetzte die könig-
lichen Zoll- und Münzbehörden dorthin. Heinrich I. war es auch, der
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 744. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/766>, abgerufen am 22.11.2024.
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