Durch den Einfall der Hyksos erreichte die glänzende Herrschaft der zwölften Dynastie ein jähes Ende. Dieses Hirtenvolk semitischer Abstammung eroberte ganz Unterägypten und engte die Herrschaft der eingeborenen Könige auf ein beschränktes Gebiet in Oberägypten ein. Auch hier scheinen sie nur als Vasallen der Hirtenkönige regiert zu haben. Erst nach vielen Jahrhunderten gelang es den kriegerischen Königen der achtzehnten Dynastie nach langen Kämpfen, die barba- rischen Hyksos wieder gänzlich aus Ägypten zu vertreiben und von neuem eine einheitliche Herrschaft eingeborener Könige zu begründen. Unter dieser Dynastie gelangte Ägypten um die Mitte des zweiten Jahrtausend v. Chr. auf den Gipfel seiner Macht. Denn wenn das ägyptische Volk zur Zeit der vierten Dynastie als ein durchaus fried- liebendes, das Krieg und Kriegsdienst kaum kannte, erscheint, wenn es noch unter der Herrschaft der zwölften Dynastie wenig in kriege- rischen Kämpfen geübt und erfahren war, so dass den hereinbrechen- den Nomaden der Sieg leicht wurde, so hatte sich in den Jahrhunderten der Abhängigkeit durch den Druck das ägyptische Volk zu einem starken, geübten Kriegsvolke umgewandelt. Sieg und Eroberung hef- teten sich an die gefürchteten Standarten der Könige der achtzehnten Dynastie. Theben, von dem die Befreiung ausgegangen war, wurde nun der anerkannte Mittelpunkt des Reiches und die reichste und blü- hendste Stadt Ägyptens. Dort richteten die kräftigen Herrscher die gewaltigen Paläste, Tempel und Steinbilder auf, die noch heute in ihren Trümmern das Staunen der Beschauer erwecken. Nahe an dem breiten, von Fahrzeugen belebten Strome erheben sich 1) auf einer künstlichen, von Backsteinen eingefassten Terrasse, welche ein läng- liches Viereck von etwa 3/4 Meile in Umfang bildet, von Palmenbäumen umgeben die Ruinen dieser Bauten stolz aus der grünen Niederung, unfern dem heutigen Dorfe Karnak.
Zwei Reihen liegender Widder, die auf dem Rande der Terrasse beginnen, führen zu kolossalen Propyläen, denen lange Säulenreihen, Säle und Hallen folgen. Die Masse von Trümmern verwirrt den Blick, der zunächst in diesen durcheinander geworfenen Resten von Mauern, den zerbrochenen Säulen, den verstümmelten Kolossen, den überein- ander gestürzten Obelisken keine Ordnung zu entdecken vermag. Aber zugleich imponirt die Mannigfaltigkeit und Pracht des Materials von farbigem Kalk und Sandstein, schönem Marmor, von rotem und dunklem Granit und schwarzem Basalt. Nirgends gab es je eine kunst-
1)Dunker, Geschichte des Altertums I, 25.
Ägypten.
Durch den Einfall der Hyksos erreichte die glänzende Herrschaft der zwölften Dynastie ein jähes Ende. Dieses Hirtenvolk semitischer Abstammung eroberte ganz Unterägypten und engte die Herrschaft der eingeborenen Könige auf ein beschränktes Gebiet in Oberägypten ein. Auch hier scheinen sie nur als Vasallen der Hirtenkönige regiert zu haben. Erst nach vielen Jahrhunderten gelang es den kriegerischen Königen der achtzehnten Dynastie nach langen Kämpfen, die barba- rischen Hyksos wieder gänzlich aus Ägypten zu vertreiben und von neuem eine einheitliche Herrschaft eingeborener Könige zu begründen. Unter dieser Dynastie gelangte Ägypten um die Mitte des zweiten Jahrtausend v. Chr. auf den Gipfel seiner Macht. Denn wenn das ägyptische Volk zur Zeit der vierten Dynastie als ein durchaus fried- liebendes, das Krieg und Kriegsdienst kaum kannte, erscheint, wenn es noch unter der Herrschaft der zwölften Dynastie wenig in kriege- rischen Kämpfen geübt und erfahren war, so daſs den hereinbrechen- den Nomaden der Sieg leicht wurde, so hatte sich in den Jahrhunderten der Abhängigkeit durch den Druck das ägyptische Volk zu einem starken, geübten Kriegsvolke umgewandelt. Sieg und Eroberung hef- teten sich an die gefürchteten Standarten der Könige der achtzehnten Dynastie. Theben, von dem die Befreiung ausgegangen war, wurde nun der anerkannte Mittelpunkt des Reiches und die reichste und blü- hendste Stadt Ägyptens. Dort richteten die kräftigen Herrscher die gewaltigen Paläste, Tempel und Steinbilder auf, die noch heute in ihren Trümmern das Staunen der Beschauer erwecken. Nahe an dem breiten, von Fahrzeugen belebten Strome erheben sich 1) auf einer künstlichen, von Backsteinen eingefaſsten Terrasse, welche ein läng- liches Viereck von etwa ¾ Meile in Umfang bildet, von Palmenbäumen umgeben die Ruinen dieser Bauten stolz aus der grünen Niederung, unfern dem heutigen Dorfe Karnak.
Zwei Reihen liegender Widder, die auf dem Rande der Terrasse beginnen, führen zu kolossalen Propyläen, denen lange Säulenreihen, Säle und Hallen folgen. Die Masse von Trümmern verwirrt den Blick, der zunächst in diesen durcheinander geworfenen Resten von Mauern, den zerbrochenen Säulen, den verstümmelten Kolossen, den überein- ander gestürzten Obelisken keine Ordnung zu entdecken vermag. Aber zugleich imponirt die Mannigfaltigkeit und Pracht des Materials von farbigem Kalk und Sandstein, schönem Marmor, von rotem und dunklem Granit und schwarzem Basalt. Nirgends gab es je eine kunst-
1)Dunker, Geschichte des Altertums I, 25.
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Ägypten.
Durch den Einfall der Hyksos erreichte die glänzende Herrschaft
der zwölften Dynastie ein jähes Ende. Dieses Hirtenvolk semitischer
Abstammung eroberte ganz Unterägypten und engte die Herrschaft der
eingeborenen Könige auf ein beschränktes Gebiet in Oberägypten ein.
Auch hier scheinen sie nur als Vasallen der Hirtenkönige regiert zu
haben. Erst nach vielen Jahrhunderten gelang es den kriegerischen
Königen der achtzehnten Dynastie nach langen Kämpfen, die barba-
rischen Hyksos wieder gänzlich aus Ägypten zu vertreiben und von
neuem eine einheitliche Herrschaft eingeborener Könige zu begründen.
Unter dieser Dynastie gelangte Ägypten um die Mitte des zweiten
Jahrtausend v. Chr. auf den Gipfel seiner Macht. Denn wenn das
ägyptische Volk zur Zeit der vierten Dynastie als ein durchaus fried-
liebendes, das Krieg und Kriegsdienst kaum kannte, erscheint, wenn
es noch unter der Herrschaft der zwölften Dynastie wenig in kriege-
rischen Kämpfen geübt und erfahren war, so daſs den hereinbrechen-
den Nomaden der Sieg leicht wurde, so hatte sich in den Jahrhunderten
der Abhängigkeit durch den Druck das ägyptische Volk zu einem
starken, geübten Kriegsvolke umgewandelt. Sieg und Eroberung hef-
teten sich an die gefürchteten Standarten der Könige der achtzehnten
Dynastie. Theben, von dem die Befreiung ausgegangen war, wurde nun
der anerkannte Mittelpunkt des Reiches und die reichste und blü-
hendste Stadt Ägyptens. Dort richteten die kräftigen Herrscher die
gewaltigen Paläste, Tempel und Steinbilder auf, die noch heute in
ihren Trümmern das Staunen der Beschauer erwecken. Nahe an dem
breiten, von Fahrzeugen belebten Strome erheben sich 1) auf einer
künstlichen, von Backsteinen eingefaſsten Terrasse, welche ein läng-
liches Viereck von etwa ¾ Meile in Umfang bildet, von Palmenbäumen
umgeben die Ruinen dieser Bauten stolz aus der grünen Niederung,
unfern dem heutigen Dorfe Karnak.
Zwei Reihen liegender Widder, die auf dem Rande der Terrasse
beginnen, führen zu kolossalen Propyläen, denen lange Säulenreihen,
Säle und Hallen folgen. Die Masse von Trümmern verwirrt den Blick,
der zunächst in diesen durcheinander geworfenen Resten von Mauern,
den zerbrochenen Säulen, den verstümmelten Kolossen, den überein-
ander gestürzten Obelisken keine Ordnung zu entdecken vermag. Aber
zugleich imponirt die Mannigfaltigkeit und Pracht des Materials von
farbigem Kalk und Sandstein, schönem Marmor, von rotem und
dunklem Granit und schwarzem Basalt. Nirgends gab es je eine kunst-
1) Dunker, Geschichte des Altertums I, 25.
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/82>, abgerufen am 23.11.2024.
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