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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

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Italien, Spanien und Frankreich.
der mächtigste und reichste Staat Europas. Diese Periode fällt zu-
sammen mit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die politisch
hochbedeutsame Heirat Ferdinands des Katholischen, Königs von
Aragonien, mit Isabella, Königin von Kastilien, und die Vereinigung
ihrer Länder, wenn auch nur äusserlich, im Jahre 1479, war die
Grundlage und der Ausgangspunkt von Spaniens Machtentfaltung.
Der Sieg über Boabdil, den letzten maurischen König in Spanien, im
Jahre 1492 und die Vertreibung der Mauren, erhöhte die Macht und
den Glanz des Königtums, sowie das Ansehen Spaniens. Das glück-
lichste und folgenreichste Ereignis der vom Schicksal so viel be-
günstigten Regierung des spanischen Herrscherpaares war aber die
Entdeckung von Amerika durch den Genuesen Christoph Colum-
bus
im Dienste Spaniens am 11. Oktober 1492. Dieses Weltereignis,
welches Spanien neue unermessliche Einnahmequellen erschloss, erhob
Spanien zu der reichsten und angesehensten Macht Europas und
wurde bestimmend für seine Entwickelung im 16. Jahrhundert. Auch
seinen Eisenwaren erschloss es ein neues, ausgedehntes Absatzgebiet
und gab der Eisenindustrie Spaniens neuen Impuls.

Es würde zu weit führen, alle die Momente, welche zu der kurzen
aber blendenden Glanzzeit Spaniens in der ersten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts sonst noch beigetragen haben, zu entwickeln. Betrachten
wir nur die Eisenindustrie Spaniens, so zeigen sich uns zwei Gebiete
von hervorragender historischer Bedeutung, die Waffenindustrie, welche
in Toledo ihren Mittelpunkt hatte, und die Herstellung des vorzüg-
lichen spanischen Schmiedeeisens, welche an das Land der Basken,
besonders an die Provinzen Biscaya und Guipuzcoa und das wunder-
bare Eisenerzvorkommen von Sommorostro geknüpft war.

Wenden wir uns zuerst der Eisenindustrie von Toledo zu. Die
Grundlage dieser in die älteste Zeit zurückgehenden Industrie bilden
die reichen Eisenerzlager in dem südlich der Stadt gelegenen toledo-
nischen Gebirge, die noch heute ausgebeutet werden und etwa
10000 Tonnen Erze jährlich liefern. Als Residenz westgotischer,
maurischer und spanischer Könige, war Toledo ein Mittelpunkt ge-
werblicher Thätigkeit. Zu ihrer Blütezeit zählte die Stadt über
100000 Einwohner, jetzt kaum 20000. Die Waffenfabrikation wurde
besonders gepflegt, denn von jeher hatten die Spanier eine grosse
Vorliebe für gute Waffen. Der Andalusier sagte: wenn er sein Schwert
(seine "Santa Theresa") schwinge, so zittre die Erde ("trembla
la tierra"). Zu diesen trefflichen Klingen verwendeten aber die
toledonischen Schmiede nicht nur das einheimische Eisen, sondern

Italien, Spanien und Frankreich.
der mächtigste und reichste Staat Europas. Diese Periode fällt zu-
sammen mit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die politisch
hochbedeutsame Heirat Ferdinands des Katholischen, Königs von
Aragonien, mit Isabella, Königin von Kastilien, und die Vereinigung
ihrer Länder, wenn auch nur äuſserlich, im Jahre 1479, war die
Grundlage und der Ausgangspunkt von Spaniens Machtentfaltung.
Der Sieg über Boabdil, den letzten maurischen König in Spanien, im
Jahre 1492 und die Vertreibung der Mauren, erhöhte die Macht und
den Glanz des Königtums, sowie das Ansehen Spaniens. Das glück-
lichste und folgenreichste Ereignis der vom Schicksal so viel be-
günstigten Regierung des spanischen Herrscherpaares war aber die
Entdeckung von Amerika durch den Genuesen Christoph Colum-
bus
im Dienste Spaniens am 11. Oktober 1492. Dieses Weltereignis,
welches Spanien neue unermeſsliche Einnahmequellen erschloſs, erhob
Spanien zu der reichsten und angesehensten Macht Europas und
wurde bestimmend für seine Entwickelung im 16. Jahrhundert. Auch
seinen Eisenwaren erschloſs es ein neues, ausgedehntes Absatzgebiet
und gab der Eisenindustrie Spaniens neuen Impuls.

Es würde zu weit führen, alle die Momente, welche zu der kurzen
aber blendenden Glanzzeit Spaniens in der ersten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts sonst noch beigetragen haben, zu entwickeln. Betrachten
wir nur die Eisenindustrie Spaniens, so zeigen sich uns zwei Gebiete
von hervorragender historischer Bedeutung, die Waffenindustrie, welche
in Toledo ihren Mittelpunkt hatte, und die Herstellung des vorzüg-
lichen spanischen Schmiedeeisens, welche an das Land der Basken,
besonders an die Provinzen Biscaya und Guipuzcoa und das wunder-
bare Eisenerzvorkommen von Sommorostro geknüpft war.

Wenden wir uns zuerst der Eisenindustrie von Toledo zu. Die
Grundlage dieser in die älteste Zeit zurückgehenden Industrie bilden
die reichen Eisenerzlager in dem südlich der Stadt gelegenen toledo-
nischen Gebirge, die noch heute ausgebeutet werden und etwa
10000 Tonnen Erze jährlich liefern. Als Residenz westgotischer,
maurischer und spanischer Könige, war Toledo ein Mittelpunkt ge-
werblicher Thätigkeit. Zu ihrer Blütezeit zählte die Stadt über
100000 Einwohner, jetzt kaum 20000. Die Waffenfabrikation wurde
besonders gepflegt, denn von jeher hatten die Spanier eine groſse
Vorliebe für gute Waffen. Der Andalusier sagte: wenn er sein Schwert
(seine „Santa Theresa“) schwinge, so zittre die Erde („trembla
la tierra“). Zu diesen trefflichen Klingen verwendeten aber die
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[862/0882] Italien, Spanien und Frankreich. der mächtigste und reichste Staat Europas. Diese Periode fällt zu- sammen mit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die politisch hochbedeutsame Heirat Ferdinands des Katholischen, Königs von Aragonien, mit Isabella, Königin von Kastilien, und die Vereinigung ihrer Länder, wenn auch nur äuſserlich, im Jahre 1479, war die Grundlage und der Ausgangspunkt von Spaniens Machtentfaltung. Der Sieg über Boabdil, den letzten maurischen König in Spanien, im Jahre 1492 und die Vertreibung der Mauren, erhöhte die Macht und den Glanz des Königtums, sowie das Ansehen Spaniens. Das glück- lichste und folgenreichste Ereignis der vom Schicksal so viel be- günstigten Regierung des spanischen Herrscherpaares war aber die Entdeckung von Amerika durch den Genuesen Christoph Colum- bus im Dienste Spaniens am 11. Oktober 1492. Dieses Weltereignis, welches Spanien neue unermeſsliche Einnahmequellen erschloſs, erhob Spanien zu der reichsten und angesehensten Macht Europas und wurde bestimmend für seine Entwickelung im 16. Jahrhundert. Auch seinen Eisenwaren erschloſs es ein neues, ausgedehntes Absatzgebiet und gab der Eisenindustrie Spaniens neuen Impuls. Es würde zu weit führen, alle die Momente, welche zu der kurzen aber blendenden Glanzzeit Spaniens in der ersten Hälfte des 16. Jahr- hunderts sonst noch beigetragen haben, zu entwickeln. Betrachten wir nur die Eisenindustrie Spaniens, so zeigen sich uns zwei Gebiete von hervorragender historischer Bedeutung, die Waffenindustrie, welche in Toledo ihren Mittelpunkt hatte, und die Herstellung des vorzüg- lichen spanischen Schmiedeeisens, welche an das Land der Basken, besonders an die Provinzen Biscaya und Guipuzcoa und das wunder- bare Eisenerzvorkommen von Sommorostro geknüpft war. Wenden wir uns zuerst der Eisenindustrie von Toledo zu. Die Grundlage dieser in die älteste Zeit zurückgehenden Industrie bilden die reichen Eisenerzlager in dem südlich der Stadt gelegenen toledo- nischen Gebirge, die noch heute ausgebeutet werden und etwa 10000 Tonnen Erze jährlich liefern. Als Residenz westgotischer, maurischer und spanischer Könige, war Toledo ein Mittelpunkt ge- werblicher Thätigkeit. Zu ihrer Blütezeit zählte die Stadt über 100000 Einwohner, jetzt kaum 20000. Die Waffenfabrikation wurde besonders gepflegt, denn von jeher hatten die Spanier eine groſse Vorliebe für gute Waffen. Der Andalusier sagte: wenn er sein Schwert (seine „Santa Theresa“) schwinge, so zittre die Erde („trembla la tierra“). Zu diesen trefflichen Klingen verwendeten aber die toledonischen Schmiede nicht nur das einheimische Eisen, sondern

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 862. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/882>, abgerufen am 29.06.2024.